Liebe Themisabeth,
Vielen Dank für Deine außergewöhnlich reflektierte, klare, offene und dadurch nachvollziehbare Schilderung dessen, womit Du Dich gerade rumschlägst. Ich musste über mich selber lachen, als ich mich bei den "Bändeln der Zwangsjacke" wiedergefunden habe - manchmal hab ich aber das Gefühl, jemand versucht die nicht hinter meinem Rücken zuzubinden sondern direkt vor meiner Nase ...
Ich hab ne ganze Weile drüber nachgedacht. Zunächst mal ist das, was Dir gerade so zu schaffen macht ja erst mal eigentlich nicht mehr als das typische Problem: "Ich liebe ihn aber er mich nicht."
Ich glaube, Du fühlst Dich von ihm nicht so geliebt wie Du es Dir wünschst. Ich vermute, dass das deswegen so ist, weil seine Verhaltensweisen nicht wirklich erkennen lassen, dass er sich wirklich für Dich interessiert, dass er an Dich denkt, dass er sich wünscht, dass es Dir gut gehen möge, dass er sich Mühe gibt, sich so zu verhalten, dass es Dir gut geht. Ich glaube, dass viele von uns es sich wünschen, auf die gleiche Art geliebt zu werden wie wir es tun wenn wir jemanden lieben. Also zum Beispiel: Ohne Besitzansprüche, ohne Erwartungen, mit echter Zuneigung, mit Interesse und dem Wunsch, dass es dem anderen gut gehen möge, und und und .....
Das kann man in der Beschreibung seines Verhaltens Dir gegenüber nicht wirklich erkennen ("Akku leer"?).
Also ist es für mich absolut nachvollziehbar, dass Du unglücklich bist darüber.
Ich glaube aber, dass die Schlussfolgerungen, die Du aus dieser Situation ziehst, teilweise nicht so ganz zutreffen.
"Die Monos wollen mich alle besitzen und die Polys lassen sich nicht wirklich auf mich ein / wollen keine tiefe emotionelle Beziehung!" Das klingt naheliegend, stimmts?
Aber das ist kein echter Zusammenhang. Ob sich jemand emotionell so auf einen einlässt wie man es sich von ihm wünschst, hat gar nichts damit zu tun ob er Mono oder Poly ist. Sondern nur damit, wie tief er sich auf einen einlassen will. Was man füreinander empfindet, das hängt von der Wechselwirkung zwischen uns beiden ab.
Wenn er wirklich polyamorös unterwegs ist, dann empfindet er auch für andere Menschen tiefe Emotionen. Er empfindet dann mehr (also mit mehr Menschen), nicht weniger.
Was mit dem Ausdruck "Verbindlichkeit" in einer emotionellen Beziehung gemeint ist, ist mir unklar. Zuverlässigkeit und Sicherheit? Die entstehen aus dem gegenseitigen Verstehen, wenn ich weiß, wie er tickt, dann weiß ich, wie er sich verhalten wird. Ausschließlichkeit? Nee - das ist die Zwangsjacke, die will ich nicht. Verpflichtung? Um Gottes Willen, das will ich schon gar nicht, ich will doch nicht, dass jemand aus Pflichtgefühl das tut was er tut ...
Mittlerweile finde ich mich eher im Bereich "Demisexualität" wieder: Sexualität lebe ich nur mit Menschen, mit denen ich eine emotionale Verbindung habe.
Seh ich genauso, das andere macht weniger Spaß
Und ich zweifle zunehmend, dass es unter Polys möglich ist, Verbindungen auf Augenhöhe einzugehen.
Das sehe ich genau andersrum: Ich glaube, dass echte Polyamorie nur auf Augenhöhe funktioniert!
Monogamie beinhaltet EIN Beziehungskonzept, Polyamorie beinhaltet unendlich viele mögliche Beziehungskonzepte, diese ewige Diskussion um Distanz und Nähe, Kommunikationswege und -häufigkeit, Bedeutung von Sexualität strengen mich gerade unglaublich an.
Wie ich oben geschrieben habe: Diesen Zusammenhang sehe ich nicht. Was zwischen zwei Menschen geschieht, ist meiner Ansicht nach nicht abhängig davon, ob sie sich Mono oder Poly nennen. Sondern nur davon, was zwei Menschen füreinander empfinden und wie sie miteinander umgehen.
Meine Vorstellung ist die von sehr freier Verbindung, aber keinesfalls beliebig.
Genau. Obwohl das oft behauptet ist, ist das kein Widerspruch. Das oft praktizierte: "Ich liebe Dich so sehr, also sperr ich Dich ein." - das empfinde ich als Widerspruch.
Wenn ich mit Polys in Beziehung gehe, gibt es ewige Diskussionen, warum ich mir so verbindliche Beziehungen wünsche und ich habe das Gefühl, mein Herz leidet.
Die beiden Wörter "verbindliche Beziehung" und "tiefe, echte Liebe" sollte man halt nicht verwechseln ...
Das war jetzt lang, sorry.
Herzliche Grüße
Michael