In zwei Monaten kann sich unglaublich viel verändern. Meine Geschichte weiter zu erzählen ist vielleicht ein bisschen OT, aber hoffentlich nicht gänzlich uninteressant.
Unsere Verbindung hat sich, seit ich das letzte Mal geschrieben habe, in mancher Hinsicht ziemlich intensiviert, vorallem ist so etwas wie Fürsorge entstanden. Die beruht sogar auf Gegenseitigkeit. Außerdem haben wir von ihm initiiert angefangen regelmäßig zu telefonieren.
Trotzdem oder gerade deswegen habe ich immer mehr darunter gelitten, dass er mich nicht liebt und vermisst. Vor drei Wochen kam dann der Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass es so für mich nicht weiter geht. Wenn ein Mensch mir mehr Schmerz als Glück beschert, fange ich automatisch an mich emotional zu distanzieren. Und diese wachsende Distanz habe ich gespürt. Also habe ich ihm das erklärt und gesagt, dass ich mehr und intensivere Zeit mit ihm brauche, damit es mit uns weitergehen kann. Nicht als Erpressung, sondern als Tatsache. Sonst siegt der Schmerz über das Glück und ich fange aus Selbstschutz an mich zurückzuziehen.
Da hat sich gezeigt, dass unsere Verbindung zwar asymetrisch ist, aber komplexer als es zuerst den Anschein gemacht hat. Zwar bin ich diejenige, die liebt und leidet und die er ganz einfach glücklich oder traurig machen kann, je nachdem wie viel Zeit und Aufmerksamkeit er ihr schenkt. Auf der anderen Seite bin ich der erste und einzige Mensch, mit dem er seine tiefsten Gedanken und Gefühle teilt. Den er ganz in sein Leben lässt. Darauf möchte er nicht verzichten. Rational betrachtet spiele ich in seinem Leben ein größere Rolle als er in meinem. Er gibt mir nichts, was mir kein anderer gibt, außer sich selbst.
Eine seltsame Konstellation... Aber sicherlich nicht einzigartig.
Er ist darauf eingegangen mir mehr Zeit zu widmen. Er will mich nicht verlieren, das hat er sogar ausgesprochen. Aber ich habe ihm gesagt, dass das irgendwann passieren wird. Beziehung heißt für mich vorallem den Wunsch und Plan zu haben, dass der andere ein wichtiger Teil des eigenen Lebens bleibt, natürlich ohne Garantie, dass es klappt, aber es geht um den Wunsch. Wenn er keine Beziehung will, kann ich ihn auch nicht langfristig in mein Leben einplanen. Und wenn er eine Mono Beziehung mit jemand anderem beginnt, kann ich auch nicht einfach auf Freundschaft umschalten. Ich bräuchte erstmal ein paar Monate Abstand, dann könnte man sich wieder annähern, aber die gleiche Intensität wie jetzt gäbe es dann wohl nicht mehr.
Das habe ich ihm alles so gesagt.
Jetzt kommt der überraschende Teil.
Wir haben einen gemeinsamen Freund, wobei die beiden sich näher stehen. Dieser Freund vereint die Fähigkeit komplexe und wenig offensichtliche Zusammenhänge zu erkennen und eine brutal direkte Art darüber zu sprechen. Alles, was er wusste, war, dass wir relativ viel Zeit miteindander verbringen und Sex haben. Dazu kommt, dass er natürlich von meiner Hauptbeziehung weiß und Polyamorie eher skeptisch sieht.
Dann waren wir alle auf einer Art Party und plötzlich spricht er dieses Thema an. Wir reden drei Stunden miteinander, vorallem die beiden reden und ich sage manchmal was. Er sagt zu meinem geliebten Menschen, dass das Zeitfenster bald zu ist und er sich jetzt entscheiden muss, was er von mir will bevor es zu spät ist. Dann geht er weg, damit er sich entscheiden und es mir sagen kann...
Und plötzlich sagt er, dass er sich auf das Abenteuer Beziehung einlassen will.
Das war vor drei Tagen. Seitdem hat sich nochmal wahnsinnig viel verändert. Er hat es seiner Mutter erzählt und will auch in unserem Freundeskreis offen damit umgehen. Bisher war er immer sehr darauf bedacht, dass bloß keiner mitbekommt, dass etwas zwischen uns läuft. Er will sich einen Job in unserer gemeinsamen Heimatstadt suchen um den Menschen, die ihm wichtig sind, also vorallem seine Familie und ich, näher zu sein. Er hat mir seinen Wohnungschlüssel gegeben.
Gestern haben wir nochmal Zeit miteinander verbracht, vorallem um zu reden und zu klären, wie wir unser Miteinander in Zukunft gestalten wollen. Denn endlich gibt es eine Zukunft! Wir haben uns einander noch näher gefühlt als in letzter Zeit, es gibt eine Vertrautheit, die sich in den letzten drei Monaten aufgebaut hat und sich jetzt voll entfalten kann.
Und weiterhin sagt er, dass er mich nicht liebt. Er kann (noch) nicht lieben. Niemanden.
Das macht mich sehr traurig, denn Liebe ist ein wundervolles Gefühl und er kann es nicht empfinden. Meine größte Angst dabei ist, dass er es irgendwann lernt zu lieben und dann mich nicht liebt.
Trotzdem ist es erstmal und hoffentlich noch lange so ok für mich. Er hat mir mit so vielem gesagt und gezeigt, was ich ihm bedeute, dass ich dieses Wort gerade nicht brauche. Hätte ich früher nicht gedacht.