Sei vernünftig: sei unperfekt
*******usy:
@****on
Ah - jetzt kapiere ich: Du vertraust Deiner Menschenkenntnis. Du vertraust dem, was Du in dem anderen siehst.
Ja genau. Ich lebte lange mit der Vorstellung, meine Rationalität mache mich aus. Ich hatte mir eine in sich runde, praktisch perfekte Welt geschaffen, in der Ursache und Wirkung, Logik und Berechenbarkeit eine große Rolle spielten.
Ich musste eine Situation nur ausreichend gedanklich durchdringen und analysieren, schon begann ich, sie "im Griff" zu haben. Mich konnte nicht mehr viel überraschen oder beeindrucken. Die Welt wurde immer besser verstanden, und ausgefeilte, fundiert durchdachte Theorien gaben mir innere Sicherheit. Ich wog Risiken ab, analysierte typische Denkfehler - kurz: es war komplex, und doch am Ende erfassbar.
So glaubte ich auch, komplexe Situationen wie eine Autobahnfahrt beobachtend und rational im Griff haben zu können. Mit genügend Umsicht das Risiko minimieren zu können. Und dieser Glaube beherrschte alles in meinem Leben. Er war sicherheitsorientiert und vernunftgetragen.
Durch die intensive Beschäftigung mit moderner Physik und Mathematik wurde mir allerdings klar, dass ich lediglich eine Illusion lebte. Deren Erkenntnisse zeigen, dass die Komplexität der Welt auch aus der Welt selbst herausführt, ebenso wie sie die Möglichkeiten menschlicher Ratio grundsätzlich übersteigt.
Die Wahrheit ist: menschliche Ratio ist schon frappierend - aber extrem begrenzt, was das Verstehen von wirklicher Komplexität angeht. Ich werfe sie nicht auf den Müll, sie ist ein wichtiges menschliches Werkzeug, doch überlasse ich inzwischen den Umgang mit komplexen Situationen wie dem Straßenverkehr oder menschlicher Kommunikation dem Teil von mir, der darin kompetenter ist - der Intuition. Sie ist der Ratio an Intelligenz weit überlegen.
Seitdem läufts stressfrei. Ich vertraue dem Teil in mir, der sich mit Komplexität besser auskennt. Der mit wenig Energie-Aufwand erheblich mehr für mich tut, als die angestrengte Kontrolle durch die Ratio, den sogenannten Verstand. Ich habe seitdem besser entschieden, und zwanzigmal mehr zuvor gebundene Kraft und Energie frei für Projekte, in denen die Ratio wirklich nützlich ist, beispielsweise im Beruf.
Kurz: ich vertraue auf alles, was sich auskennt, aber auch auf Unperfektion. Ich vertraue auf den Busfahrer, das war früher nicht so. Damals konnte ich vor lauter Kontrollsucht nur mit dem Bus fahren, weil ich Risiken abwog - Vertrauen war es nicht. So ging ich auch mit Menschen um. Heute vertraue ich der Unperfektion UND der Kompetenz des Busfahrers - ich gebe ab.
So auch in Beziehungen: ich vertraue vorbehaltlos, wenn mir die innere Stimme sagt: es ist okay. Früher hatte ich keine Wahrnehmung für diese innere Stimme. (Und mein analytischer Verstand beobachtete ohne Vertrauen: sinnlos.)
So vertrauen zu können stabilisiert das ganze System "Beziehung", besonders, wenn alle Beteiligten es tun.