Monogames Denken und polyamore Realität
Wir alle haben bisher die Monogamie quasi mit der Muttermilch aufgesogen. "Bis dass der Tod Euch scheidet" ist immer noch der übliche Wunsch beim Einlaufen in den Hafen der Ehe. Dabei wäre " so lange Eure Liebe anhält"viel ehrlicher. Offen Gefühle zeigen, zu sich selber stehen ist schon bei Emotionen in einer monogamen Beziehung schwierig. Dann auch noch offen dazu stehen, JA, ich fühle für mehr als eine Person positive Emotionen, ich fühle mich neben meiner Partnerin/meinem Partner auch noch zu anderen Menschen hingezogen und genieße deren Nähe, deren Berührungen und spüre eine Anziehungskraft, dieses Eingeständnis erfordert bis heute Mut. Doch warum eigentlich? Meine ersten Schritte in die Polyamorie waren maßgeblich davon geprägt, diesen inneren Konflikt mit mir auszutragen. Als die Frau an meiner Seite ihre Beziehung zu ihrem "zweiten Mann", wie ich ihn heute für mich nenne, aufbaute, habe ich gelitten. Auf der einen Seite stand mein monogames Denken und die daraus resultierenden Einstellungen, Normen und Werte, die meine Gefühle dominierten. Das ist meine Frau, auf ihren Körper gehören nur meine Hände und nur mein Lingam darf ihre Yoni ausfüllen, so fühlte ich. Auf der anderen Seite standen das Glücksgefühl dieser Frau, wenn sie von ihrem "zweiten Mann" zurückkehrte, das Strahlen in ihren Augen, die Wärme in ihrer Stimme und die innere Gelöstheit. Ich fühlte mich innerlich zerrissen. Und hier lag zugleich der Schlüssel, diese innere Zerrissenheit aufzulösen. Denn es war einzig und allein mein Problem, es war der Kampf zwischen meinem monogamen Denken und Fühlen und der polyamoren Realität, die längst Einzug in unsere Beziehung gehalten hatte. Als ich diesen Kampf annahm und mich mit meinen eigenen Gefühlen auseinandersetzte, sie für mich akzeptierte, JA, es tut weh, JA, dieser Schmerz gehört dazu, ab diesem Moment hatte ich gewonnen. Ich begann, den Schmerz für mich zu akzeptieren als eine Begleiterscheinung, die einfach mit dazu gehört. Denn er zeigt mir an, JA, ich habe Gefühle für die Frau an meiner Seite, sie bedeutet mit etwas, es nicht eine Normalität, dass ausgerechnet sie mit mir zusammen durch die Weiten des Lebens zieht. Es war mein langer, einsamer Weg von dem monogamen "Nur ich mache sie glücklich" hin zum "Sie entscheidet über die Quellen ihres Glückes allein". Und so kam ich langsam in eine polyamore MITFREUDE, in Gefühle des, schön, dass er Dich verwöhnt und Du es genießt. Es war eine Erfahrung des Los-Lassens, des Fließen-Lassen, die mich in eine zunehmende Ge-Lassen-heit führte.
Und ich spürte noch etwas -- unsere Beziehung wurde fester und stabiler. Wir wissen, was wir aneinander haben, wir reden viel über Gefühle, wir sind grundehrlich zueinander. Denn die Erfahrung, Emotionen dürfen weh tun, wenn wir sie für uns annehmen, hat uns ruhiger gemacht. Polyamorie tut auch weh, gerade am Anfang, wenn das monogame Denken wie ein Schlangenhaut abgestreift wird und der Weite und Freiheit des polyamoren Fühlens und Genießens weicht.
Und eine weitere Erfahrung durfte ich durchleben. "Mir nehmen", das bedeutet, neben der Frau an meiner Seite auch Gefühle für eine andere Frau ausleben, ist einfacher und weniger schmerzhaft als wenn die Frau an meiner Seite so lebt. "Dir geben" bedeutete am Anfang diesen Kampf zwischen dem alten und fest verankerten monogamen Denken und der polyamoren Realität durchstehen.
Und was bekomme ich dafür? Warum sollte ich diese Schmerzen, die schlaflosen Nächte, das ewige Grübeln und Magengrummeln auf mich nehmen?
Weil ich dafür, so empfinde ich es für mich, eine Freiheit bekomme, die mein Leben erfüllter und emotional belebender macht. Weil ich eine wesentliche Erfahrung live durchlebe, ich fühle das Los-Lassen und das freie Schweben der Gefühle. Weil ich starre Denk- und damit auch Lebensstrukturen eingetauscht habe gegen Vielfalt.
Um Missverständnissen vorzubeugen, ob, wie intensiv und wann jemand diesen Weg für sich beschreitet, ist ein zutiefst persönliche Entscheidung. Ich bereue es für mich nicht, ich genieße eine breite Bereicherung meines Lebens, ich bin gelassener und innerlich ruhiger als früher. Achtsamkeit, Behutsamkeit im Umgang miteinander, Respekt vor dem Anderen und, ganz wichtig, Offenheit und Ehrlichkeit auch mir selber gegenüber lebe ich heute deutlich intensiver als früher.
Monogames Denken fühle ich manchmal immer noch in mir. Dann begrüße ich es freundlich und bitte es, in der Ecke auf dem weich gepolsterten Sessel Platz zu nehmen und mir zu zu sehen. Wenn ich dann nach einer Weile in die Ecke schaue, ist der Sessel wieder frei.
Und ich weiß, der Weg von der Monogamie in die Polyamorie war für mich der Richtige.