Spannender alter Hut
Den Beitrag finde ich einfach nur platt und dogmatisch.
Da bedarf es m.E. nicht mal einer empirischen Unterlegung, denn selbst der Empirie ist nicht zu trauen, so lange die Fragestellungen, Methoden und befragte Gruppen nicht vollständig offengelegt sind. Schließlich ist es im anglo-amerikanischen Raum „wissenschaftlicher Volkssport“, eine These aufzustellen und diese mit Ergebnissen einer empirischen Untersuchung zu untermauern. Der Kollege mit gegenteiliger These macht natürlich das gleiche…
Was stimmt nun? Wer hat wirklich Recht?
In den Sozialwissenschaften vielleicht jeder ein Bisschen — in seinem Fokus. Das stellt jeden Allgemeingültigkeitsanspruch solcher „Weisheiten“ wohl per se in Frage.
Über Erziehung und Schule lässt sich trefflich streiten. Für unstrittig halte ich, dass man so ziemlich alles konsumieren kann (auch Bildung, Seminare, Workshops oder sogar „Partner“ in möglichst ausgedehnten polyamorösen Netzwerken).
Kinder lernen nicht nur im Spiel, sondern auch durch ihre Umwelt. Sie ahmen oft nach, was zu funktionieren scheint. Und sie lernen Fertigkeiten eben nicht immer nur spielerisch, sondern tatsächlich auch im „Dressurakt“ — das geht schon beim Essen und Sch****** los, wenn ihnen der Gebrauch von Werkzeugen (Besteck) oder der Besuch der Keramikausstellung beigebracht wird, statt mit den Fingern im Brei zu rühren oder die nächstbeste Ecke aufzusuchen.
Man kann auf die Schulen und das Bildungssystem schimpfen statt sich die Frage zu stellen, ob es nicht eher die Aufgabe der Eltern ist, dass aus ihrem Nachwuchs anständige, selbständig denkende und ethischen Grundsätzen folgende Menschen werden. Wenn die Eltern nach der Meinung des Autors dazu nicht fähig sind, hilft ihm sein Ruf, die Gesellschaft nach seinem Gusto umzukrempeln, bestimmt nicht. Erwachsene wollen nämlich nicht von irgendeinem selbsternannten Vordenker erzogen, sondern mit guten, handfesten Argumenten überzeugt werden.
Für einen alten Hut halte ich das Ganze deswegen, weil mir vor einigen Wochen die 3. Auflage „Psychologisches Konfliktmanagement“ aus dem Jahr 2000 (1. Aufl.: 1995) in die Hände gefallen ist. Das war wesentlich fundierter und geht auch auf die individuellen Charaktertypen ein — sowohl der Kinder als auch der Eltern. Die „Problemstellung“ ist alles andere als neu. Man kann sie aber wesentlich fundierter und in die Tiefe gehend beleuchten — und Lösungen für das direkte zwischenmanschliche Umfeld anbieten statt die Gesellschaft umkrempeln zu wollen. Ersteres scheint mir wesentlich mehr Aussicht auf Erfolg zu bieten: Einfach mal selber machen, statt andere aufzufordern und auf die zu warten.
Der Mensch war schon immer ein von ökonomischen Prinzipien getriebenes Wesen. Er tut so gut wie nichts ohne Eigennutz (nicht mal Kinder). Selbst das Spiel hat einen Nutzen — auch für Erwachsene. Darüber hat Eric Berne schon diverse Bücher geschrieben. Man muss sich nur die Mühe machen, darauf zu achten und hinter die Kulissen zu schauen.
Zu postulieren, dass die Befriedigung von ganz unterschiedlichen Grundbedürfnissen — zum Beispiel Nahrung vs. sozialen Kontakten — nach genau demselben Schema und denselben Mechanismen funktioniert, verkennt m.E. die Realität. Das würde ich auch nicht am Wirtschaftssystem festmachen, denn in allen Systemen ist m.E. nicht die Frage, ob diskriminiert wird, sondern nur wer und in welchem Umfang.
Ich stimme dem Autor insoweit zu, als Menschen nicht wie Waren und Objekte behandelt werden sollen. Dafür braucht man weniger Vordenker, sondern mehr selbständiges Denken und eigenverantwortliche Entscheidungen. Wer andern das „vermitteln“ will, ist auch nicht besser als jede konventionelle Schule, die hier so massiv kritisiert wird.