Mal ein Baum und mal ein Halm
Jeder Mensch sucht seinen Halt im Leben. Haltestangen können die Familie sein, Freunde, eine Arbeit, die mehr als nur Gelderwerb darstellt, ein Hobby. Und jeder Mensch erlebt Phasen der Veränderung. Alte Haltestangen werden brüchig und brechen irgendwann komplett weg, neue Haltepunkte entstehen, Konstellationen verändern sich und ergeben plötzlich neue Sichtweisen, andere Perspektiven und ungeahnte Möglichkeiten. Weiterentwicklung durch Veränderungen bedeutet jedoch auch immer eine gewisse Haltlosigkeit.
Was bleibt stabil als ein Anker, als ein festes Fundament für mich? An wem und woran kann ich mich festhalten in der Phase der Veränderungen, in denen vorher festgefügte Strukturen zusammenbrechen?
Diese Fragen sind existentiell, den niemand lebt im Zustand des permanenten Schwebens, jeder braucht seinen Ankerplatz.
Und so geht es mir im Moment. Ich fühle mich mal fest wie ein Baum mit ganz weit verästeltem Wurzelwerk, so stabil, dass selbst ein Sturm mich nicht entwurzelt. Hier spüre ich den Halt, den mir meine Arbeit wie auch mir nahe stehende Menschen geben. Hier genieße ich die Interaktion, den Austausch mit Menschen, die wie ich oder zumindest ähnlich ticken.
Und dann gibt es Phasen, in denen fühle ich mich wie der einzelne Halm im Winde, zerbrechlich, mit der Angst, jeder kleine Windhauch könne mich aus der Erde ziehen und wie ein Blatt umherwirbeln.
Nur dann frage ich mich, warum eigentlich nicht?
Ja, ich wünsche mir manchmal sogar den Windhauch, weil dieses Umherwirbeln neue Horizonte eröffnet, neue Sichtweisen bietet und mich zu neuen Erkenntnissen führt.
Und so pendle ich fröhlich zwischen dem fest verankert sein, was mir emotionale Sicherheit und das Gefühl der Geborgenheit bietet, und dem fröhlichen Fliegen im Wind des Lebens, was mir die Freiheit des Entdeckens, Erforschens und des Auslebens meiner Neu-Gier verschafft. Und in der emotionalen Hängematte des Vertrauten, in der Obhut von Menschen, die mich annehmen, wie ich bin, entspanne ich von meinen Ausflügen mit dem Wirbelwind des Lebens.
So darf beides sein, der stabile Baum und der hilflose Halm. Denn diese Kombination macht mein Leben erst einzigartig.