Zitat von *********t6874:
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Die Last der letzten 2.000 Jahre besteht aus vielen Erfahrungen und ich glaube hier sogar an Instinkte, die schützend wirksam werden.
Ich sehe es aber auch als problematisch, einen Zeitraum von 2000 Jahren pauschal als Geschlechterkampf darzustellen. Wie gesagt, in welch brutaler Weise Männer in diesen Zeitaltern Krieg und Gewalt erfahren musste, wie Jungen bereits viel zu früh zu harter Arbeit und Kriegsdienst gezwungen waren, ohne eine Möglichkeit, psychologisch aufgefangen zu werden oder "Schwäche" zeigen zu dürfen, kann hier nicht unterschätzt werden.
Zu sagen "trag es doch wie ein Mann" verstärkt dann nur ein ungewolltes Männerbild; das Frauen andererseits dann doch wieder wollen: Den starken "Beschützer", die Schulter, an die man sich anlehnen lann usw.
Historisch betrachtet war das Geschlechterverhältnis sicherlich viel mehr durch Kooperation im Kampf um gemeinsames Überleben als durch die Unterdrückung der Frau geprägt. Auch wenn die "Lebensbereiche" oftmals klar eingeteilt waren, hatten Frauen zu allen Zeiten auf ihre Art ganz sicher ebenfalls große Macht und großen Einfluss.
Ich will hier nicht das Rad zurückdrehen, nur deutlich machen, dass die Geschichte komplexer ist als "2000 Jahre Frauenunterdrückung" und dass es uns nicht hilft, Geschichte rein als Geschichte des Patriarchats zu lesen, wie es heutzutage üblich ist.
Männer sind durch ihre körperliche Überlegenheit, die auch wesentlich dadurch manifestiert wurde, dass Frauen in ihrer Kindheit selten raufen und kämpfen dürfen (das schwächt!), einfach eine potentielle Gefahr.
Das sind statistische Mittelwerte. Es gibt durchaus viele Männer, die vielen Frauen körperlich unterlegen sind. Da würde ich aufpassen zu verallgemeinern. Und meine Frau könnte ich, obwohl sie 20kg leichter ist, körperlich auch nicht überwältigen. Es mag sein, dass deine persönliche Erfahrung da prägend war.
Du kannst dafür nichts. Es ist einfach so. Viele Männer sind sich dessen nicht bewusst. Und wundern sich, weil sie es nicht kennen, von Frauen körperlich geschlagen und überwältigt zu werden, dass von ihnen eine so unvermittelte Bedrohung ausgeht.
Und viele Männer sind sich dessen durchaus sehr bewusst. Und wundern sich, dass sie dann von Frauen als extrem zurückhaltend und "unmännlich" wahrgenommen werden, wenn sie versuchen, sich übermäßig zurückzuhalten. Nicht zu sprechen von den Männern, die umgekehrt körperliche Gewalt durch Frauen erfahren (soll es ja auch geben), und die keine Chance haben, dass dies wahrgenommen wird oder sie Hilfe bekommen.
Der Generalverdacht ist deshalb zulässig. Es braucht nicht viel Aggression, um aus dir eine physische Bedrohung zu machen.
Nein, ist er nicht. Eine generelle Vorsicht ist zulässig, kein Generalverdacht. Es braucht ebenfalls nicht viel, um mit einer falschen sexuellen Beschuldigung das Leben eines Mannes zu zerstören oder einen Vater seiner Kinder zu berauben.
Und ich weiß, dass die entsprechenden Zahlen in keinem Verhältnis stehen. Trotzdem rechtfertigt die Gefahr, die von anderen Männern für dich ausgehen mögen, keinen Generalverdacht gegen mich. Und ich verwehre mich vehement, als "tickende Zeitbombe" dargestellt zu werden, die jederzeit hochgehen könnte.
U.a. deshalb halte ich mir sogar beim Onlinedating Männer sofort vom Hals, die seltsam auf mich wirken. Da tu ich bestimmt manch einem Mann Unrecht. Das nehme ich in Kauf, da auf mein Bauchgefühl zu hören. Purer Überlebensinstinkt.
Und da ich im Leben Situationen hatte, in denen ich nicht auf mich hörte und es mir schlecht damit ging, weil ein Mann mir gegenüber übergriffig, komisch, schräg, belästigend wurde, lebe ich einfach sicherer und angstfrei, wenn ich auf mich höre.
Daran zweifle ich nicht und das kann ich dir auch nicht absprechen. Mein Punkt ist nur, dass unter solch einem Verhalten von bestimmten Männern nicht nur Frauen leiden, sondern auch all die Männer, für die das ebenso fremd und abstoßend wäre.
Mit Offenheit und Herzoffenheit bin ich in meinem Leben nicht weit gekommen. Wurde bedrängt, sexuell genötigt, beleidigt, angeschrien, gestalked. Deshalb glaube ich nicht mehr an das Gute im Menschen. Oder im Mann, wenn er mir fremd ist. Und dazu komisch vorkommt.
Man könnte sagen, dass das Leben mich darin beschädigt hat, offen auf fremde Männer zuzugehen, ohne im Hinterkopf zu haben, dass er mir Böses will. (...) Mich belasten solche Erlebnisse und jetzt, wo ich mit dir schreibe, kommt mir noch der Ekel hoch, weil ich an einen alten alkoholisierten Mann denke, untersetzt mit Speckbauch und Schnauzer, wie der mir einen nassen Lippenflatsch auf den Mund drückte.
Und das heißt, dass ich gar nicht "unbeschadet" oder ohne Vorbelastung mit dir kommunizieren kann, ohne dass du mich gedanklich mit diesem Mann verknüpfst. Das ist traurig und schade. Du kannst nichts dafür. Aber es ist so.
Versuch dich da mal in eine junge Frau Mitte 20 reinzuversetzen, die damals zarte 50 kg wog und 6cm Stöckelschuh trug. Nicht einmal weglaufen ging. Und das ist nur ein Erlebnis von vielen anderen, die ich im Laufe meines Lebens gemacht habe, weil Männer glaubten, sie könnten weiter gehen bzw. "es mal versuchen".
Das kann ich. Und versetz dich umgekehrt mal in die Situation eines Mannes, der sich sein Leben lang unter diesem "Generalverdacht" weggeduckt hat, der bis heute große Schwierigkeiten hat, Nähe überhaupt zuzulassen, in der Angst, irgendwelche Grenzen zu überschreiten. Der dadurch - auch seinen Kindern gegenüber - oft unnahbar und abweisend erscheint, hartherzig und nicht zu Zärtlichkeit fähig. Der eine Ehe mit einer Frau eingegangen ist, die schweren sexuellen Missbrauch erdulden musste und in unendlicher Geduld mehr als 10 Jahre fast auf jede Sexualität verzichtet hat, dessen Selbstwertgefühl massiv beschädigt wurde, weil ihm immer und immer wieder suggeriert wird, dass seine Sexualität falsch, gefährlich, toxisch, böse und unter allen Umständen zu unterdrücken ist.
Und der dann immer noch, egal was er in sein im Leben getan oder nicht getan hat, "unter Generalverdacht" steht.
Wie gesagt: Ich sage nicht, dass dies die "Schuld" von Frauen sei - ich will auch nicht darüber diskutieren wollen, wer es "schwerer" hat oder mehr zu "bemitleiden" wäre. Das würde Einzelschicksalen nicht gerecht.
Was ich aber nicht mehr hören kann, ist, dass ich "als Mann" mich eben damit abfinden müsse, und dass ich mich nicht so anstellen solle. Dass ich mich eben in die Rolle des potentiellen Gefährders fügen müsse.
Das empfinde ich als sexistisch und unmenschlich. Und ich habe jedes Recht, das so zu empfinden.
Das fällt sicher unter Prägung durch Erfahrungen. Wobei ich nicht wie ein paranoider Mensch durch den Alltag gehe. Es ist eine latente Wachsamkeit fremden Männern gegenüber.
Und das ist so legitim wie notwendig. Aber wie gesagt: Das prägt auch "uns" Männer und erzeugt bei Menschen wie mir leicht das Gefühl, nirgendwo hinzugehören: Ich kann mich mit vielen Männern nicht identifieren, und umgekehrt nehmen mich viele Frauen, die mich nicht kennen, trotzdem erst einmal als Gefahr wahr. Man(n) sitzt da ganz schnell zwischen allen Stühlen. Und wenn dann diese "andere" Männerbild wie gesagt von vielen Frauen gar nicht gewollt wird, sondern dann doch der brutale Macho, hilft das auch nicht unbedingt.
Also ja: Ich bin sauer auf Männer, für deren Verhalten ich mich in Grund und Boden schämen würde. Aber eben nicht nur dafür, was sie Frauen damit antun, sondern auch dafür, was sie mir und anderen Männern damit antun.
Und dann will ich nicht in die besondere Verantwortung genommen werden, gegen ein solches Verhalten anzugehen, weil ich ein Mann bin und beweisen muss, dass ich kein Monster bin.
Ich will in diese Verantwortung genommen werden, weil es - für Männer wie für Frauen - selbstverständlich sein muss, so ein Verhalten nicht zu tolerieren, und weil ich mich über meine Werte und Überzeugungen definiere, nicht über meine Geschlechtszugehörigkeit.