Hui, was für eine coole Diskussion.
Jetzt frage ich mich auch gerade: Ab wann ist etwas "Liebe"?
Auch wenn bereits der Wunsch geäußert wurde, dieses Thema loszulassen, so sehe ich es NICHT zwangsläufig als ein Nebenthema an. Denn die Frage "Ist die Mehrliebe in unseren Genen verwurzelt" hängt für mich sogar sehr stark damit zusammen, wie ich eigentlich Liebe definiere und ab wann ich jemandem sage "Ich liebe dich".
Und daraus abgeleitet: Darf ich morgen meinem weiteren Partner ebenso "Ich liebe dich" sagen, ohne dass es die Qualität oder Wertigkeit meiner Liebe zum vorigen Partner infrage stellt? bzw. Ab wann wird einem von außen Willkür unterstellt? Und über wen genau sagt das dann etwas (und was) aus?
Nach einer Suchmaschinen-Recherche bin ich gerade auf dem bekannten Schnell-Nachschlagewerk gelandet und finde diese Form der Liebesdefinition durchaus gut (v.a. weil sie m.E. noch viel Raum lässt):
Liebe (über mhd. liep, „Gutes, Angenehmes, Wertes“ von idg. *leubh- gern, lieb haben, begehren[1]) ist eine Bezeichnung für stärkste Zuneigung und Wertschätzung.
Nach engerem und verbreitetem Verständnis ist Liebe ein starkes Gefühl, mit der Haltung inniger und tiefer Verbundenheit zu einer Person (oder Personengruppe), die den Zweck oder den Nutzen einer zwischenmenschlichen Beziehung übersteigt und sich in der Regel durch eine entgegenkommende tätige Zuwendung zum anderen ausdrückt. Das Gefühl der Liebe kann unabhängig davon entstehen, ob es erwidert wird oder nicht. Hierbei wird zunächst nicht unterschieden, ob es sich um eine tiefe Zuneigung innerhalb eines Familienverbundes (Elternliebe, Geschwisterliebe) oder um eine Geistesverwandtschaft handelt (Freundesliebe, Partnerschaft) oder aber um ein körperliches Begehren gegenüber einem anderen Menschen (Eros). Dieses Begehren ist als körperliche Liebe eng mit der Sexualität verbunden, die jedoch nicht unbedingt auch ausgelebt zu werden braucht (vgl. platonische Liebe).
Ich bin mir persönlich nicht sicher, ob ich auch meinen Briefträger lieben kann oder den cholerischen Chef. Oder ob die Liebe exklusiv für Freunde, Familie und Partnerschaften reserviert ist.
Seit einiger Zeit beschäftige ich mich stark mit den Themen Tod und Sterben. Die Frage, ob es Nahtoderlebnisse gibt oder die Empfindungen beim Sterben lediglich auf die bloße Stressreaktion von panisch feuernden Neuronen zurückzuführen ist, gehört sicher zu einer eigenständigen Diskussion.
Jedoch geht es mir unter die Haut, wenn Menschen, die klinisch tot waren, von einer allumfassenden Liebe sprechen. Und davon, wie unwichtig (und ein bisschen kindisch) unsere menschlichen Anhaftungen und Kategorien in den Augenblicken des fleischlichen Sterbens plötzlich werden können.
Ich glaube daran, dass jeder Mensch auf der Erde etwas
sucht. Und sei es bloß das "Trauma der eigenen Erziehung zu überwinden" (aus einem anderen Thread hier).
Meiner Ansicht nach wachsen die meisten Menschen ziemlich entfremdet von Liebe auf. Die Hilflosigkeit im Umgang damit spiegelt sich m.E. in einem sehr scheuklappenartigen Kategoriesieren wieder: "Person X darf ich offiziell lieben, Person Y muss ich aus meiner Liebesfähigkeit kategorisch ausschließen."
Was ist zum Beispiel, wenn ich anstatt einer Person bloß ein bestimmtes
Verhalten dieser Person liebe? Zum Beispiel: "Ich liebe es, dass die Bäckereifachverkäuferin mir morgens immer Guten Morgen sagt. Ich fühle mich dadurch von ihr gesehen. Das gibt mir ein wohlig warmes Gefühl im Bauch. Sind das etwa Schmetterlinge?"
Die Freude am leben zu sein, frische Luft zu atmen, auf der Straße absichtslos (auch ein Wort, das wir woanders diskutiert haben) angelächelt zu werden, die frischen Pfefferminzblätter aus meinem Tee kühl und bizzelnd auf meiner Zunge schmecken zu können, ...
Diese kleinen Dinge erzeugen Schmetterlinge in meinem Bauch. Ich fühle mich zu Dingen und Menschen hingezogen und baue nach und nach vertrauensvolle Bindungen (oder: Vernetzungen mit stärkeren und schwächeren Strängen) auf.
Diese Bindungen sehe ich als einen Ausdruck meiner Liebe zu diesem Leben.
Ich kann Menschen verstehen, die solche Dinge sauber und ordentlich in ein Schema "eintüten" möchten. Ohne Kategorien hätten wir auch ziemliche Schwierigkeiten uns miteinander zu unterhalten, da jedes Wort zuerst langwierig in den unterschiedlichen Lebensrealitäten abgeglichen werden müsste.
Und so unterscheide ich durchaus auch selbst zwischen Menschen (und Tieren und Dingen), die ich offiziell liebe und die mir sehr viel bedeuten und solchen, die (noch) nicht in meinem Liebe-Radius sind.
Das mache ich vor allem zur Versimplifizierung. Es erleichtert Gespräche und es hilft auch dem eigenen Gefühl, weil mein Herdentrieb gerne so sicher wie möglich sein möchte, dass z.B. mein Partner zu mir steht. Und nicht etwa alle Menschen gleich liebt, denn dann wäre ich ja nichts Besonderes mehr in seinem Leben..... Hui, diese Ego-Themen sind harte Brocken.
Dies ist die eine Sache, vor der ich bezüglich Tod keine Angst, sondern so etwas wie Neugier empfinde: Wenn alles Weltliche (inkl. Hierarchien) unwichtig wird und plötzlich in den Hintergrund tritt, wie (eng) definiere ich in diesen letzten Atemzügen dann das Konzept der "Liebe"?
Ich hoffe aber dennoch, dass ich auf die Antwort noch eine Weile warten muss. Ich möchte gerne noch eine ganze Zeit lang leben und lieben dürfen (wen oder was auch immer ich möchte).
Taride