Hm, Brian, da ist eine ganze Menge "unangenehm wahres" dran, denke ich. Unangenehm, weil es Illusionen zerstört, aber Wahr, weil es sich in größeren Teilen mit meinen Erfahrungen deckt.
Allerdings möchte ich bei ein paar Dingen auch widersprechen.
Was ich für zutreffend halte (und wie ich finde ganz wunderbar in Jürg Willi's letztem Buch formuliert ist, auf den Punkt!): wir suchen Menschen, die uns etwas bieten, wovon wir bewußt oder unbewußt träumen, Entwicklungspotential oder Status, emotionale Geborgenheit oder Herausforderung, egal. Und laut Willi sind wir oft extrem schnell darin, zu erkennen, ob ein Mensch das bietet oder nicht - oft in Sekunden. Er hat Studien gemacht zur Zufriedenheit und Dauer in Beziehungen abhängig von "Liebe auf den ersten Blick" und "allmählichem Verlieben".
Wobei ich glaube, daß davon abhängig ist, ob wir bereit sind, Verliebtheit überhaupt zuzulassen (nicht auszubremsen) oder sie gar zu bejahen UND wieviele Wünsche und Hoffnungen wir haben, die jemand erwidert/erfüllt, wie stark die erste Verliebtheit ist.
Je stärker sie ist, desto eher bemerken wir sie, wird unsere Sehnsucht gefördert, wird sie verstärkt. Deswegen unterscheide ich nicht so sehr zwischen Knall-auf-Fall oder allmählichem Verlieben, sehe das nur als verschiedene Intensitäten. Und je mehr man einen Menschen tatsächlich kennenlernt, desto mehr Reaktion/Spiegelbildliches auf Sehnsüchte kann man immernoch finden (oder nicht).
Und deswegen glaube ich eben NICHT, daß man sich gewollt verlieben kann, entweder jemand bietet, wonach man sucht, oder er/sie tut es nicht. Ich kann mehr finden, wonach ich suche, aber wenn es nicht da ist, ist es nicht da.
Nichts desto trotz entsteht Bindung durch gemeinsame Erlebnisse, Streicheleinheiten und eben auch Orgasmen, daß Oxytocin diese Wirkung hat, ist ja nichts Neues. D.h. wenn man lange genug auf "nur" Sympathie-Ebene entsprechende Erfahrungen teilt, kann es trotzdem eine harmonische und langandauernde Beziehung sein. Nur gibt sie das Entwicklungspotential nicht, welches eine intensive (! das ist etwas Anderes als harmonisch) Beziehung bietet. Und wie ich finde, ist eben nur mit Verliebtheit diese Intensität möglich, das aneinander und miteinander entwickeln. Assymmetrie klappt nicht (einer über/unterfordert den anderen), zu verschiedene Weltsichten funktionieren auch nur sehr bedingt (das erfordert eine Menge Anpassungsarbeit und dann müssen beide dazu bereit sein, ihre Weltsicht in Frage zu stellen) - alles das kann mit Sympathie funktionieren, innige Beziehungen ermöglichen. Aber dann nur mit gewisser persöhnlicher Distanz, um die nervigen Alltäglichkeiten und Abnutzungserscheinungen, welche Verliebtheit und Liebe ja kittet, zu überstehen. Jedenfalls sehe ich das mittlerweile so.
Und mit persöhnlicher Distanz ist man nicht verliebt, ist halt so.
Was Du beschrieben hast, Brian, daß man so tun kann, als ob man der Traumprinz/die Traumfrau ist, indem man sich so verhält, wie es ein Chamäleon täte - natürlich kann das Verliebtheit bewirken und noch viel mehr. Und dann wird es schnell schwierig, bis hin zum Betrugsvorwurf.
Ist aber ein einfaches Schema: Ich spiegele das vor, was der andere sucht, um seine Sehnsüchte zu befriedigen. Allerdings ist das eben nur zeitlich begrenzt möglich oder mit Einschränkung was emotionale oder räumliche Nähe angeht. Das wird einfach anstrengend oder macht den Spiegelnden krank, wenn es um mehr geht als kurzfristigen Erfolg. Ist mir auch schon passiert, allerdings nicht gewollt, sondern ich habe früher dazu geneigt, die Person zu werden, die mein Gegenüber haben wollte. Für meinen Gegenüber war alles perfekt, traumhaft. Aber ich habe mich verbogen ... Bis ich meinen Mann kennengelernt habe, der tatsächlich nachgespürt hat, wer ICH bin, was ICH will. Und nicht einfach zufrieden damit war, mich als Bestätigung all seiner Träumer zu nehmen - auch wenn ich das nur für ihn mache, mich so geben würde und es nicht BIN.
Mache ich heute nicht mehr. Wenn ich merke, jemand möchte etwas von mir, was ich nicht geben kann (und will), weil ich dieser Mensch nicht bin und mich auf dieser Ebene dem anderen auch nicht verbunden fühle, dann sage ich ihm deutlich, was los ist und daß das nicht die Art von Beziehung ist, die wir aus meiner Sicht führen. Es ist normal, daß man gerade am Anfang einer Beziehung wandlungsfähig ist, sich gegenseitig erforschen möchte und muß und bereit ist, mit dem Gegenüber für eine gemeinsame Basis auch sich selbst anzupassen, Kompromisse auszuhandeln.
Das ist normal und gesund. Aber es gibt eben auch die ungesunden Extremformen: daß man dem Gegenüber bewußt etwas vorspielt in seiner Wandlungsfähigkeit, was man nicht ist, um ihn/sie verliebt zu machen. Oder daß man sich unbewußt so anpaßt, weil man verliebt ist, daß man nicht mehr nach außen transportiert, wer man wirklich ist, sondern wer man sein möchte - auch, um den anderen verliebt zu machen.
Aber sich selber so beeinflußen, daß man verliebt ist, obwohl der andere das nicht auslöst - das geht glaube ich nicht.