Meine Partnerin ist letztes Jahr nach der Trennung von ihrer Zweitbeziehung in ein ziemlich tiefes, lang anhaltendes schwarzes Loch gefallen. Sie bekam eine mittelschwere Depressionen mit allem was dazu gehört: Lust- und Interessenlosigkeit, Verlust der Libido, Angst- und Panikattacken... ich war in der Zeit für sie da, habe sie gestützt und gehalten und meine Aktivitäten bzgl. Zweitbeziehung eingestellt. Es war eine ziemlich heftige Zeit. Für uns beide.
Ich habe darüber gebloggt:
Polyamorie - und wie bitteschön geht man mit Liebeskummer des Partners um?
Dass das von uns gewählte Beziehungs-Model nicht einfach sein würde, war mir von Anfang an klar. Dass es rauchen würde an allen Ecken und Enden, sobald der eine Partner sich länger mit jemand anderem trifft, war mir auch klar. Auch wenn in mir der ganz starke Wunsch vorhanden ist, es dem Partner einfach zu gönnen, einfach zu sagen: „Wow, prima. Hab viel Spaß, ich freue mich für dich.“ Ist es in der Praxis doch viel schwieriger. Besonders, wenn Gefühle im Spiel sind und ganz besonders dann, wenn Ängste im Spiel sind.
Aber über all jene Ängste und natürlich auch über die Gefühle kann, soll und muss man reden. Und zwar immer wieder. Auch, wenn man sich selbst nicht mehr jammern hören kann, wenn man der Meinung ist, alles eigentlich schon irgendwie und irgendwann einmal gesagt zu haben, muss man wieder und wieder darüber reden können. Jede Situation, jeder neue Flirt, jedes Schwärmen am Anfang, jedes Date kann den Partner in einem besonders ungeschützten oder schwachen Moment erwischen.
Aber man weiss auch, dass es für seinen Partner etwas schönes ist. Ein schöner Moment, eine schöne Zeit, ein tolles Date, ein heißer Flirt. Darüber kann man sich mit dem Partner mitfreuen.
Was aber passiert, wenn man mitbekommt, dass die andere Beziehung seinen Partner belastet? Dass er eben nicht glücklich strahlend von letzten Date heimkommt? Was passiert, wenn man bemerkt, dass der Partner nach einem Blick auf die Benachrichtigungen im Handy nicht mit einem Lächeln, sondern eher mit Trauer, Resignation oder gar Wut reagiert?
Wie geht man damit um, wenn man gemeinsam lachend zusammen sitzt, kurz aufsteht, um einen Kaffee oder Tee zu holen, zurückkommt und sieht, dass der Partner, der eben noch über einen Witz oder ein Herumblödeln herzhaft gelacht hat, traurig das Handy beiseite legt und ganz in sich gekehrt ist?
Wie geht man damit um, wenn der Partner von einem Telefonat mit dem anderen tränenüberströmt aus dem Zimmer kommt und sich dann schluchzend ins Bad verzieht?
Und ganz wichtig: Wie geht man damit um, wenn der trauernde aber dich liebende Partner meint, dich schützen zu wollen, indem er dich nicht mit in seinen Kummer hineinziehen möchte, damit aber im Endeffekt etwas ganz anderes erreicht?
Nun, jeder Mensch ist anders. Manche trauern kurz und heftig, andere länger und still. Die einen möchten sich am liebsten verkriechen und in Ruhe gelassen werden, während die anderen versuchen, sich abzulenken. Und dann gibt es natürlich noch jene, die das eine sagen, aber eigentlich das andere wollen.
Diese Zeit des Kummers ist eine ziemlich heftige Zeit. Zunächst natürlich für die trauernde Person selbst, aber auch für den Partner, der in vielen Situationen eigentlich nur falsch reagieren kann. Und schlussendlich kann das auch eine Härteprobe für die Beziehung der beiden sein oder für das gesamte polyamouröse Beziehungsmodel. Denn man muss sich darüber im Klaren sein, dass es für die Zeit der Trauer – je nach Herangehensweise des Paares – keine wirkliche Beziehung in dem Sinne mehr gibt. Es ist alles überschattet vom Kummer. Und von halb ausgesprochenen oder halb heruntergeschluckten Konflikten.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass jede Form von Beziehung gute und schlechte Zeiten hat. Es kann immer vorkommen, dass der eine oder andere unglücklich ist, einen Verlust erlitten hat oder ganz einfach nur Kummer hat. Dass der jeweils andere Partner dann darauf Rücksicht nimmt, Raum lässt, Zeit gibt, Nähe gibt, wenn Nähe gewünscht wird, sollte eigentlich klar sein.
Denn in diesem Fall ist es egal, woher die Trauer stammt. Der Partner fühlt sich nicht wohl, es geht ihm nicht gut, er hat einen schmerzhaften Verlust erlitten. Dass dieser Verlust aus einer Trennung mit einem anderen Partner stammt, ist erst einmal egal.
Man sollte sich das immer wieder sagen.
Gerade dann, wenn man das Gefühl hat, alles falsch zu machen, weil jedes Wort, jeder Satz, jede Geste von dir dem anderen in bestimmten Momenten einfach weh tun kann. Du selbst kannst eigentlich nichts anderes machen, als mit viel Geduld versuchen, das zu machen, was du sonst auch tust. Und dabei den Partner beobachten, ob es ihm gut tut oder nicht.
Doch was passiert in all der Zeit mit dem nicht trauernden Partner? Was geht in ihm vor? Was kann der tun, um sich zu schützen? Was kann, darf und soll er einfordern in dieser Zeit?
Das ist nicht leicht zu beantworten und selbst nach meiner letzten Erfahrung diesbezüglich, kann ich nur sagen: Es hängt von den eigenen Ängsten ab. Und darüber muss auch nach einer gewissen Zeit geredet werden können, auch wenn es dem trauernden Partner schwer fällt.
Denn wenn sich der Trauernde über eine längere Zeit in sich zurückzieht, ist das für ihn natürlich legitim und vollkommen nachvollziehbar. Aber für den anderen ist es eine Herausforderung.
Wenn der Trauernde nicht über das alles reden möchte, weil er alles gedanklich schon X-mal durchgekaut hat oder aber aus Liebe heraus, weil er den anderen schützen möchte, dann ist das auch wieder legitim und nachvollziehbar. Aber für den anderen wirkt das wie ein Vertrauensentzug. Und das wiederum kann bei ihm diverse Ängste aufbrechen lassen. Denn wo Vertrauen fehlt, um über etwas schmerzhaftes mit dem Partner zu reden, da muss ja auch noch anderes im Argen sein. Denn Vertrauen ist das Fundament einer jeden Beziehung. Ohne Vertrauen keine Nähe. Ohne Nähe keine Geborgenheit. Ohne Geborgenheit keine Liebe. Ohne Liebe keine Bindung.
Um diese und andere Ängste nicht aufkommen zu lassen, muss man seinen Partner nach einer gewissen Zeit einfach involvieren. Natürlich sollte man nicht über bestimmte Themen reden, wie sehr einem zum Beispiel der ach so wundervolle Sex mit dem anderen fehlt. Das wäre eher kontraproduktiv. Aber alles andere ist sinnvoll.
Es geht einfach nur darum, dass man versteht, was passiert ist, um abschätzen zu können, wie man seinen trauernden Partner auffangen kann. Es geht wieder einmal darum, dass kommuniziert wird.
„Es geht mir nicht gut, weil der andere mit mir Schluss gemacht hat“ versteht man besser als „Es geht mir nicht gut, hat aber nichts mit dir zu tun“.
Ohne Kommunikation, ohne Wissen um die Gefühle des anderen, steht man da und weiss nicht weiter, ist hilflos. Man weiss zwar, dass irgend etwas passiert ist, aber nicht was. Man merkt zwar, dass der Wunsch nach Nähe beim Partner gerade eher nicht vorhanden ist, aber man weiss nicht, warum. Man hat zwar einen körperlich anwesenden Partner, aber geistig ist er ganz wo anders. Und man weiss nicht warum.
Daher ist es so wichtig, dass man miteinander redet, auch wenn es beiden schwer fällt. Dem Trauernden, weil er darüber reden muss. Und dem Begleitenden, weil er sich zum Beispiel versehentlich Details anhören muss, auf die er gerade in dieser Zeit lieber verzichtet hätte.
Während all das, was ich bisher geschrieben habe für jede Form von Beziehung gilt (Kommunikation! Kommunikation! Kommunikation!), ist es für ein Poly-Konstrukt noch mal um einen enormen Faktor wichtiger. Hier ist jedem Partner klar, dass immer eine dritte (oder bei manchen auch eine vierte, fünfte, sechste und siebte) Person betroffen oder involviert sein kann.
Natürlich kann ich von Anfang an sagen „mich interessiert es nicht, was du ausserhalb unserer Treffen so machst und ich will davon auch kein Wort hören“, aber das hat für mich nichts mit Amorie zu tun. Wie kann ich vorgeben, meinen Partner zu lieben, wenn mich nichts interessiert, was nach dem Wochenende, an dem wir uns treffen, in ihm vorgeht? Das fühlt sich für mich eher nach „Rosinenpickerei“ an. Ich mache mit der Person das, was mir gefällt, sollen sich doch andere darum kümmern, was hinterher ist.
Wenn beide Personen (und ja, dazu gehören IMMER beide), damit einverstanden sind, dann kann man natürlich auch ohne das ganze komplizierte Kommunikations-Thema leben. Man trifft sich hin und wieder, vögelt miteinander, geht auseinander, schreibt vielleicht ab und zu noch miteinander aber ansonsten lässt man das Thema auf sich beruhen. — Spätestens aber dann, wenn bei dem einen oder anderen Gefühle mit im Spiel sind, wird es komplizierter. Man muss den Mund plötzlich auch zum Reden benutzen.
Und das bedeutet, man muss das offen legen, was einen beschäftigt. Man sollte vielleicht auch seinen eigenen Zoo offen legen. Damit gibt man seinem möglichen Partner die Chance, zu entscheiden, ob er das überhaupt will oder nicht. Ich nenne das Fairness und Verantwortung.
Dass man in einem Poly-Konstrukt nicht immer alles mit jedem besprechen kann, ist auch klar (sonst kommt man eventuell nicht mehr zum eigentlichen wesentlichen Teil der Beziehung). Aber man sollte diejenigen Personen involvieren, die von den Gefühlen oder Gedanken direkt betroffen sind. Lebt man also primär mit einer Person zusammen und ist das so abgesprochen, dann müssen Ängste, positive wie negative Gefühle, Wünsche, Träume, Sehnsüchte miteinander besprochen werden. Und dann findet man immer einen Weg, damit umzugehen.
Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe mich von Anfang an nicht wirklich um die andere Beziehung meiner Partnerin geschert. Sie war einfach da. Und ich musste lernen, damit umzugehen. Ich habe nicht nachgefragt, wie es ihr damit geht und ich habe auch sonst meine eigenen Bedenken diesbezüglich bei mir behalten. Ich habe sie weder auf mögliche Konflikte aufmerksam gemacht, noch habe ich ihr jemals direkt gesagt, dass ich ihn für einen ziemlichen Arsch halte (was ich hiermit offiziell nachhole, meine Liebe).
Ich hatte mir am Anfang gesagt, dass mich das nichts angehen darf, weil diese Beziehung schon länger existierte, als die zu mir. Außerdem habe ich mir oft genug Gedanken darüber gemacht, ob ein bestimmtes Gefühl meinerseits bezüglich ihrer Beziehung zu ihm, nicht vielleicht auch einen ganz anderen Hintergrund haben könnte. Waren da meine Ängste im Spiel? War da gar Eifersucht im Spiel?
Ich habe erst dann angefangen, Fragen zu stellen, als sie mir mal erzählte, dass er sich nach einem Treffen plötzlich nicht mehr gemeldet hatte. Dass er ein ganzes verlängertes Wochenende über die Kommunikation mit ihr eingestellt hatte. Und das, obwohl sie ihm noch geschrieben hatte, dass sie wegen einer Sache dringend Klärungsbedarf hätte.
Aber da war es schon reichlich spät. Dadurch, dass ich zuvor keinerlei Neugier oder Gesprächsbereitschaft diesbezüglich gezeigt hatte, ist es im Nachhinein nur allzu verständlich, dass sie mir wenig von ihren Konflikten mit ihm erzählen wollte. Im Endeffekt habe ich dadurch nicht gezeigt, dass sie mir vertrauen kann. Und das tut mir sehr leid.
Aber ich habe daraus gelernt.
Ich für meinen Teil weiss, was Trauer und Kummer in mir auslösen. Ich weiss, welche anderen Gefühle dadurch entstehen. Ich habe in meinem Leben oft genug trauernde Menschen begleitet. Und ich habe es oft genug erlebt, dass ich nach dieser Trauer-Phase nicht mehr benötigt wurde und daher dann einfach ausrangiert wurde.
Natürlich ist die einfachste Art mit einem trauernden Partner umzugehen, sich einfach mit den Worten „geht mich nichts an“ zurückzuziehen, und den anderen selbst damit zurechtkommen zu lassen. Und dann, wenn er „fertig“ ist, wieder hervorzukommen, einen oder zwei doofe Witze zu machen, ein Lächeln aufzusetzen und wieder ins gemeinsame Leben einzusteigen. — Wenn denn noch eines vorhanden ist.
Aber diese Art liegt mir nicht.
Ich für meinen Teil habe auch oft genug selbst Trauer und Kummer empfunden. Ich habe mir in dieser Zeit immer jemanden gewünscht, der einfach da ist. Mit mir Geduld hat. Der mir einfach einen Tee oder einen Kaffee macht, mir wortlos Kekse oder Obst hinstellt. Der mir sein Ohr leiht, damit ich es ihm abkauen kann. Der mir in der Zeit Abends eine Geschichte vorliest, damit ich einschlafen kann. Der sich in der Nacht, wenn die Ängste am schlimmsten sind, einfach an mich ankuschelt und mir Halt gibt. Der mir irgendwelche abstrusen Geschichten erzählt, damit ich lachen und laut „Du bist sooooo doof“ rufen kann. Oder der mich einfach wortlos in die Arme nimmt und mich geduldig weinen lässt.
Diese Art liegt mir mehr. Denn das bin ich.