„Einfach normal sein (Kurzgeschichte)
Ich fand diese Geschichte absolut super und habe mich davon inspirieren lassen
Mittagessen zu zweit (eine Kurzgeschichte)
"Hi Mandy!"
Ich schaute auf und lächelte. Meine Freundin Nadja kam mir freudestrahlend entgegen. Ich sah ihr direkt an, dass sie Neuigkeiten hatte.
"Spucks aus, was ist passiert?", lachte ich. Wir kennen uns schon so lange, da darf ich mit der Tür ins Haus fallen. Sie senkte verschämt den Kopf und grinste übers ganze Gesicht.
"Ich habe jemanden kennen gelernt!", sagte sie. "Und er ist auch nicht normal!", flüsterte sie mir ins Ohr. Ich verdrehte die Augen, ich wusste ja genau, was sie meinte.
"Er ist auch monoamor?", flüsterte ich zurück. Es sollte nur ja niemand hören, worüber wir da redeten, das wäre mir ja auch einfach zu peinlich.
Nadja nickte und setzte sich nahe zu mir. Sie erzählte mir, dass er Sven heisst, wie er aussieht, was er beruflich macht, wie sie sich kennen gelernt hatten und vor allem wann.
"Wieso erzählst du denn erst jetzt davon?", fragte ich, eingeschnappt. Sie sah mich mit einem entschuldigenden Blick an.
"Du bist meine beste Freundin, aber ich wollte das zuerst einmal alleine für mich entdecken. Und ich habe mich dafür geschämt, eine App für Monoamorie-interessierte Personen überhaupt herunterzuladen! Wenn ich es dir erzählt hätte, dann wäre ich den Schritt Richtung Date niemals gegangen! Kannst du mir verzeihen?"
"Natürlich verzeihe ich dir. Aber ich kann einfach nicht verstehen, was an Monoamorie so toll sein soll. Wie kann man sich nur in eine Person verlieben? Und heisst das, ihr müsst euch gegenseitig kontrollieren? Also, dass niemand von euch was mit jemand anderem hat? Wie geht das mit dem Sex, ich meine, wird das nicht mal total langweilig? Und muss man wirklich alles nur mit einer einzigen Person machen? Also auch Freizeitsachen und so? Wirst du dann nur noch ihn sehen und niemanden sonst, oder wie?", sprudelte es aus mir heraus.
Entnervt antwortete sie: "Das habe ich dir doch schon tausendmal erklärt... Ich weiss nicht genau, warum ich meine Partner nicht teilen will. Ich bin einfach so. Und nein, es geht bei Monoamorie nicht um Kontrolle, sondern um Exklusivität. Darum, dass man sich ein Versprechen gibt. Die Hoffnung, dass es das ganze Leben lang nur uns zwei gibt..."
Sie lächelte verliebt in sich hinein, bevor sie meinen skeptischen Blick sah und mich anfauchte: "Und natürlich werde ich meine Freunde und Hobbies nicht aufgeben, so was ist doch genau gleich wie bei einem Polykül. Wir sind gar nicht so anders. Vielleicht ist Monoamorie sogar etwas einfacher, weil ich meine Zeit nicht auf mehrere Partner verteilen muss, hast du schon mal daran gedacht?!"
Ich lachte beschämt. Ich wollte es ihr ja nicht schwer machen. Aber es war halt schwierig zu verstehen.
"Hast du mit ihm denn schon mal darüber geredet, wie ihr es mit Kindern und so machen wollt? Ich meine, ohne ein Polykül seid ihr ja nur zu zweit. Und wie wollt ihr eine Ehe schliessen, das geht doch nicht so einfach, nur zu zweit? Und eben, wie stellst du dir langfristig den Sex vor, das ist ja einfach..." Ich beendete den Satz nicht. Musste ja nicht. Sie hatte alle Argumente schon tausendmal gehört, seit sie sich mir gegenüber geoutet hatte.
Grummelnd sagte Nadja: "So weit sind wir doch noch gar nicht. Aber ich weiss, dass ich monoamor bin und das kann und will ich nicht ändern. Ich habe jahrelang polyamor gelebt, mich der Gesellschaft angepasst, aber es löst nur Angst in mir aus. Ich verhalte mich irrational, werde eifersüchtig und verletzend und kleinlich und das will ich einfach nicht mehr. Schön und gut, wenn es für alle anderen passt, aber ich kann das nicht."
Ich musste mich davon abhalten, die Augen zu verdrehen. Wie kann man nur! Doch Nadja merkte nichts davon: "Und Sven will es mal ausprobieren. Er hat mehrere Beziehungen gehabt, aber immer eher hierarchische. Egalitär oder sogar Beziehungsanarchismus sagte ihm gar nicht zu. Ein Klischee, nicht? Der Hierarchist, der monoamor wird? Na ja, und dann hatte er mit seinen letzten Freundinnen so viele Probleme, weil sie wirklich voll poly waren und er halt eigentlich nur Zeit mit einer von den beiden verbringen wollte. Im Spass haben sie ihm an den Kopf geworfen, dass er vielleicht mono ist. Und seitdem studiert er an dem rum."
Sie lächelte verträumt. "Er ist gar nicht so anders als ich. Aber ich mache mir schon Sorgen, dass er dann doch wieder poly sein will. Ist halt blöd, wenn man selbst weiss, wie man gepolt ist, aber der Partner ist noch am Ausprobieren."
Ich lächelte mild und hörte ihr zu, wie sie die wildesten Zukunfts-Theorien von sich gab. Ein Einzel-Ehevertrag. Kinder nur zu zweit aufzuziehen. Die Probleme von Paaren und Kleinfamilien, wie z.B. Familienrabatte. Extra ein kleineres Auto kaufen, weil sie zu wenig Personen in der Familie sein werden. Wie sie sich auch kein Haus leisten könnten, da Häuser nicht für Paare ausgelegt sind. Generell wie sie die zukünftigen Schwierigkeiten eines Paares umschiffen wollten. Paar - was für ein komisches Wort! Wie ein Paar Schuhe. Etwas das man anzieht halt. Aber sonst hört man das ja wirklich gar nie und schon gar nicht im Kontext einer Beziehung...
Irgendwann schwärmte Nadja nur noch, das Thema Monoamorie ein wenig in den Hintergrund. Zum Glück. Sie erzählte mir von seinen warmen braunen Augen, die so tief waren, dass man darin versinken könnte. Und von seinen leidenschaftlichen Küsse. Und seiner liebevollen, ehrlichen Art. Von seinem Lachen und seinem Humor. Einfach perfekt! Neue Beziehungsenergie halt, kannten wir ja alle aus erster Hand. Und er hörte sich ja auch super an, aber niemals konnte ich mir vorstellen, monoamor zu leben! Keine Person war mir das wert.
Die Mittagsstunde verflog schnell und schon bald machte ich mich auf dem Weg zurück ins Büro. Unsinn, dachte ich, niemals wird das was. Die werden beide schon noch sehen, dass Polyamorie langfristig realistischer ist. Monoamorie funktioniert nie! Aber sollen es sie ruhig mal ausprobieren. Sie werden schnell merken, wie mühsam es ist, wenn man gegen den Strom schwimmt.
Ich teilte meiner Frau und meinem Mann die Neuigkeiten mit. Dass Nadja jetzt einen
monoamoren Freund hat und erhielt sofort die erwarteten belustigten und geschockten Reaktionen.
Ich lachte lauthals.
Die Welt war wieder in Ordnung und ich konnte alle Kollegen mit einer guten und absurden Geschichte belustigen. Und dankte Nadja innerlich, dass sie mein Leben so spannend gemacht hat!