Verschiebung der Bedürfnisse /Coronaauswirkungen
Hallo Ich bin mir nicht sicher, was für Antworten ich darauf überhaupt suche aber ich habe das Bedürfnis mich zumindest einmal auszudrücken und vielleicht den ein oder anderen Gedanken von anderen dazu zu hören.
Vorweg, ich möchte keine Wertung ob das jetzt nun 'genug' Poly ist oder nicht. Ich erkläre erstmal nur den groben Rahmen, wie es bei mir aussieht.
Ich bin aktuell in einer einzigen Beziehung.
Als mein Partner und ich uns kennengelernt haben, war der erste Lockdown etwas weniger als ein halbes Jahr noch entfernt.
Er war damals in einer anderen Beziehung und die beiden wollten ausprobieren, ob eine polyamore Lebensweise zu ihnen passt.
Die Beziehung scheiterte und ich war in der Zeit für ihn da und irgendwann klebte auch das offizielle Label einer Beziehung an uns beiden. 🤭 Ich selbst habe ihn kennengelernt, als ich bewusst auf der Suche nach einem polyamoren Partner war und so war für uns beide klar, wir wollen keine Monobeziehung.
Wir beide hatten und haben außerhalb unserer Beziehung Kontakte aber es hat sich auf beiden Seiten keine weitere Beziehung ergeben. Durch den ersten Lockdown und die Zeit davor sind wir sehr nah aneinander gerückt und unser Fokus ist sehr stark auf uns beide konzentriert.
Nun, den weiteren Verlauf mit Lockdown etc kennt ihr ja alle auch persönlich. Aber so war es uns beiden auch kaum möglich neue Kontakte zu knüpfen.
Zudem kommt dass ich zum ersten Lockdown quasi meinen Job verloren habe und seitdem die meiste Zeit eh Zuhause sitze. Soziale Kontakte sind also kaum gegeben.
Für uns beide haben wir festgestellt, dass wir uns mit Poly wohl fühlen und den anderen nicht einengen wollen. Prima. Aber!
In seinem Leben gibt es außer mir auch noch ein Kind aus der vorherigen Beziehung, also ist seine Zeit generell schon eingeschränkt. Und da kommt der Punkt an dem wir darüber gesprochen haben, wie realistisch überhaupt eine weitere Beziehung ist. Wir beide wohnen zusammen und damit haben wir natürlich einen gemeinsamen Alltag. Dann kommen alle anderen 'Verpflichtungen' und am Ende bleibt so schon kaum Zeit für uns beide darüber hinaus.
Eine 'vollwertige' weitere Beziehung hätte da gar keinen Raum, ohne das unsere Beziehung stark an Tiefe verlieren würde. Und weder er noch ich sind an allzu oberflächlichen Geschichten interessiert. Es geht uns eben eigentlich darum, das wir jeden Menschen offen begegnen können und nichts 'verboten' ist, das es sich in jede Richtung entwickeln kann. Ob Freundschaft oder Liebe, egal.
Nun fühlt sich das alles so an, als würde es sich gar nicht in die Richtung 'entwickeln', die wir eigentlich gedacht hatten. Denn einerseits ist da immer der Gedanke, wie viel Zeit habe ich überhaupt für jemand anderen und andererseits Corona und damit eben auch die ganzen Einschränkungen.
Ich möchte nicht jemanden treffen und dann quasi ein Risiko eingegangen sein und am Ende passt es nicht. Aber niemanden zu treffen fühlt sich auch komisch an. Als hätten wir uns jetzt doch auf Mono geeinigt, ohne das es beide wollen.
Ich habe ein bisschen Sorge, dass wir uns da jetzt so 'festfahren'. Und wenn endlich alles etwas lockerer ist und wir nicht mehr so unter den Kontaktbeschränkungen leiden, es sich wieder komisch anfühlt jemand anderes zu treffen. Und dann vielleicht doch alte Denkmuster mehr Raum gewonnen haben, ohne das wir es wollten.
Ich muss dazu sagen, ich bin nicht komplett frei von Eifersucht bzw. in der Tiefe sind es genau genommen Verlustängste. Dagegen hilft bei mir aber sehr viel reden, reden, reden. Aussprechen was ich fühle und was sich schlecht anfühlt. Absprachen wie zb. Zeitrahmen ausmachen und melden, wenn es vereinbart ist. Ist sicher auch nicht für jeden was, da es auch irgendwo mit Regeln verbunden ist aber so klappt es für mich.
Jetzt könnte man sagen, na wenn es sich doch gut anfühlt zu zweit, warum nicht. Und aktuell gibt es mir auch viel Sicherheit im Alltag, da bin ich ehrlich. Und mein Bedürfnis nach Zeit und Nähe von und mit ihm ist sehr groß, da haben sich meine Bedürfnisse definitiv verschoben. Aber das liegt auch daran, dass es eben auch keinen anderen gerade geben kann. Ich habe das Gefühl dieser Fokus 'füttert' meinen inneren Affen. (Der vor allem Angst hat das die Beziehung scheitert.) Und der wird nicht satt.
Trotzdem, ich habe das Bedürfnis auch mal wieder jemand anderen kennenzulernen und zu erleben, erforschen wie der andere tickt, neue Gedanken zu hören. Einfach zu 'leben'.
Ich bin einerseits wirklich unglaublich glücklich in meiner Beziehung, fühle mich aufgehoben und angekommen - und andererseits fühle ich mich durch Corona so eingesperrt in meiner Freiheit und Entfaltung.
Es ist wie es ist einfach eine beschissene Zeit für Poly. Da habe ich endlich jemanden an meiner Seite, der so denkt wie ich und mit dem es möglich ist so zu leben und dann muss man aus Vernunftgründen Zuhause bleiben. Da stehe ich gerade vor wie ein bockiges kleines Kind: Ich will aber!
Wie lange soll ich da denn noch geduldig sein?
Mir ist klar, da gibt es keine Antwort drauf die gefällt. Nämlich so lange warten, wie es eben notwendig ist. Aber ich habe das Gefühl meinen Partner mit meinem geballten Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Liebe auch einfach gerade etwas zu erschlagen. 🤭 Aber ich fühle mich auch manchmal etwas einsam in manchen Punkten und das ist nichts was er ausfüllen kann oder soll. Er geht wirklich wunderbar damit um, wenn mir Mal wieder die Decke auf den Kopf fällt und mein Kopf wegen irgend etwas Karussell fährt.
So, vielleicht hab ich mich schon klar genug ausgedrückt. Falls etwas unverständlich wirkt, fragt gerne nach. Wie schon Eingangs erwähnt, ich weiß gar nicht was ich so wirklich als Antworten erhoffe, vielleicht einfach nur ein paar Gedanken von aussen.
Wie geht es euch aktuell, ist Poly (aus)leben in eurem Augen überhaupt gerade möglich oder haltet ihr alle die Füße still? Ist es etwas das ihr einfach wegstecken könnt und sagt, na dann bin ich gerade nur mit einem Partner zusammen oder habt ihr das Gefühl, es fehlt etwas in eurem Leben?
Und wie machen diejenigen von euch das, die selbst wenig Zeitkapazitäten übrig haben für mehr als eine Beziehung? Ich mein, Poly ist man oder nicht, das hat nichts mit der Menge an Partnern zu tun aber was ist, wenn einfach nicht absehbar ist, dass es eine gute Chance darauf gibt es richtig 'auszuleben'?