Ich bin der Meinung das es wichtig ist, ganz klare Absprachen und Grenzen zu vereinbaren, BEVOR man eine zuvor monogame Beziehung oder Ehe für jedwede Art von polyamorer "Weiterentwicklung" öffnet.
Die Variante "Jeder macht was er für okay hält und wenn es dem anderen weh tut kann man ja immer noch darüber reden und etwas ändern " mag vielleicht bei manchen Paaren funktionieren, bzw. kann ich mir für Konstellationen vorstellen, wo ALLE Beteiligten auch von Haus aus polyamor veranlagt sind, könnte ich mir aber für mich niemals vorstellen.
Es ist jedoch keinesfalls damit getan, diese "Regularien" 1x am Anfang festzulegen und dann war es das.
Bedürfnisse ändern und entwickeln sich, schmerzhafte Triggerpunkte tauchen auf einmal an Orten auf, wo man sie nie vermutet hätte, am Anfang lediglich "nette Ergänzungen" werden im Laufe der Zeit zu "selbstverständlichen Routinen"....
Es bedarf also immer eines offenen und zeitnahen Austausches, um den veränderten Emotionslagen und Lebensumständen jedes Einzelnen Rechnung zu tragen.
Das kann so etwas "alltägliches " sein, wie :
Einer der Partner wird schwer krank, braucht somit einfach mehr Zeit und Aufmerksamkeit , so daß bisher geltende Absprachen für/mit den anderen Beteiligten dem angepasst bzw. untergeordnet werden müssen.
Es kann auch einfach ein Zeitabschnitt sein, in dem einer der Beteiligten aus was für Gründen auch immer nicht in der Lage ist , die polyamore Beziehung in dem Umfang und mit den Regularien weiterzuführen, die bisher galten.
Emotionale Tiefs können jeden von uns einmal treffen, und dann sollte es meiner Meinung nach auch völlig legitim sein, eine ZEITWEISE Änderung der Regularien für sich zu erbitten .
Manchmal "überschätzt" sich einer der Beteiligten, kommt mit einer bestimmten Absprache oder Regelung eben DOCH NICHT KLAR, obwohl er es gerne würde und dachte, er könne dies auch.
Manchmal entwickeln sich Bedürfnisse bei dem oder der "später zu der zuvor schon lange als Zweierbeziehung oder Ehe existenten Verbindung Hinzugekommenen " zu einer Notwendigkeit, um das gesamte Poly-Konstrukt weiterleben zu können, von denen er oder sie am Anfang dachten, es seien Nebensächlichkeiten.
Alles sollte so offen und zeitnah wie möglich zwischen allen Beteiligten kommuniziert werden, ohne das jemand Angst haben muß, wegen seiner "Problemchen" oder den Brocken, an denen er zu kauen hat, als schwach, unwillig oder nicht kompromissbereit zu erscheinen.
Alles ist im Fluß, alles ist im Werden, und wenn man gemeinsam über längere Zeit hinweg eine Reise unternehmen möchte, muß jeder auf alle anderen achten, jeder mal an diesem oder jenem Punkt von seiner "Idealvorstellung" oder seinen Wünschen ein Stück abrücken, wenn einer oder mehrere der Anderen , ZU DIESEM MOMENT und BEI DIESEM PUNKT nicht mitziehen können.
Mag sein, daß die Ehefrau damit klarkommt, daß ihr Mann jede Woche einen Tag bei "der anderen Frau" verbringt, aber nicht, daß er gemeinsam mit ihr übers Wochenende nach Frankreich fährt. Mag sein, daß der Ehemann damit klarkommt, daß seine Frau gerne mit "dem anderen Mann" Wandern geht, da er da sowieso keinen Bock darauf hat, aber ein Problem bekommt, weil in den vergangenen Monaten über die Hälfte der angedachten Fahrradtouren - welche er und seine Frau schon gerne miteinander unternommen haben, bevor aus der mono eine poly Beziehung wurde - gestrichen und abgesagt wurden, da sie lieber Wandern gegangen ist.
Mag sein, daß dieser Umstand für immer so bleibt, kann aber auch sein, daß es einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist, man die gleiche Fragestellung aber 4 oder 8 Wochen später völlig anders beantwortet.
Immer wieder offen miteinander über den emotionalen "Ist-Zustand" aller Beteiligten reden, eine gemeinsame "Standortbestimmung" inklusive der Überprüfung, ob bisher geltende Regularien so weiterbestehen oder geändert werden sollten, ist natürlich anstrengend und hemmt die "Unbeschwertheit" , aber meiner Meinung nach genauso essentiell notwendig, wie die Übereinkunft, immer auf den Langsamsten zu warten, bevor man weiterläuft , eine zuvor mono gestaltete Beziehung noch weiter öffnet, in eine funktionierende Polybeziehung noch einen weiteren Menschen mit ein bezieht........ Das Ziel sollte doch sein, diese Beziehung so lange wie möglich so schön und erfüllend wie möglich für alle Beteiligten zu gestalten, und eben nicht in erster Linie immer auf die vollständige und schnellstmögliche Realisierung der eigenen Wünsche zu achten.
Auch wenn jetzt mit Sicherheit nicht wenige den Kopf schütteln werden, bin ich in diesem Zusammenhang ein bekennender Verfechter des "Veto-Rechtes".
Ob zuvor Zweierbeziehung, polygames V oder was für ein Konstrukt auch immer bestanden hat spielt da keine Rolle.
Wenn ich als Ehemann mit einer Person überhaupt nicht klarkomme, die meine Frau gerne mit in die Beziehung hineinholen möchte, dann geht das nicht. Punkt. Aus.
Wenn ich als Ehefrau mit der Person als reine Sexualpartnerin für meinen Mann zwar klarkomme, sie aber menschlich absolut nicht abkann, dann sage ich NEIN zu seinem Wunsch nach einem gemeinsamen 14-tägigen Urlaub. Punkt. Aus.
Natürlich hat der jeweilige Partner immer die Möglichkeit zu sagen, daß er nicht auf das verzichten möchte, was ich ihm hier "untersage", aber an diesem Punkt müssen dann alle Beteiligten offen und ehrlich ihre Prioritäten bekennen.
Ist mir der Erhalt der "Kernbeziehung" wichtiger oder die Erfüllung dieses Wunsches ?
Kann ich in der bisherigen Beziehung weiter glücklich sein, wenn die Aufrechterhaltung der Beziehung bedeutet, daß sich dieser Wunsch vielleicht nie erfüllen läßt ?
Fazit : Klare Regeln und Grenzen setzen, jedoch immer in dem Bewusstsein, daß sie nicht für ewig in Stein gemeißelt sind und JEDER bereit sein muß, Modifizierungen im Laufe der Entwicklung der Beziehung zu akzeptieren und aktiv mit zu gestalten.