„Was Du schreibst ist alles irgendwie bedenkenswert und psycholgisch wertvoll, doch bleibt es graue Theorie in dem Moment wo man mit Anziehung und Leidenschaft konfrontiert ist, oder?
Mein Soziales Netzwerk bestand ja nie ausschließlich aus Partnern. Sondern in erster Linie aus Familie und platonischen Freunden. Dort schlug mein Helfersyndrom beziehungsweise das "zu viel an falscher Stelle helfen wollen" ja auch durch.
Zum Beispiel: Statt einfach zu sagen: "Hey, cooles Projekt. Nimmst du mich mit?/ Suchst du noch Leute?/ Kann/ Darf ich da mitmachen?", bot ich meinen Mitmenschen oft meine Hilfe oder Unterstützung an. Und auch wenn diese Menschen mich gerne dabei hatten, so hatte es doch ein Geschmäckle, dass ich mich immerzu "als Helferlein"/ "als Unterstützerin" einklinkte.
Wer wird in einer Beziehung (Verwandtschaft, Freundschaft, Partnerschaft) gerne bei allem Möglichem in die Rolle des Hilfsbedürftigen gedrückt?
1. Das war zwar nicht meine Absicht und so betrachtete ich meine Mitmenschen auch nicht. Klar hätten sie es auch ohne mich geschafft. Doch meine Kommunikation war da nicht so klar. Ich vermittelte ihnen das Gefühl, Hilfe zu brauchen oder säte zumindest Selbstzweifel, es womöglich doch nicht allein zu schaffen.
2. Obendrein verbaute ich mir damit selbst jede Menge Chancen auf das Erlebnis, dass die Menschen mich einfach so gerne dabei haben. Ohne dass ich irgendwas dafür tun muss. Einfach weil ich ich bin.
3. Zog mein Kommunikationsverhalten insbesondere Menschen an, die allzu gerne die Opferrolle für sich in Anspruch nahmen. Die viel sagten, doch wenig selbst machten. Und die waren nun mal nicht nach meinem Geschmack. Nach kurzer Kennenlernphase enttäuschte ich diese Menschen und distanzierte mich. Ja klar. Aber es ist doch anstrengend, Zeit- und Energie raubend ständig fremde Menschen anzuziehen, die man gar nicht anziehen mag.
Es braucht halt mehr Mut zu fragen: "Hey, darf ich mitspielen?" als "Hey, ich könnte dir helfen."
Und Fürsorge von Menschen zu erleben, die man mag, ist ja auch etwas Schönes. Gerade das macht es aber schwieriger, einfach Mal "Nein Danke." zu sagen.
Formulierungen wie: "Oh, das ist lieb von dir. Danke für dein Hilfsangebot. Doch dieser Herausforderung stelle ich mich lieber selbst." oder "Nein, die Gruppe ist... und ich glaube, es wäre ein ungünstiger Zeitpunkt, dich mit den Leuten bekannt zu machen. Da kannst du mir nicht helfen. Vielleicht ein andermal." sind da wirkungsvoller. Also bei mir und ähnlich tickenden Menschen war/ ist sowas sehr wirkungsvoll. Das waren Formulierungen, die Aha-Momente erzeugten. Doch darauf musste irgendein Mitmensch erst mal kommen.
Manche Menschen können selbst bei solchen Formulierungen nicht mit der Zurückweisung ihrer "Hilfe" umgehen. Meistens ging es eben nicht ums "Helfen wollen" sondern ums "Dabei sein wollen". Und die Zurückweisung der angebotenen Hilfe wurde nicht als solche sondern als kränkende, persönliche Zurückweisung erlebt.
Was also in einer Gruppe Aha-Momente auslöst, erlebt eine andere Gruppe als Kränkung.
Letztendlich kann man es aber nicht allen Gruppierungen recht machen.
Und obwohl viele Menschen aus meinem sozialen Umfeld (mich eingeschlossen) zu viel Fürsorglichkeit als liebenswerte Macke betrachten, kam es früher doch immer wieder zu Situationen, in denen so eine Macke tierisch nervte. Das waren dann die Situationen, in denen Vertrauen zu Bruch ging, das Gegenüber seine Mauern hoch fuhr und/ oder ausbrach, sich seine Freiheit nahm, sich nicht mehr an Absprachen hielt... Die pure Selbstbehauptung.
Jeder Mensch braucht mal seine Freiheit von...!
In einer Partnerschaft läuft all das bloß sehr viel dramatischer ab. Aber es sind im Grunde genommen dieselben Verstrickungen.
Also mein primäres Übungsfeld als Teenager und junge Erwachsene waren meine platonischen Freundschaften. Dort entwickelten wir gemeinsam Alternativen. Veränderten uns gegenseitig... gewisse innere Einstellungen in bestimmten Situationen. Fürsorglichkeit war unser gemeinsamer Wert, aber das sollte besser laufen. Ohne Zwang. Ohne Freiheitsberaubung. Und die Alternativen, die langfristig gut taten, machten im Freundeskreis die Runde und setzten sich so oder so ähnlich durch.
Formulierungen wie: "Oh, das ist lieb von dir. Danke für dein Hilfsangebot. Doch dieser Herausforderung stelle ich mich lieber selbst." kann ich inzwischen auch meinem Partner oder meinen Eltern sagen. Aber ich habe nicht bei Partner oder Eltern damit angefangen.
Nun zum Stellenwert der Leidenschaft...
In meinen nunmehr 26 Jahren sexueller Aktivität haben mich bereits mehrfach (Möchtegern-)Partner vor die Wahl gestellt: Entweder ich oder deine platonischen Freunde.
Die hatten so eine "Wir zwei gegen den Rest der Welt" Mentalität.
Bis dato habe ich mich jedes Mal für die Freiheit, meine platonischen Freundschaften zu pflegen entschieden. Lieber gar keine Partnerschaft als so eine. Und unter den Männern, die ich deswegen in die Wüste schickte, waren Männer, die waren im Bett einfach nur: Wow! Orgasmen noch und nöcher. Doch Leidenschaft hat in meinem Leben nicht die oberste Priorität. Zwischenmenschliche Verbundenheit ist mir wichtiger. Und ein Mensch, der mich wirklich liebt, kann nicht dagegen sein, dass ich Kontakt zu meinen Freunden pflege. Denn die sind ein wesentlicher Teil von mir.
Und wenn ich etwas an mir als "Macke, die ich loswerden will" identifiziere, dann beziehe ich viele Menschen, die in dieselbe Richtung streben, ein. Vor allem platonische Freunde. Dann bekomme ich es mehr oder weniger von allen Seiten.
Sexuelle Anziehungskraft und Leidenschaft innerhalb einer Partnerschaft hin oder her: Dank meiner platonischen Freundschaften bleibt meine angestrebte Veränderung eben keine graue Theorie.
Das ist meine Antwort. Die gilt für mich und Menschen, die in dem Punkt so ähnlich ticken wie ich.
Doch deine Frage...
„Was Du schreibst ist alles irgendwie bedenkenswert und psycholgisch wertvoll, doch bleibt es graue Theorie in dem Moment wo man mit Anziehung und Leidenschaft konfrontiert ist, oder?
muss sich letztendlich jeder selbst beantworten.