Vorweg: Das, was ich hier schreibe, ist meine höchst subjektive Ansicht und bezieht sich ausschließlich darauf, wie ich lebe, wie es sich für mich anfühlt und wie meine Ideale (im Sinne von "das wäre optimal für mich", nicht "das wäre optimal für die Welt") und meine Realitäten sind. Ich schreibe es nicht in jedem Absatz dazu, aber alles ist höchst subjektiv und soll weder missionieren noch überzeugen noch rechtfertigen oder irgendetwas.
Jedes andere Modell ist genauso richtig, wichtig und wunderschön – aber das hier ist meines. Als eines von vielen, die in der Welt existieren.
NRE ist in meinem persönlichen Erleben hochgefährlich, vor allem wenn ich gefühlt in GEfahr gerate, es als Flickstoff für das sonstige Leben oder gar sonstige Beziehungen zu verwenden. Deswegen will ich dieses Gefühl vermeiden, wo immer es geht. Drei gefährliche Monate hormoneller Überschwang, die man mit großem Misstrauen betrachten sollte, um danach zu schauen, was tatsächlich existiert und was auf Ebene dieses Tatsächlichem (und nicht der hormonellen Wunschträume) entstehen und funktionieren könnte. NRW ist wunderschön, natürlich, wie jeder Rausch, jedes Abenteuer, aber ...
Ich persönlich misstraue dem Gefühl tatsächlich sehr. Es macht blind. Nicht umsonst dauert das hormonelle Hoch und der Rausch üblicherweise nicht allzu lange. Aus irgendeinem Grund schaltet der Körper dann auch Hochdruck und beflügelt. Ich glaube, das ist, damit man nicht merkt, wie sehr in Wahrheit der Status quo damit infrage gestellt wird und wie gefährlich so ein neues Band eigentlich für das bisherige System ist, in dem man lebt. Das geht ja auch mono Menschen so. Auch da verändert ein neuer Partnermensch bestehende Freundschaften, etablierte Tagesabläufe und Wochenstrukturen. Warum sollte man sich so viele Veränderungen antun, und auch all die Kompromisse, die in einer neuen Partnerschaft notwendig sind - wenn nicht der Körper auf Rausch schalten und das Gehirn davon überzeugen würde, dass genau dieses Neue wunderschön ist und alles, wonach man sich je gesehnt hat?
In rauschhaften Zuständen trifft man nur selten gute Entscheidungen. Nicht umsonst gilt man alkoholisiert vor dem Gesetz als nur vermindert zurechnungsfähig.
In einer Poly-Beziehung ist es dann halt schlau und ratsam, damit sich der langjährige Partner nicht zurückgelassen fühlt, diese neu gewonnene Energie auf beide Partner anzuwenden.
So kenne ich das grundsätzlich auch.
Für mich und mein persönliches Leben (und das gilt wirklich nur für mich, aber es wurde nach individuellen Erfahrungen gefragt) bevorzuge ich tatsächlich die Variante "erst mal ganz langsam gucken, erst mal Freundschaft, erst mal was Tragfähiges, und dann darf dieses Band schrittweise ganz langsam und allmählich wachsen." Idealerweise ohne Rauschzustand, in einem Zustand permanenten Hinterfragens, denn nach einem Rausch folgt oft der Kater.
Ich bin von Beruf Künstlerin, und ich bekomme meine Rauscherlebnisse im Schaffensprozess. Mir ist da viel, viel wichtiger, dass ich in meinen sozialen Bändern und Beziehungen Solidität, Verlässlichkeit und nur ganz langsame Veränderungen finde, damit man hinterherkommen, fühlen, prüfen und angleichen kann.
Natürlich klappt das auch nicht immer ganz. Ideal und Wirklichkeit.
Aber wenn sich etwas zu rauschhaft, zu schön, zu verliebt, zu rosa-wolkig-aufregend anfühlt, dann misstraue ich. Ganz egal, wie viel NRE ich daraus ziehe, mit der ich auch an anderen romantischen Bändern (und Freundschaften) in meinem Leben schöne Impulse geben könnte.
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Wer verbleibt im Kern der Liebe, wenn jeder sich immer wieder aufmacht nach neuer frischer Beziehungsenergie zu suchen ?
Wer ist da, wenn keine Lust oder nicht mehr besteht auf neue sexuelle oder romantische Energie ?
So, wie du das beschreibst, klingt das für mich tatsächlich sehr ungesund.
So kenne ich es von mir und meinen Liebsten und meinen anderen Herzmenschen aber tatsächlich nicht.
Im Kern des Bandes zu jedem Herzmenschen bleibt genau das, was dieses Band ausmacht. Etwas Einzigartiges und Wunderschönes, was über die Jahre wächst, intensiver, komplexer wird, immer wieder angeglichen wird und wo der/die andere noch viel, viel wertvoller wird, je mehr man sich mit all seinen Schwächen und Stärken kennenlernt, stützt, hält und wärmt. Das "Neue" sind dabei für mich nicht immer neue Menschen. Es kann auch der Moment sein, wo eine langjährige Freundin erzählt, dass sie herausgefunden hat, dass sie bisexuell ist, dass ein gemeinsamer Abend sich dann plötzlich probehalber flirty anfühlt, bis man feststellt: Sorry, diese Art von Anziehung ist es zwischen uns nicht. Aber ich würde dich gerade sehr gern mal ganz, ganz lange in den Arm nehmen, wärmen, beschützen und halten, weil ich spüre, dass das gerade schön sein könnte.
Auf einmal ist da etwas Neues in diesem Freundschaftsband, und es fühlt sich wie Liebe an. Etwas ganz Leises und Kleines. Keine wilde, überschießende Begeisterung, die alle anderen Bänder wärmen soll, sondern etwas, was nur an dieser Stelle dazugekommen ist und dieses eine Band gerade noch etwas "richtiger" macht als vorher. Weil jetzt noch etwas klarer ist, was es ist und was es nicht ist.
Wer verbleibt im Kern der Liebe, wenn jeder sich immer wieder aufmacht nach neuer frischer Beziehungsenergie zu suchen ?
Dann verliert die Liebe etwas von dem, was sie für mich am schönsten macht: Vertrauen, Stabilität, Beständigkeit und die Möglichkeit, dass man sich immer wieder verändern darf und das Band sich dadurch mitverändert und immer schön und für genau diese zwei Menschen angemessen und liebevoll bleibt. Das, was neu und frisch und schön ist, kommt immer aus einem selbst und nicht von anderen, die es extern "hineintragen" sollen.
Wohin also sollte man sich "aufmachen", als immer wieder in sich selbst hinein und in die eigene Verletzlichkeit, Stärke, Wärme und die Sehnsucht danach, immer wieder neu auf genau die Art lieben zu können, die sich gut und richtig anfühlt?