„(3) Auf emotionalen Ebene kann man kein Verständnis erzeugen, denke ich. Verständnis kann es nur auf der kognitiven Ebene stattfinden. Außerdem kannst du eine andere Person eh nicht ändern, sondern nur dich selbst.
Das sehe ich genauso.
„ Ich habe oft den Eindruck, und das sagt meine Frau auch selbst von sich, dass sie zwar von Kopf her alles nachvollziehen kann und auch positiv bestätigt, aber das Herz und ihre Emotionen sprechen eine andere Antwort.
Menschen ticken unterschiedlich.
Das zeigt sich zum Beispiel auch beim Geschmackserleben.
Den einen würgt es bei Ananas
, den anderen bei Austern
, den dritten bei Spargel
.
Nun können sich diese Menschen zwar das Geschmackserlebnis von Ananas-, Austern- oder Spargel-Liebhabern anhören und auf kognitiver Ebene deren Genuss nachvollziehen. Sie selbst haben ja ebenfalls Nahrungsmittel, die sie lieben. Doch sie selbst werden bei Ananas-, Austern- oder Spargel nie den Genuss empfinden, welchen die Fans dieser Nahrungsmittel empfinden.
Und genau das zeigt sich dann auch in der authentischen emotionalen Reaktion der Menschen.
(meistens ist das die erste Reaktion)
Meinen Vater würgt es bereits beim Geruch von frischer Ananas.
Meiner Mutter zuliebe hatte er Mal versucht, ihr beim Schneiden einer Ananas zu helfen. Doch das ging nicht gut aus. Er kotzte ins Spülbecken und flüchtete danach aus der Wohnung. Frische Luft schnappen.
Seitdem haben wir Papa zuliebe frische Ananas ausschließlich dann gegessen, wenn er nicht zu Hause war und danach gut gelüftet. Und für mich war das ein Aha-Erlebnis.
Als kleines Kind habe ich frische Ananas geliebt. Doch Ananas gab es sehr selten, da sie auch verhältnismäßig teuer war und meine Familie damals nicht viel Geld hatte. Wenn es ausnahmsweise mal eine frische Ananas gab, war das für mich ein großes Highlight. Sowohl im Geschmack als auch das Abenteuer davor, wenn sich meine Mutter überlegte, wie sie diese Frucht nun am Besten klein kriegt.
Und selbstverständlich erzählte ich am Abend, wenn Papa nach Hause kam, ihm voller Freude meine Highlights des Tages. War ja mein heißgeliebter Papa, mit dem ich so tolle Sachen unbedingt teilen wollte!
Papas erste authentische emotionale Reaktion waren Ekel & Abscheu.
Diese standen ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.
Aber Papa sagte nix dergleichen. Seine Worte sagten was anderes als sein Gesicht.
Und wenige Augenblicke später war diese Abscheu auch aus Papas Gesicht verschwunden.
Da hatte er sich - Dank seiner kognitiven Fähigkeiten - darauf besonnen, dass Ananas-Essen anderen Menschen eine Freude bereiten kann. Dementsprechend konnte er sich dann auch mit mir freuen.
Seine Bemühungen, meine Sichtweise einzunehmen, gaben mir nicht das, was ich eigentlich wollte. Aber ich konnte das lange Zeit nicht in Worte packen.
Bei anderen Erzählungen war Papas Freude sofort da. Bei Erzählungen von Ananas etc.pp. nicht.
Was hatte das zu bedeuten?
Zu Beginn der Grundschule war dann dieser Tag, an dem Papa beim Ananas-Schneiden ins Spülbecken kotzen musste. Da hatte es bei mir "Klick" gemacht. Ich habe seinen Ekel in vollem Ausmaß realisiert. DAS erklärte alles.
Ich hatte ihn bloß mit meiner Begeisterung angesteckt.
Doch Papas eigenes Gefühlsleben blieb eben so wie es ist: Papa freut sich nie über Ananas.
Und ich habe aufgehört, Papa fröhlich vom Ananas-Essen zu erzählen. (Mir tat es ja auch nicht gut, wenn mir Menschen absichtlich von Dingen erzählten, die mich ankotzten.)
Ich wollte meinem Papa lieber etwas mitteilen, was ihn auch freute/ freuen könnte.
Da brauchte es dann auch kein Verständnis. Bei einigen Dingen waren wir einfach so auf einer Wellenlänge. Von Natur aus. Das nährt die Seele mehr als es kognitives Verständnis kann.
Und bei meinem Vater waren das schon mal andere Dinge als bei meiner Mutter. Die beiden ticken nicht überall gleich. In manchem ticke ich so wie meine Mutter, in anderem ticke ich so wie mein Vater, (in dritten ganz anders). Also lief ich als Kind mit meinen tollen Erlebnissen zu dem Elternteil, bei dem es passen könnte.
Kinder haben das schnell raus.
Unbewusst.
Intuitiv.
(In Dingen, die ihnen sehr wichtig sind, wollen Kinder trotzdem die Aufmerksamkeit von beiden Eltern. Erzählen es aber nicht ohne Grund zuerst dem Elternteil, welches dafür wohl empfänglicher ist.)
Für alles, was nicht zu den Eltern passt, hat man Freunde und falls man Glück hat, verständnisvolle Eltern. Aber man ist nicht so wie seine Eltern. Und das wird sich auch nie ändern.
Mehr als Verständnis - also das Umschalten der Sichtweise nach der ersten authentischen emotionalen Reaktion - kann man da nicht bekommen.
Manchmal braucht man dieses Verständnis.
Aber oft wünscht man sich das Andere. Das von Natur aus auf einer Wellenlänge liegen. Das gibt ein viel stärkeres Gefühl der Zugehörigkeit. Starke Wurzeln. Tiefe Verbundenheit.
Und jeder meiner EX-Partner hat einen Teil meines Naturells bestätigt, der nicht von meinen beiden Eltern emotional bestätigt werden konnte. Einen Teil, wo ich von Natur aus anders ticke als Mama & Papa und von meinen Eltern immer nur Verständnis bekommen konnte. Und das blieb. Das blieb mir ebenso wie all die Dinge, in denen ich die Bestätigung für mein So-Sein auf emotionaler Ebene einst von meinen Eltern bekam.