„Wie ist Hierarchie in Polybeziehungen gemeint? Im Zweifel werden die Bedürfnisse von Partner A über die von Partner B gestellt? Partner A hat mehr Rechte als Partner B? Ich liebe Partner A einen Hauch mehr als Partner B?
An der Stelle verwechseln viele männliche Vertreter der egalitären Polyamorie gerne die Liebe mit bereits eingegangenen Verbindlichkeiten.
Nehmen wir zum Beispiel Wohnbedürfnisse. Diesbezüglich können Menschen extrem unterschiedlich ticken.
• Manche Paarungen harmonieren von Natur aus perfekt.
• Das andere Extrem sind Paarungen, bei denen es Mord- und Todschlag (oder Suizid) gäbe, wenn die gezwungen wären, zusammen zu wohnen. Derart gegensätzlich sind deren Wohnbedürfnisse.
• In den meisten Paarungen liegt die Kompatibilität der Wohnbedürfnisse irgendwo dazwischen.
Und nur weil ich sowohl mit Partner A als auch mit Partner B zusammen wohnen könnte, muss das noch lange nicht bedeuten, dass auch die beiden zusammen wohnen könnten.
Läge ich da in der Mitte zweier Extreme...
Partner A bei 1... ich bei 5... Partner B bei 9
Wäre ein Kompromiss der beiden bei Punkt 5 für mich wunderbar. Mein Ideal.
Sagen wir, ich hätte mit Partner A das gemeinsame Nest aufgebaut.
Im Laufe der Zeit haben wir viele Verhandlungen geführt und viele Absprachen getroffen. Ja, wir sind in Punkto gemeinsames Wohnen viele Verbindlichkeiten miteinander eingegangen.
Würden wir alleine wohnen, läge Partner A bei Punkt 1 und ich bei Punkt 5.
Doch in Punkto Wohnbedürfnisse sind wir hier und da Kompromisse eingangen...
und haben uns irgendwann bei Punkt 3 eingependelt.
Das zeigt sich sowohl in der Struktur als auch in den Abläufen unseres gemeinsamen Haushaltes.
Dieser Haushalt entspricht zwar nicht so ganz meinen Idealvorstellungen vom Wohnen. Doch ich fühle mich dort insgesamt wohl. Und für die Abstriche, die ich gemacht habe, fühlt sich auch mein Liebling im gemeinsamen Heim insgesamt wohl.
Und nun sagen wir, ich wäre ein hinterhältiger Zeitgenosse...
Irgendwie bin ich auf Dauer doch nicht so glücklich mit all den Kompromissen und Verbindlichkeiten, die ich beim gemeinsamen Wohnen mit Partner A einging. Das waren keine für mich gesunden Kompromisse. Statt bei Punkt 3 haben wir uns bei 1-2 eingependelt. Schließlich wollte ich geliebt werden. Aber das ist dann doch recht weit von meinen eigenen Wohnbedürfnissen entfernt. Jaja, ich liebe Partner A. Aber wohl fühle ich mich in unserem Heim nicht.
Dann... oh dann... dann verliebe ich mich in Partner B. Und ich bekomme mit, dass die Wohnbedürfnisse von Partner B in etwa bei Punkt 9 liegen. Das Gegenteil von Partner A. Und ich bekomme das dringende Bedürfnis, dass B auch mit uns zusammen wohnt.
Dieses dringende Bedürfnis zusammen zu ziehen, hatte ich merkwürdiger Weise nie bei Partnern, die tendentiell so tickten wie Partner A. Und schon gar nicht bei Partnern, die noch weiter in dieselbe Richtung gingen wie mein Partner A. Da schwante mir, dass ich dann in Punkto Wohnen noch mehr Abstriche gemacht hätte als ich jetzt schon habe. Neenee... das hätte mir nicht geschmeckt. Oder aber ich hätte in bestimmten Punkten mehr gesunden Egoismus (Selbstfürsorge) zeigen müssen. Dann hätte ich zeigen müssen, wo meine Belastungsgrenzen liegen. Neenee... das hätte mir auch nicht geschmeckt. Ich werde lieber als der großzügige, verständnisvolle und einfühlsame Partner wahrgenommen als der Typ mit eigenen Empfindlichkeiten und Belastungsgrenzen.
Aber nun, nun habe ich in Partner B endlich einen herrlichen Gegenpol zu Partner A gefunden.
Hach, wie ich sehr ich doch Partner B dafür liebe!
Dass damit Bedürfniskonflikte zwischen Partner A und Partner B vorprogrammiert sind, ist doch wunderbar!
So käme ich endlich aus meinen alten Verbindlichkeiten raus!
WIR könnten, nein wir MÜSSTEN das dann alles neu verhandeln! - Mit mir in der glorreichen Rolle des Vermittlers.
Und da ich ja die beiden so sehr liebe und mir die Wohnbedürfnisse der beiden so sehr am Herzen liegen, will ich doch auch die Bedürfnisse beider gleichermaßen berücksichtigen.
Und der gerechte Kompromiss, der liegt selbstverständlich irgendwo in der Mitte der Beiden. So bei Punkt 5. So ziemlich nah an dem, wie ICH unseren Wohnraum schon immer am liebsten gestaltet hätte.
Genau MEINEN Bedürfnissen entsprechend.
Und selbst wenn Einer der beiden etwas dominanter sein sollte und wir am Ende bei Punkt 4 oder 6 landen, hätte ich viel gewonnen.
Hach ja... die Liebe ist doch herrlich.
Vor allem, wenn die Liebe so egalitär ist, dass ich mit der passenden Partnerwahl alle einst eingegangenen Verbindlichkeiten einfach so vom Tisch fegen kann. Schließlich geht es doch um die Bedürfnisse meiner beiden Liebsten - nicht um mich
- dafür muss man doch Verständnis haben!
Genau dieses Spielchen habe ich in den vergangenen 20 Jahren mit einigen männlichen Vertretern der egalitären Polyamorie erlebt.
Nur dass ich mich im Vorfeld mit meiner Meta kurzschloss, welche Wohnbedürfnisse sie denn so hätte.
Und siehe da: Der Mann hatte sowohl ihr als auch mir gegenüber offensichtlich einen großen Haufen Scheiß gelabert.
Sie und ich waren in Punkto Wohnbedürfnisse extreme Gegensätze.
Das wäre nie und nimmer gut ausgegangen.
MOMENT MAL...
ER kennt uns doch beide!
Wie zum Kuckuck kam ER überhaupt auf die schräge Idee, vom gemeinsamen Wohnen zu sprechen?!!
Dieser Mann ist doch ansonsten nicht auf den Kopf gefallen sondern ein cleveres Kerlchen.
Und wie ein verschossener Teenager, der wie ein sabberndes Hündchen vor einem sitzt, kam er mir auch nicht vor. Als ER mir diesen Vorschlag machte, klang der Mann wohl durchdacht und sehr reflektiert.
Merkwürdig.
Tja... da ich Realistin bin und mir Freude lieber ist als Drama, hakte ich den Traum vom gemeinsamen Wohnen einfach ab.
Daraufhin verlor der Mann erstaunlich rasch jedwedes Interesse an mir.
Sehr merkwürdig. - Wie sehr "all seine Liebe" vom gemeinsamen Wohnen abhing.
Was meint ihr? War das die reife Liebe eines Erwachsenen? Oder die kindliche Liebe gegenüber eines potentiellen Bedürfniserfüllers?
Mir scheint es so zu sein, dass dieses Spielchen bei Männern, die nicht wissen, was sie wollen, sehr beliebt ist. Beziehungsweise ist das ein tolles Spielchen für Männer, die nicht so ganz mit sich selbst im Reinen sind und in ihrer Beziehung Verbindlichkeiten eingingen, mit denen sie nicht leben wollen. Die weibliche Gegenspielerin zur aktuellen Partnerin solls dann richten.
Und dieses Spielchen spielen viele männliche Vertreter der egalitären Polyamorie ebenso gerne in anderen Bereichen der Lebensgestaltung.
In der hierarchischen Polyamorie hingegen sind die Möglichkeiten, dieses Spielchen zu spielen extrem eingeschränkt. Da werden die bereits eingegangenen Verbindlichkeiten zu Beginn auf den Tisch gelegt. Bei bereits gebundenen Männern bedeutet das in der Regel:
Der Mann hat sich im Leben Prioritäten gesetzt. Er hat entschieden, dieses und jenes mit seiner Frau in den kommenden Jahren zu machen. Und bei dieser Entscheidung will er bleiben. Er ist dementsprechende Verbindlichkeiten eingegangen. Diese sind indiskutabel.
Und selbst wenn ich eines Tages bei diesem oder jenem LebensProjekt dazu stoßen sollte, so ist klar, dass es primär deren beider Projekt bleibt. Klar kann ich auch eigene Ideen einbringen bzw. meine Bedürfnisse im Zusammenhang mit diesem Projekt schildern. Womöglich passt das ja da rein. Doch deren bestehende Verbindlichkeiten (welche bereits die Bedürfnisse der beiden berücksichtigen) haben Vorrang. Und auch in Zukunft ist und bleibt das primär deren Projekt.
Das bedeutet:
In dem Moment habe ich die Wahl, ob ich unter den von diesen beiden Menschen gegebenen Umständen (weiter) mitmachen mag oder wenn es mir nicht gefällt, aus diesem Projekt aussteige oder gar nicht erst einsteige.
Und ob er und ich in unserer gemeinsamen Zeit, unter Einsatz seiner verbleibenden und meiner Ressourcen ein eigenes Projekt starten? - Erfahrungsgemäß ist da meistens in den kommenden Jahren nur noch Raum für Mini-LebensProjekte, da andere Interessen und Bedürfnisse überwiegen. Deswegen spreche ich in diesem Zusammenhang max. vom Aufbau einer Polyfreundschaft und nicht von Polypartnerschaft.
Wenn ein Mann bereits heftige Verbindlichkeiten hat, ist mir gleichgültig wie er das nennt:
Ich behandel das dann wie eine hierarchische Polyamorie.
D.h. er soll mir wegen seinem Wunschtraum XY kein Ohr abkauen sondern XY - wie auch immer - mit seiner Partnerin klären und mir das Ergebnis mitteilen.
Ich finde, es ist nicht mein Job, mit seiner Partnerin über seine Wunschträume zu sprechen. Oder ihn dahin gehend zu beraten, wie er mit seiner Partnerin über seinen Wunschtraum sprechen könne.
Er ist doch erwachsen und kann für sich selbst sprechen und ich bin in solchen Fällen nie und nimmer eine unabhängige Paarberaterin, oder?
Jedenfalls bin ich die Letzte, die seine heftigen Verbindlichkeiten für ihn auflöst.
Und seine Liebe allein löst seine Verbindlichkeiten auch nicht auf.
Über egalitäre Polyamorie können wir sprechen, wenn er aktuell nicht allzu viele Verbindlichkeiten hat oder aber nachdem im Laufe vieler Jahre eine gleichmäßige Verteilung der Verbindlichkeiten hergestellt wurde.