Poly wollen/können/sein? Der Kampf mit Verstand vs. Gefühl
Woher weiß man, dass Polyamorie der richtige Lebens- bzw. Liebesstil für einen ist?Was, wenn Verstand und Gefühl ambivalent sind?
Liebe Alle,
ich bin momentan sehr am Kämpfen mit mir, meinen Gefühlen und Gedanken sowie der jetzigen Situation.
Zum Kontext: Ich habe vor einigen Jahren bereits einmal 2 1/2 Jahre polyamor gelebt mit meinem damaligen Mann. Ich habe das insgesamt als sehr anstrengend auf verschiedeneren Ebenen in Erinnerung. Vor etwas mehr 2 Jahren hat sich mein Mann nach 14 1/2 Jahren von mir getrennt (lebt nun monogam mit seiner damaligen Poly-Partnerin zusammen) und seitdem hatte ich keine richtige Partnerschaft mehr, bloß kürzere Geschichten. Ich hab mich mittlerweile eigentlich komfortabel in meinem freien, unabhängigen Singleleben eingerichtet.
Nun habe ich vor gut 2 Monaten einen Mann kennengelernt, der eigentlich nur mein Tanzpartner sein sollte. Eigentlich. Er ist verheiratet und lebt quasi schon immer polyamor. Wir teilen mehr als die Freude am Tanzen miteinander, habe viele Schnittstellen … und es haben sich romantische Gefühle entwickelt. Ich glaube, wir sind schon längst mehr als bloß Tanzpartner, doch genau damit hadere ich.
Schlechte Erinnerungen treffen auf akute Verliebtheit trifft auf „eigentlich will ich doch Single sein“ trifft auf „ich möchte ihm nahe sein“ trifft auf mein Freiheitsbedürfnis trifft auf Angst, Eifersucht, Zweifel.
Ich bin nun total lost, binge-reade aktuell Aino Simons Buch „Liebe lieber einzigartig“, was wirklich sehr hilfreich ist, aber merke, dass ich an einigen Stellen nicht weiterkomme.
In der Theorie finde ich polyamore Beziehungskonzepte schlüssig und sinnvoll, ehrlich, authentisch und respektvoll. Sie kommen auch meinem starken Freiheitsbedürfnis, meiner Neugierde sehr entgegen. Andererseits hätte ich wirklich Schwierigkeiten damit, meinen Partner so frei zu lassen, wie dies im Rahmen solch eines Konstrukts notwendig wäre. Neben seiner Frau hat er nämlich noch weitere Sextreffen mit Männern und Frauen, die eher unverbindlicher Natur sind. Und gerade diese Vorstellung verletzt mich sehr.
Hinzu kommt, dass ich aus eigener Erfahrung weiß, wie konfliktträchtig derartige Beziehungskonstrukte sind. Ständige komplizierte Debatten und Aushandlungsprozesse passen derzeit eigentlich gar nicht in mein Leben.
Zudem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich nicht für die Rolle der „zweiten Geige“ gemacht bin; allein durch Ehe und Zusammenleben ist ja in diesem Fall eine Hierarchie gegeben.
Aber: Die gemeinsam verbrachte Zeit mit ihm ist so gut, wohltuend, erfüllend.
Woher weiß ich, wenn ich so hin und her gerissen bin - auf der einen Seite frei leben und lieben könnte, wie es mir entspricht, auf der anderen Seite so große Schwierigkeiten mit dem unbedingten Freilassen, Teilen und meiner Eifersucht habe - ob ich polyamor leben/lieben kann, soll, will?
Ich danke euch fürs Lesen!