Für alle, die mich vorher schon mal gelesen haben mag der folgende Text unerwartet sein.
Kontext: Ich bin evangelisch-lutheranisch aufgewachsen und das in einer sehr im Glauben verwurzelten Familie. Meine Patentante war und ist im Kirchenrat ihrer Gemeinde. Ich habe eine Katholikin geheiratet (und mich später habe scheiden lassen), die ebenso in ihrer Kirche verwurzelt war. Habe also mit dem Thema aus erster Hand einige Erfahrungen. Allerdings bin ich Atheist. Und habe aus ganz anderen Gründen die Kirche und den christlichen Glauben hinter mir gelassen, auch wenn einige kulturelle (puritanische) Einflüsse noch immer spürbar sind. Ganz kann man nicht aus seiner Haut. Das zum Hintergrund.
Jetzt zu deinem Thema. Prinzipiell ist vor allem in Freikirchen die Interpretation des Glaubens so willkürlich und inkonsequent, dass diese eigentlich kein Problem damit haben sollten. Wie du selber erfahren hast, ist dies aber sehr anders. Hier wirst du in der evangelischen Landeskirche die größeren Chancen haben. Im Herbst wird es hier in Wiesbaden sogar einen Themenabend der evangleischen Landeskirche zu Polyamorie und alternativen Beziehungsformen geben. Die persönliche Auslegeung ist also nicht das Problem, sondern dein Wunsch eine Gemeinde zu finden, die dich nicht verurteilt. Ich habe aber auch herausgelesen, dass du auch dir selbst "verzeihen" musst. Das dürfte der schwierigste Teil werden, wenn du mit der Prämisse herangehst, dass du dem christlichen Glauben treu bleiben möchstest.
Hier kann ich dir nur den Tipp mitgeben, dass du dir bewusst machst, was dir an dem christlichen Glauben wichtig ist. Denn mit den Regeln der Bibel lebt heute niemand mehr. Die sind teilweise einfach zu sehr aus der Zeit gefallen oder sind eben für ein Wüsten- bzw. Steppenvolk geschrieben und mit modernem urbanen Leben (das wir heute selbst auf dem Dorf haben) nicht vereinbar. Damit erfordert das Bekenntnis zu einer der drei Wüstenreligionen (Judentum, Christentum und Islam) Flexibilität. Du musst jetzt für dich erkennen, dass die Beziehungsvorgaben der Kirche
1. keine biblische Grundlage haben. Das monogame Beziehungsmodell ist erst ca. 200-250 Jahre alt. Die Bibel kennt Polygamie (klar nur die Polygynie). Die Bibel kennt den Ehebruch. Allerdings ist auch der nicht ganz so klar definiert, wie die Kirche sich das heute zurecht interpretiert. Man kann den nämlich auch viel weitreichender fassen. Dann wäre dein Forenbeitrag bereits dieser Ehebruch.
2. keine tradierte Grundlage haben. Weihnachten und auch Ostern sind heidnische Feste, welche die Missionare übernommen haben, um den germanischen und skanidnavischen Völkern Europas das Christentum näher zu bringen. Wieso also solltest du deine Lebensweise nicht genauso pragmatisch anpassen können und deinem Glauben treu bleiben. Das Anbeten von Götzen (Hase und Tannenbaum) sind da eigentlich sogar schwerwiegender.
3. keine Glaubensgrundlage haben. Dieser Teil dürfte für dich der wichtigste sein. Das neue Testament hat einen roten Faden und eine gute Eigenschaft. Nämlich die, die alle Menschen annimmt. Wenn das Christentum einen positiven Aspekt für sich verbuchen kann, dann eigentlich den, dass nur die ehrliche Begegnung mit diesem Gott erforderlich ist, um von diesem angenommen zu werden. Vor diesem Hintergrund sind alle anderen Vorgaben menschliche Festlegungen. Ja, das sechste Gebot ist eine Herausforderung. Aber brichst du denn deinen Treueschwur deinem Mann gegenüber? Was ist diese Treue für dich? Polyamorie fordert genauso die Ehrlichkeit, wie sie der christliche Glaube fordert. Polyamorie fordert genauso das gegenseitige Einverständnis, wie es dieses sechste Gebot fordert. Wie dein Mann und du und dein weiterer Partner Ehebruch definieren, ist am Ende eure Sache. Wenn du dies vor dir und deinem Glauben geschafft hast zu vertreten, dann hast du as Sicht des Glaubens selbst alles Notwendige getan.
Wenn du an dem Punkt angekommen bist, kannst du auch selbstbewusst in eine Gemeinde zurückkehren. Die Idee des Christentums ist es nicht auszuschließen. Von allen drei Wüstenreligionen ist es die einzig missionarische. Das Judentum wird über die Frauen vererbt oder muss vor dem Beit Din für würdig befunden werden. Nachdem Islam sind wir alle Muslime mit der Geburt und wenden uns davon ab. Nur das Christentum kennt die Mission und das Bekehren. Damit das funktioniert, kann eine Kirche eigentlich nicht urteilen. Genau der Umstand macht es ja der katholischen Kirche so schwer die Kinderschänder in den eigenen Reihen der Priester auszuschließen.
Praktisch hilft das aber nicht. Wie du selber weisst und ja auch schon geschrieben hast, stehen deine Chancen darauf angenommen zu werden, bei Freikirchen eher nicht so gut. Wenn du aber offen zu einer evangelischen Pfarrerin oder Pfarrer gehst, stehen deine Chancen glaube ich gar nicht so schlecht. Sicher wird es auch da den ein oderen anderen Wolf im Hirtengewand geben, aber ich kenne einige Pfarrer und Pfarrerinnen, die dir da sehr offen zuhören und dich auch mit offenen Armen empfangen würden.