„Ich selbst war auch Pfadfinder und habe selbst als junge Erwachsene Zeltfreizeiten geleitet. Leider ist unser Kleiner wirklich sehr introvertiert und ich kann ihn so gar nicht motivieren (selbst Feriencamp als reines Tagesprogramm haben wir schon abbrechen müssen, weil er einfach keinen Anschluss gefunden hat und nachher abends ständig weinend im Bett lag).
Dann abzubrechen war das einzig Richtige.
Als Teenager hatte ich auch eine Horror-Freizeit. Abholung am 4. Tag der Freizeit.
Ich hätte aber nie gedacht, dass MIR das Mal passiert. Dass ich zum "Freizeit-Abbrecher" werden könne.
Zwar kannte ich die Familien-Story von der einen Horror-Kinderfreizeit meine Mutter & meiner Tante. Die Kommunikation zwischen Kindern & Eltern wurde kontrolliert. Danach vereinbarte Oma vor jeder Freizeit ein Code-Wort mit ihren Kindern. (Zum Glück wurde es in den folgenden Freizeiten nicht gebraucht.)
Doch das war früher. Ganz andere Zeiten. Warum sollte mich sowas treffen?
Ich? Ich war doch immer gerne auf Ferienfreizeiten - verschiedene Anbieter - gewesen.
Bei der ersten war ich noch in der Grundschule - die Sommerferien zwischen zweiter und dritter Klasse.
Auch alle Freizeiten danach waren klasse.
Und wenn meine Schwester und ich aus unseren Freizeiten (meist unterschiedliche) zurück kamen, waren meine Eltern auch wieder richtig gut drauf. (Mehr Schäkern, mehr Küsse, mehr zarte Berührungen. Was man als Kind halt so von der Paarbeziehung seiner Eltern mitbekommt.)
Aber diese eine Horror-Freizeit, die war...
Insbesondere die Camp-Leitung war gegen mich. Und bald darauf war es auch fast das ganze Camp. Von oben initiiertes Mobbing.
Gleichgültig, wie ich auf was reagierte: Es war immer verkehrt.
"Willst du Frust ablassen? Hast du Lust deinen Sadismus auszuleben? - Geh zu Galinthias.", so hatte es die Camp-Leitung vorgelebt.
Sie selbst versetzte nur Mini-Nadelstiche. Zu den einzelnen Situationen hätte man nur sagen können: "Das war jetzt pädagogisch ein wenig ungeschickt." oder "Ach nimm das nicht so persönlich. Der Humor von der ist halt etwas derb." Aber es waren viele "Vorführungen" - zu Beginn nur in abwechselnden Kleinst-Gruppen (3 oder 4 Anwesende). Und sie verfehlten nicht ihre Wirkung in der Gruppe.
Ich meine... niemand passt perfekt in irgendeine Gruppe außer er hat sie selbst zusammengestellt. In manche Ferienfreizeit passt man etwas besser in andere etwas weniger gut hinein. Kein Thema. Ob man nun 2 oder 12 "Ferienfreundschaften" schließt, ist ja egal. Alle wollen ja Spaß haben und konzentrieren sich auf die Gemeinsamkeiten und suchen Gleichgesinnte. Wenn nun aber ein sadistischer Betreuer von Anfang an wiederholt Situationen kreiert, in denen offensichtlich wird, was Kind XY von allen anderen trennt... und das mit Abwertungen & Demütigungen (mögen sie noch so minimal sein) verknüpft.
Das verfehlte seine Wirkung in der Gruppe nicht.
Die Gruppe passte sich an, verstärkte und vervielfältigte das Vorgelebte.
Die anderen Teilnehmer rückten mir auch körperlich immer mehr auf die Pelle.
Mal ein Ellenbogen hier. Mal ein Rempler dort.
Verbal waren sie schon weiter.
Und wenn die Camp-Leitung sowas mitbekam, dann schien sie amüsiert zu zuschauen... oft blieb es dabei. Nur selten setzte sie ihr "Ich bin die Campleitung und was ist denn hier los?"-Gesicht auf und schob dem weiteren Verlauf einen Riegel vor. Und dann suchte sie den Fehler in der Regel bei mir. Obendrein kam dieses Riegel-Vorschieben immer später. Die Camp-Leitung ließ immer mehr Feindseeligkeit zu.
Und ich hatte bei einer Ferienfreizeit noch nie erlebt, dass ein Betreuer, dem ich versuche aus dem Weg zu gehen, dermaßen oft in meiner Nähe ist!
Die Situationen wurden allmählich brenzliger.
Ohnmacht bei stetig wachsender Angst.
1. Tag:
2. Tag:
3. Tag:
Ich wollte echt nicht wissen, wie es weiter geht.
Die Zeiten hatten sich zwar geändert. Als meine Mutter mit ihrer Schwester in der Horror-Ferienfreizeit feststeckten, konnte die Betreuerin ihren Sadismus noch weitaus offener ausleben als es heutzutage möglich wäre. Heutzutage müssen Sadisten ihr Spielchen besser tarnen. Doch abgesehen davon war es haargenau dasselbe Spiel.
Dass ein verdeckter Sadistist Betreuer bei einer Ferienfreit spielt, ist im Vorfeld nicht abzusehen.
Ab und an ist einer dabei.
Und falls ja, ist im Vorfeld auch nicht absehbar, welches Zielobjekt der Sadist wählt.
Die Auswahl eines sadistischen Betreuers entspricht dessen persönlichen Vorlieben. Das kann alles Mögliche sein.
Dabei ist dann auch gleichgültig, ob man eher ein introvertiert oder ein extrovertierter Mensch ist. Ob man auf einer Ferienfreizeit langsamer oder rascher Kontakte knüpfen kann.
Ist man das Zielobjekt so eines Sadisten, wird der Kontaktaufbau zu allen anderen von Anfang an massiv manipuliert.
Meine Mutter hat viele tolle Ferienfreizeiten erlebt - nur eine Horror-Freizeit.
Ich habe viele tolle Ferienfreizeiten erlebt - nur eine Horror-Freizeit.
Womöglich ist ja bei deinem Kind genauso. Nur dass seine Horror-Freizeit ausgerechnet seine erste war?
Das Wichtigste für mich war, dass meine Eltern direkt geschaltet haben.
Es hatte mich schon verdammt viel Mühe gekostet, überhaupt mit meinen Eltern telefonieren zu dürfen.
Am Telefon sagte ich nur: "Bitte holt mich ab. Die Camp-Leitung steht neben...(mir und hört mit)."
Die Camp-Leitung protestierte zwar. Eine Abholung sei doch völlig übertrieben.
Doch danach schickten mich meine Eltern raus, um die Abholung mit der Camp-Leitung zu regeln.
Diese versuchte die Abholung hinaus zu zögern. Doch meine Eltern blieben hart. Zwei Stunden später stiegen sie ins Auto, fuhren die Nacht durch und kamen am Morgen des 4. Tages um 6 Uhr früh am Camp an.
Ich war so unglaublich froh, in die offenen Arme meiner Eltern zu laufen.
Endlich heim kommen.
Ohne Diskussion "Jederzeit heim kommen zu dürfen" ist das Wichtigste.
Dann fällt es leicht, der nächsten Ferienfreizeit eine Chance zu geben.
Meine Freude an Ferienzeiten blieb.
Und als junge Erwachsene war ich selbst mehrfach Betreuer.
Lass es mich so sagen: Als Betreuer ist es schwieriger, den verdeckten Sadismus eines anderen Betreuers auf einer Ferienfreizeit zu erkennen. Man selbst hat die meiste Zeit mit etlichen Kindern zu tun. Der verdeckte Sadist versucht zu vermeiden, dass andere Betreuer was mitbekommen. In der Regel bekommt man bloß die Spitze des Eisbergs mit. Und für die Spitze des Eisbergs gibt es zahlreiche näher liegende Erklärung. Denn Eisberge sind selten. Und primär tritt man ja als Betreuer-Team auf. Vermeidet also eher kleine pädagogische Unschicklichkeiten eines Teamkammeraden vor den Kindern zu kritisieren oder tut es in abgeschwächter Form.
Dementsprechend zögern viele Kinder sowieso schon, einem Betreuer mitzuteilen, wenn sie so etwas - schwer Greifbares - mit einem anderen Betreuer erleben.
Ein guter Freund, mit dem ich gemeinsam mehrere Freizeiten gewuppt hatte, hatte auf einer Freizeit ohne mich Mal den Fall, in dem sich das Kind erst im Zug - auf der Rückreise - ihm anvertraute. Und dies auch sehr zögerlich...
Der Junge sprach über 20 Minuten über "Herr der Fliegen" (den Roman).
Und wäre mein Freund nicht seiner Intuition folgend, dass da irgendwas im Busch ist, darauf eingegangen, hätte er wohl gar nichts erfahren.
Aber jetzt mal ab davon. Du sagst, du hättest als junge Erwachsene selbst Ferienfreizeiten geleitet.
Hattest du da jemals den Gedanken: "Kind XY ist zu introviert. Ferienfreizeiten sind nichts für dieses Kind."?
Mir ist dieser Gedanke fremd.
Ich habe auf Ferienfreizeiten so viele introvertierte Kinder kennengelernt. Aber wenn man sagt: "So, wir machen nun Spiel XY", dann folgen sie wie alle anderen Kindern den Spielregeln. D.h. sie gehen in Kontakt und lernen andere Kinder kennen. Das bringt das Eis zum Schmelzen. Es gibt so viele verschiedene Spiele, mit denen man das fördern kann. Und solange ein introvertiertes Kind hinterher hinkt, bindet man es halt häufiger in solche Spiele in Kleingruppen, die zu ihm passen könnten ein.
Die ausgeprägt Extrovertierten, die brauchen das nicht.
Die knüpfen bereits Kontakte bevor die Betreuer das erste Spiel initiiert haben.
Und die ausgeprägt Extrovertieren initiieren unter den Gleichaltrigen die Spiele, die ihnen Freude bereiten, für die sie die passenden Talente haben, in denen sie ihre Stärken ausspielen können. - Da gilt: Wer die Spielregeln bestimmt, gewinnt das Spiel. (Oder hat zumindest sehr gute Chance.)
Als Betreuerin ist es doch meine Aufgabe, da Mal für einen Ausgleich zu sorgen. Damit auch die Introvertierten etwas glänzen können.
Erst wenn alle integriert sind, lasse ich die Zügel deutlich lockerer und die nächste Gruppenphase kann beginnen.
Wenn man eine Gruppe Kinder hat, die über Monate oder gar Jahre zusammen bleibt, kann man als Betreuer passiver bleiben und den Dingen ihren Lauf lassen. Die ausgesprägt Introvertierten finden halt erst in ein paar Monaten ihre Selbstwirksamkeit innerhalb der Gruppe.
Aber als Betreuer darf man doch nicht bei einer Ferienfreizeit, die nach ein, zwei oder drei Wochen schon wieder vorbei ist, passiv bleiben!
Wenn ein ausgeprägt introvertiertes Kind auf einer Ferienfreizeit keinen Anschluss bekommt, dann ist nicht das Kind "zu introvertiert". Dann hat das Betreuer-Team versagt. Aber sowas von! Die Ferienfreizeit läuft falsch! - Meine Überzeugung.