@ Mike_Kara
Lieber Mike, ich versuche gar nichts zu "retten". Ich fühle mich auch in keiner Weise persönlich getroffen, ich will nur zum Nachdenken anregen. Und mit dem Alter hat das schon mal gar nichts zu tun - Alter schützt vor Torheut nicht, und mancher jüngere Mensch als ich verfügt über mehr Herz und Verstand.
Ich möchte nur etwas sehr Entscheidendes herauszuarbeiten: diesen vorauseilenden Gehorsam, der mit übertriebener Rücksichtnahme jede Entwicklung hemmt. Reifung und Entwicklung bedürfen nun mal auch der Herausforderung.
Bloß um auf keinen Fall jemandem weh zu tun, darf man in der Polyszene (der ich schon angehört habe, als das Wort Polyamorie noch gar nicht gebräuchlich war) nicht mal mehr frei heraus einfach so reden, wie man denkt und wie einem der Schnabel gewachsen ist.
Angeblich soll jeder so sein dürfen, wie er ist, aber faktisch darf man nicht mal sagen, was einem auf der Zunge liegt - nur um auf unnötige Überempfindlichkeiten anderer Rücksicht zu nehmen. Schon ein einziges "falsch" verwendetes Wort führt dazu, dass mehr über den Gebrauch der Sprache diskutiert wird als über die Sache an sich. Und so ist die Szene voller Tabus, die offenbar niemals hinterfragt werden dürfen - und es wird ein stures, unfreies Befolgen einer Ideologie aus einer Idee der Freiheit, eine Art Korsett, das enger und spießiger ist als das der Monogamie.
Übrigens kam mein Freund nicht zu einem Gespräch zu mir, weshalb ich auch nicht zwei verschiedene Ebenen vermische; er hat mich nur darüber informiert, dass er sich getrennt hat. Und ich hab die Frechheit besessen, ungefragt meine Meinung dazu zu äußern.
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Du hast da, absichtlich oder zufällig, etwas sehr Wesentliches auf den Punkt gebracht:
du erwartest doch sicher auch von dieser verdammt heißen anthagarin die da in deinem profil rumliegt, dass sie nicht nur ihren raum hält, sondern auch deinen raum akzeptiert und respektiert solange du sie nicht einlädst, ihn mit dir zu teilen?
Genau das ist der wohl entscheidende Unterschied: Erstens erwarte ich von niemandem etwas, auch nicht, dass er meinen "Raum" achtet (auf den achte ich schon selber!). Und zweitens finde ich es völlig in Ordnung, wenn die Antagahrin in meinen "Raum" eindringt (was auch immer dieses Modewort aus der Psychoszene bedeuten mag) - denn ich kann mich klar und entschieden abgrenzen, das Maul aufmachen und auch laut und deutlich "Halt!" sagen, wenn ich das nicht will. Ich bin dem Bedrängtwerden durch einen Menschen niemals hilflos ausgeliefert.
Wenn ich das wäre, hätte ich wohl auch Probleme damit, wenn mich jemand verbal oder körperlich bedrängt oder mir ungefragt seine Meinung sagt. Aber dann liegt es an mir, daran zu arbeiten, Halt in mir selbst zu finden, entschieden und klar zu mir zu stehen und zu lernen, mich abzugrenzen.
Dass Achtsamkeit, Respekt und Höflichkeit dazu gehören, wenn ich anderen meine Meinung sage, habe ich hier schon oft genug betont. Aber dass ich meine Meinung nicht auch mal ungefragt äußern darf (wie in meinem obigen Beispiel aus der Realität), das will mir einfach nicht einleuchten - es sei denn, jemand will sie nicht hören, will nichts dazu lernen, will keine anderen, neuen Aspekte und Sichtweisen hören (und betont das dann auch klar und unmißverständlich).
Damit befinde ich mich übrigens durchaus auf dem Boden von Rosenbergs gewaltfreier Kommunikation: Es ist wichtig, sich abgrenzen und klar sagen zu können, was man will und was man nicht will.
(Der Antaghar)