Lieber sundowner, erstmal alles alles Gute für Eure Zukunft, ich wünsche Euch von Herzen, daß ihr das durchsteht zusammen, es ist eine Phase großer emotionaler Intensität und Umbrüche. Das kostet Kraft und oft ein Zurückziehen, Ruhe suchen, manchmal verzweifelt und unsicher sein - alles normal, nicht aufgeben, wenn es sich nicht als dauerhafter Roadblock anfühlt. Wir helfen Euch hier gerne weiter, Knoten gehören dazu!
- Sind Center- und Wing-Gefühle zwei Seiten der gleichen Medaille? Vom Lebensgefühl scheint beides zusammenzugehören... Aber in der gelebten Praxis? Sind es nicht doch völlig unterschiedliche Fähigkeiten, die einen für das eine oder für das andere qualifizieren?
Mal aus unserer Erfahrung und Sicht ein paar Antworten. Center und Wing sind völlig verschiedene Situationen, wenn ein Wing tatsächlich "nur" Wing ist. Ein Wing erlebt Zeit alleine, wenn der einzige Partner mit dem anderen Wing zusammen ist und kann sich dann manchmal einsam fühlen, unsicher, zynisch werden ("Eigentlich ist das unfair, sie/er hat ja immer einen Partner ..."). Das ist normal und ein Gefühl, welches auch kommuniziert werden sollte - nicht als Vorwurf, sondern als ständiges "Monitoring", was geht da in mir vor. Es gehört unseres Erachtens dazu, auch die unangenehmen Seiten mitzuteilen, jeder muß lernen, das auszuhalten. Poly ist nicht perfekt und hat Nachteile wie auch Monogamie, die gehören zum Lieben und Leben dazu.
Der Wing hat den Vorteil, daß er sich absolut auf seinen Partner konzentrieren kann und nicht direkt ausbalanzieren muß mit den Bedürfnissen eines weiteren Partners.
Das macht es emotional einfacher, gleichzeitig aber kann es zu einer einseitigen Sichtweise führen, in der das Balanzieren einzig beim Center bleibt, was dann zu zunehmenden Ansprüchen führen kann und denn Center, wenn er da nicht gut gegensteuern kann, förmlich zerreissen kann, jeden glücklich zu machen. An soetwas scheitern Triaden oder Quads gerne mal - egal wie sehr sich alle lieben mögen.
Es gibt auch die gegensätzliche Situation: der Wing ist so beschäftigt mit dem Glück des Centers, daß er die Bedürfnisse des anderen Wing übermäßig mit einkalkuliert und zu sehr zurück tritt.
Das Problem ist, daß gerade am Anfang einer neuen Beziehung, die NRE (neue Beziehungsenergie aka "Verliebtsein") wie eine Droge die Aufmerksamkeit des Centers auf den neuen Partner massiv fokussiert. Das ist nicht freiwillig und dem läßt sich nur unter wirklich immensen Anstrengungen entgegenwirken - wobei Dossie Easton in "Ethical Slut" eben rät "verbringen keine Zeit mit einem Partner, wenn Du nur einen anderen Partner im Kopf hast, das ist unfair". In dieser Zeit des NRE, besonders wenn jemand also stark verliebt ist, wird der bestehende Wing die Situation also als furchterregend erleben können, weil der Center ständig nur von X redet, denkt, die Zuwendung an den bestehenden Wing und der Aufmerksamkeitsfokus stark nachläßt.
Das ist eine TEMPORÄRE Sache, solange die Ursprungsbeziehung das übersteht und stabil und innig war. Mit der Angst, daß das so bleibt, man den geliebten Menschen vollends verliert, muß der bestehende Wing aber umzugehen lernen. Da ist er aber nicht alleine. Die Aufgabe des Centers ist unseres Erachtens, unabhängig von temporärer EMOTIONALER Fokussierung, rational ansprechbar zu bleiben und zuzuhören, was der Wing an Ängsten schildert (das ist wichtig, nicht das mit sich ausmachen wollen!), diese ernst zu nehmen und zu wissen, daß das eigene subjektive alles-super-ist-doch-kein-Problem Empfinden ein drogeninduziertes ist und man nicht real fühlt oder wahrnimmt. Das anzuerkennen fällt vielen Neu-Center sehr schwer ...
Eine neue Beziehung ist daher selbst mit jahrelanger Polybeziehungserfahrung fast immer eine gewisse Krise bestehender Beziehungen und kann eine ziemliche Kraftprobe bedeuten, passiert uns auch!
Als Center befindet man sich in der Situation, daß man sozusagen doppeltes Glück erleben darf, aber gleichzeitig ist es häufig ein sehr zweischneidiges Schwert. Ich persönlich vermisse häufig meinen anderen Partner, wenn ich mit einem von beiden zusammen bin. Es fällt mir sehr viel leichter, mich zu entspannen, wenn ich nur mit einem Partner Zeit verbringen - weil sie dann auch entspannter sind, was kuscheln, küssen etc. angeht. Wenn wir Zeit zu dritt verbringen, sind meine beiden zwar auch glücklich und sie mögen sich sehr, aber sie haben beide das "Mann-Syndrom", sprich ... außer mal freundschaftlich umarmen beim Hallo-und-Tschüß bloß nicht anfassen. Sie küssen mich beide, wenn ihnen danach ist, aber wenn einer grad mit mir beschäftigt ist, dann tritt der andere erkennbar zurück und wartet. Großes Novum gestern war, daß mich mein Mann geküsst hat, die Arme um meinen Nacken - und mein anderer Schatz dicht dran stand und mir den Rücken gestreichelt hat.
Ist auch beim gemeinsamen Kuscheln auf der Couch etwas komplizierter, wird aber zunehmend besser. Für mich als Center bedeutet das EBENFALLS mehr Streß, weil ich merke, meine beiden sind beschäftigt, das miteinander auszusortieren und nicht völlig entspannt und frei. Ich bin damit also sehr glücklich, aber fast konstant in einer gewissen Kompromiss-Situation.
Außerdem ist da die Planung der Zu-Zweit-Zeit, die sie mir konstant überlassen, sowohl Fluch als auch Geschenk. Beide sagen mir deutlich, daß sie traurig sind, wenn ich nicht da bin - muß ich aushalten, ohne Schuldgefühle zu entwickeln - aber sie akzeptieren und vertrauen, daß ich mich jedem fair zuwende, auch zeitlich. Das ist sowohl Privileg als auch große Verantwortung, weil ich da drei Dinge balanzieren muß: drei Personen mit Arbeitswoche und -zeiten (Ausschlaf-Morgen-Möglichkeiten!) und Hobbies, zwei Personen, die mit mir Zeit verbringen möchten und mich als Person, die auch Bedürfnisse hat mal auf Zeit für mich. Es ist für mich manchmal nicht leicht, beiden gerecht zu werden und MICH dabei nicht zu vergessen, so eigenartig das klingen mag. Übung fürs Kinderkriegen, glaub ich.
Das macht meines Erachtens die Centersituation jedenfalls zu einer völlig anderen als es die Wing-only-Situation ist.
Aber ja: es hilft, jede Situation erlebt zu haben, um sich in die Position des anderen einfühlen zu können. Aber geplant Lieben kann man nicht.