...Frau will zwar selber Polyamory leben, kann die Vorstellung aber nicht ertragen, dass du das auch machst
...du deine Freundin verlässt um sich bei der nächsten Gelegenheit wieder zu verlieben und dann dein Verständnis einfordern.
Die Assoziation kann ich nachvollziehen, es könnte so sein.
Aber: Polyamory zu leben ist zwar eine Entscheidung, die jeder rational treffen kann, und doch bleibt der praktische Teil der Übung von Gefühlen geprägt, die sich eben nicht rational "dazu schalten" lassen bzw. "abschalten". Jedes Gefühl, egal wann, wie und bei wem der Beteiligten es auftaucht, hat seine Berechtigung und ist wert, wahr- und ernstgenommen zu werden.
Ist es wirklich so, dass aus der Tatsache, dass jemand fähig ist, mehr als einen zu lieben, gleichzeitig folgt, dass Verlustängste - und Eifersucht ist aus Verlustangst gespeist - der Vergangenheit angehören? Wenn eine Vermutung Schmerzen bereitet, ist es so. Sie ist kein rational gesteuerter Akt ungleicher Verteilung von Freiheiten zu eigenen Gunsten.
Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Frage, wie Frauen empfinden, und was welche Gefühle auslöst. Aus unzähligen sehr offenen Gesprächen mit Frauen habe ich erfahren, dass Exklusiv-Empfinden einen wesentlichen Teil des Glücksgefühls ausmacht.
Liebe ist immer ein Geben und Nehmen, nie nur eins davon.
Selbstlos zu lieben ist ein wunderbares Gefühl, aber auch da liegt das "Nehmen" wohl irgendwo bei der Freude, den anderen glücklich zu sehen, etwas Gutes zu tun, oder was auch immer.
In Liebesbeziehungen mit erotischem Austausch kommt eine weitere Komponente hinzu. Das mag bei Frauen ausgeprägter sein als bei Männern, so scheint es oft, und sicher sind auch nicht alle Frauen gleich. Pauschalisierung ist nicht mein Ziel, macht die Wortwahl jedoch manchmal einfacher.
Meine Gedanken dazu: Frauen geben in intimen Momenten (und in Liebesbeziehungen erst recht) sehr viel vom eigenen ich, Hingabe bedeutet Vertrauen. Sie wünschen sich, dass der Empfangende dieses Geschenk erkennt und damit pfleglich und liebevoll umgeht.
Sehr oft habe ich gehört, dass Frauen sich - und den intimen Partner - fragen, ob er gleiche/ähnliche Liebesspielvarianten auch mit einer/der/den anderen erlebt (hat/würde). Die Vermutung, ihre Hingabe könnte für ihn "austauschbar" sein, kann den Genuss schmälern. Das Gefühl, exklusiv wahrgenommen, berührt und geliebt zu werden, macht es möglich, Hingabe zuzulassen, die dabei oft auch den eigenen erotischen Horizont weit überschreiten lässt.
Männer fragen sich und die Partnerin vielleicht - Achtung Klischee! - ob sie gut waren. Frauen interessiert eher, ob sie exkusiv waren/sind. Völlig unabhängig davon, ob sie mehreren Männern was auch immer erleben. Insbesondere, wenn erotische Erlebnisse mitspielen, die jenseits des bisherigen Horizonts lagen. Egal, wie es war, ein "erstes Mal" ist immer etwas Besonderes und in weiblichen Empfindungsstrukturen dazu geeignet, einen Fixpunkt zu markieren.
Die Entwicklung danach, mit genau diesem Partner, festigt diese Besonderheit. Die in manchen Fällen offensichtliche Tatsache, dass die selbst empfundene Exklusivität auf seiner Seite nicht besteht, kann das befreiende Gefühl grenzenloser Offenheit (wieder) einschränken. Das Wohlgefühl der Exklusivität, sich als gleichwertiger Teil eines Paares auf einer geschützten Insel zu finden, kann nur stattfinden, wenn es beim Paar bleibt. Durch beliebige weitere Entwicklungen wird dadurch nichts schlechter, es ändert sich "nur": der Verlust von Exklusivitäts-Empfinden, was die Türen öffnet für weiterreichende Verlustängste, die je nach aktueller Konditionierung und anderen äußeren und inneren Einflüssen variieren kann.
Deshalb kann ich den Gedankengang, ein Teil des Paares gestehe sich selbst mehr zu als dem anderen, nicht mitgehen. Es geht nicht zwangsläufig darum, dass "eine/r darf, was der/die andere nicht darf". Sie "leidet" oft mehr an dem Wissen, dass er mit einer/der/den anderen das macht, was für sie (bis dato zumindest) exklusiv ist. (Besonders bei Frauen nach Trennungen ist die Vorstellung "er macht mit einer anderen das, was mir so wertvoll war" ein großes Thema.)
Anfängerprobleme bei Polyamory - ist ein entpanntes und verlustangstfreies Weitergenießen also abhängig von der Zuneigung und Vertrautheit aller Beteiligten zu einander? Nicht unbedingt im gleichzeitigen praktischen Austausch, mehr in Richtung von "erweiterter Exklusivität" in einem immer noch "eng" gesteckten Rahmen? Ist es im Umkehrschluss hinderlich, wenn sich nicht alle Beteigten kennen? Wird Verlustangst größer duch die Unwissenheit um andere Mitspieler?
Löst sich dieser Konflikt in weiblichem Empfinden mit der Zeit? Mal ganz unabhängig davon, wieviel Raum die Frage individuell einnimmt/-nahm? Spielt es dabei ein Rolle, ob es sich um eine Paar-Partnerin, eine dazu Parallel-Partnerin, oder um eine Alternativ-Partnerin handelt? ...ein Versuch der Umschreibung, wenn es keine Paar-Beziehung in der Polyamory-Konstellation gibt. Es scheint Unterschiede zu geben, so empfinde ich es jedenfalls beim Lesen der Beiträge.
Und können Männer (einzeln, ebenfalls nie pauschal) nachvollziehen, was da in Frauen vorgehen kann? Haben Männer ähnliche "Baustellen", die das Verständnis füreinander positiv beeinflussen könnten - "jeder hat halt so seine Konflikte zu lösen"?
Was haben "Fortgeschrittene" Polys gelernt, gemacht, hat sich etwas geändert im Empfinden? Kann man "anders fühlen" lernen, wenn Gefühle nicht oder nur bedingt steuerbar sind?
Zu viele Fragen? Das sind längst nicht alle...
LG Pesha