Freiheiten geben und nehmen - ein Zwischenbericht
Ich leben nun aktiv seit etwas anderthalb Monaten in einer polyamorösen Dreierbeziehung (siehe auch mein Vorstellungsposting) und möchte einen kurzen Erfahrungszwischenbericht abgeben. Vielleicht erkennt sich der ein oder andere darin wieder und mag etwas dazu sagen.Da ich meine beiden Partnerinnen nicht als alt/neu, oder erste/zweite bezeichnen möchte (da schwingt immer die Gefahr einer ungewollten Wertung mit), benutze ich einfach mal "die eine" und "die andere".
Ausgangssituation war, dass ich mit meiner einen Freundin bereits seit einigen Jahren eine gesunde, offene Beziehung lebe, aber wir noch keine Erfahrung mit Polygeflechten hatten. Seit einigen Wochen nun bin ich in meine andere Freundin verliebt. Diese wiederum hat selbst derzeit zwei Partner und lebt mit diesen und anderen zusammen. Meine beiden Freundinnen verstehen sich recht gut und respektieren sich, sexuelle Zuneigung oder tiefer gehende Gefühle zwischen ihnen gibt es aber nicht. Während ich mit meiner einen Partnerin auch schon seit geraumer Zeit eine Wohnung teile, wohnt die andere nur wenige Autominuten entfernt (also keine klassische Fernbeziehung).
Meine aktuelle Erkenntnis beim Übergang von einer offenen Beziehung zu einer Polybeziehung ist nun, dass letztere keineswegs einfach noch ein Stückchen mehr Offenheit beinhaltet, sondern dass mit den Pflichten auch eine Eingrenzung einhergeht.
In einer normalen, sexuell offenen Beziehung zwischen zwei Personen liegt das Hauptaugenmerk darin, dem anderen Freiheiten zu gewähren. Wenn man mal gelernt hat mit Dingen wie Eifersucht und der neuen Freizeit umzugehen, ist dies relativ einfach möglich. Ich kann dem anderen seinen Spass lassen, ohne mich selbst einschränken zu müssen. D.h. die Freizeit hat quasi keinen Preis.
In einer Polybeziehung dagegen geht es jetzt nicht mehr nur darum, dem anderen seien Freiheit zu gewähren, sondern auch zu begreifen, dass man selbst (oder der andere) Freiheit verliert. Man muss also auch wieder lernen zurückzustecken. Dies fängt schon damit an, dass man den anderen nicht einfach ignorieren kann, wenn man sich zu dritt trifft. Aber auch viele andere Situationen zwingen einem der Drei Einsatz ab, obwohl er/sie selbst gerade eigentlich gar nicht direkt betroffen ist bzw. keine eigene Entscheidung/Aktion getroffen hat.
Oute ich mich beispielsweise in irgendeiner Weise und verkünde, dass es da jetzt noch eine andere gibt, so zwinge ich damit automatisch meiner einen Freundin Arbeit auf (sie muss sich die Fragen ihrer Umwelt gefallen lassen, muss ihren Standpunkt und ihre Lage erklären, etc). D.h. ich schränke ihre Freiheit dadurch ungewollt ein, obwohl sie selbst eigentlich gut mit der Situation leben könnte wie sie ist und sich da keine großen Gedanken machen möchte.
Möchten die Partner meiner anderen Freundin mich kennenlernen und mehr von mir wissen, muss ich zwangsläufig den sozialen Bedürfnissen nachkommen und mich möglicherweise mit Menschen unterhalten, die ich ohne meine Freundin nur eher oberflächlich betrachten würde. Die Freiheit eine weitere Person zu lieben kommt also gleichzeitig auch mit der Einschränkung, Dinge zu tun, die ich eigentlich eher unter Pflichtübung statt Genuß abhandeln würde.
Noch schlimmer wird es, wenn die Partner meiner anderen Freundin meine eine Freundin kennenlernen möchten, weil sie der Meinung sind, dass eine gewisse Vertrautheit in der gesamten Gruppe nötig ist, um schneller mögliche Konflikt zu erkennen und ihnen zu begegnen. D.h. während meine eine Freundin mir in einer normalen offenen Beziehung einfach nur die Freiheit schenken konnte, zu tun und lassen was ich will, ohne sich darum kümmern zu müssen, wird sie nun plötzlich genötigt, sich mit Gegebenheiten und Leuten auseinander zu setzen, die sie selbst so nie aus eigenem Antrieb gewählt hat.
Das ist irgendwie ein bisschen so wie man sich seine eigenen Eltern (oder die Schwiegereltern) nicht aussuchen kann. Eigentlich wollte man einfach nur mit dieser netten Person zu tun haben, aber dann hängt irgendwie noch eine ganze Familie hintendran, mit der man eigentlich über einen Blick ins Fotoalbum hinaus vielleicht gar nichts zu tun haben möchte. Schlimmer noch, wenn man sich selbst gar nicht für diese andere Person entschieden hat, sondern es der Partner war. Frei nach dem Motto: Mit gefangen, mit gehangen.
Bislang ist das auch unsere größte Schwierigkeit beim Übergang von einer offenen Beziehung zu einer polyamorösen. Hätte ich eine Frage, so wäre es die, ob es auch anders geht, oder ob diese Verantwortung unter allen Beteiligten (egal bis in welches Hierarchietiefe) immer ein absolutes muss ist?
Ich hatte persönlich noch Kontakt mit anderen Poly-Leuten, die allerdings alle durch die Bank weg Fernbeziehungen führen. Da erschien mir das ganze Gebilde durchaus einfacher, denn die verschiedenen Partner mögen sich zwar persönlich kennen, aber sehr oft sind eben doch immer nur 2 Personen gleichzeitig am selben Ort. D.h. es lebt sich viel eher wie eine offene Beziehung, denn wie eine Großfamilie.
Vielen Dank fürs Zuhören.