Das Peter-Prinzip und die Polyamorie
Irgendwie habe ich so den Verdacht, dass ich für diesen Thread gesteinigt werde. Denn es ist so gut wie unmöglich, die Sender-Empfänger-Problematik – also das, was ich beabsichtige mitzuteilen und das, was bei Euch gefühlt ankommt – bei so einem Thema in den Griff zu bekommen. Deshalb vorab: Das, was ich hier schreibe, sind lediglich meine Überlegungen, die sich aus meiner persönlichen Geschichte und Beobachtungen mit bekannten polyamoren Singles und Paaren ergeben. Keines meiner Worte beinhaltet eine Wertung, sagt aus, dass ich besser bin. Ich möchte einfach Gedankenaustausch, um zu erfahren, wie Ihr das so seht:Die Grundüberlegung war:
Es gibt eine Reihe polyamor empfindender Menschen, die einen Wunsch nach einer wie auch immer ausgestalteten Polybeziehung hegen. Sei es, dass sie überhaupt erst einmal so eine Beziehung eingehen wollen, oder auch, dass ausgehend von einer bestehenden Beziehungsform, eine andere/anspruchsvollere/reizvollere angestrebt wird.
Es gibt Menschen, denen gelingt das. Andere versuchen sich schon lange in der Ausgestaltung, doch das Ziel ist nach wie vor in weiter Ferne bzw. im Reich der Träume.
Warum ist das so? Liegt es daran, dass es „zu wenig“ Polys gibt? Dass man im falschen Ort wohnt? Oder dass alle Menschen, denen man begegnet, eben nicht die Richtigen sind? Ich glaube nicht. Das hieße, die Ursachen ins Außen zu verlagern, im Leben ein beliebter Weg – alle anderen bzw. die Umstände sind schuld – aber selten wahr und zielführend. Naheliegender ist es zu schauen, was im Innen der Verwirklichung im Weg steht.
Es gibt aus meiner Sicht zwei Determinanten, die das „Innen“ verkörpern, die beteiligten Menschen einerseits und die angestrebte Beziehungsform als Gedankenkonstrukt/Ziel andererseits. Beide müssen zusammen passen, damit aus Traum Realität werden kann.
Und jetzt kommt das Peter-Prinzip ins Spiel. Dessen Kernsatz ist:
„In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“
Einzige Einschränkung: Die Hierarchie muss hoch genug sein; sprich genügend Hierarchie-Stufen enthalten.
Quelle: Wikipedia
Einzige Einschränkung: Die Hierarchie muss hoch genug sein; sprich genügend Hierarchie-Stufen enthalten.
Quelle: Wikipedia
Man sieht, es geht beim Peter-Prinzip, wie oben ausgeführt, auch um Menschen und deren Konstrukte bzw. Hierarchien.
Meine These:
Polyamore – wie auch alle anderen - Beziehungen sind mit Hierarchien vergleichbar. Somit neigen auch hier die beteiligten Menschen dazu, bis zu ihrer Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.
Denn man kann ohne große Gedankenverrenkungen auf die Idee kommen, die unterschiedlichen Beziehungsformen als hierarchische Konstrukte mit unterschiedlichen (Schwierigkeits)Ebenen zu begreifen.
Daraus folgt, es gibt wie in Hierarchien keine kausale „immer wenn dann“ Verknüpfung für zwischenmenschliche Beziehungen.
Beispiele für das kausale Denken: Wenn ich ein guter Kassierer bin, werde ich auch ein guter Marktleiter sein. Bzw. wenn ich polyamor fühle, kann ich auch polyamore Beziehungen führen. Oder: Wenn eine polyamore Beziehungsform für mich lebbar war, ist es auch eine andere.
Jeder, der sich entscheidet, ein polyamores Leben zu führen, weiß oder ahnt, dass dieser Weg ein höheres Maß an Fähigkeiten auf vielen Ebenen erfordert, als ein Leben als Single oder monoamores Paar. Und auch die polyamoren Beziehungsformen unterscheiden sich, wie wir wissen, nochmals in Bezug auf die Anforderungen für alle Beteiligten. Denn es ist ein Unterschied, ob es mir genügt, unabhängige Sternbeziehungen zu führen (non-Primary-Modell), ich das Primary-Modell in unterschiedlichen Ausprägungen präferiere oder gleichberechtigte Mehrfachbeziehungen als offene oder geschlossene Netzwerke. Einverstanden?
Jede polyamore Beziehungsform erfordert neben vielen gleichen ebensoviele höhere Fähigkeiten, so wie das Anforderungsprofil einer Stellenausschreibung für einen Kassierer ein anderes ist, als für einen Supermarktleiter. Es geht also um Kompetenzen.
Wenn eine angestrebte Beziehungsform trotz stetiger Anstrengungen in weiter Ferne bleibt, lohnt es sich, genau diese zwingend nötigen Kompetenzen bewusst zu machen und anschließend für sich selbst und den/die Partner ehrlich zu hinterfragen. Denn es ist gut möglich, dass die Stufe der persönlichen Inkompetenz (Peter nennt es Endplatzierung, weil keine weitere „Beförderung“/Entwicklung mehr möglich ist) erreicht ist, und deshalb das Ziel unerreichbar bleibt bzw. Illusion ist. Nur dazu wäre es erforderlich zu erkennen, dass die postulierten Fähigkeiten eben nicht vorhanden sind.
An dieser Stelle greift ein zweiter Mechanismus, der es schwer macht, dass relativ ehrlich und objektiv zu beurteilen:
Als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet man die Tendenz inkompetenter Menschen, das eigene Können zu überschätzen und die Leistungen kompetenterer Personen zu unterschätzen.
„Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. […] Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, [sind] genau jene Fähigkeiten, um zu entscheiden, wann eine Lösung richtig ist.“
– DAVID DUNNING
Sie kamen zum Resultat, dass weniger kompetente Personen
dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen,
überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen,
das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht zu erkennen vermögen,
durch Bildung oder Übung nicht nur ihre Kompetenz steigern, sondern auch lernen können, sich und andere besser einzuschätzen.
Quelle: Wikipedia
„Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. […] Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, [sind] genau jene Fähigkeiten, um zu entscheiden, wann eine Lösung richtig ist.“
– DAVID DUNNING
Sie kamen zum Resultat, dass weniger kompetente Personen
dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen,
überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen,
das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht zu erkennen vermögen,
durch Bildung oder Übung nicht nur ihre Kompetenz steigern, sondern auch lernen können, sich und andere besser einzuschätzen.
Quelle: Wikipedia
Und nun? Wie kriegt man – so man gewillt ist – es dennoch raus, ob man inkompetent bzw. endplatziert ist? Die Beispiele von L. J. Peter helfen da nicht wirklich weiter. Hinzu kommt, dass ein Beteiligter, mehrere oder alle die Endplatzierung erreicht haben können. Dennoch sollte das Nichterreichen der Ziele über einen langen Zeitraum, Leid, viele Fehlversuche, Verschleiß von Menschen und Lieben zumindest stutzig machen.
UND: Es gibt bestimmte Kernkompetenzen und nachfolgend Aufgaben, die sich für jede Beziehungsform benennen lassen. Und man kann sich die Frage stellen, ob und wer in dem Beziehungskonstrukt die Befähigung/Kompetenz besitzt, diese Aufgaben zu lösen. Oder, werden die Aufgaben zur Zielerreichung überhaupt angegangen? Beschäftigen sich alle oder einige Beteiligten der Beziehung mit Ersatzhandlungen, wie ständige Vorbereitung, Spezialisierung auf Nebensächliches, Einbildung statt Leistung? Wird die „Schuld“ für die Nichtverwirklichung immer noch im Außen – bevorzugt bei potentiellen neuen Partnern oder widrigen Umständen – gesucht?
Es gibt laut L. J. Peter folgende Grundformen der Unfähigkeit:
• Überschreiten der physischen Leistungsfähigkeit
• Zu geringe Fähigkeiten im Umgang mit Menschen
• Zu geringe emotionale Fähigkeiten
• Zu geringe geistige Fähigkeiten
Ich möchte ergänzen Angst und innere Enge.
Ich habe vor Längerem einmal das, was ich in jeder Partnerschaft an Fähigkeiten für wichtig halte, so zusammengefasst:
Solche Werte sind für mich, Liebe und Selbstreflexion vorausgesetzt:
- Liebevolles Verständnis
- Die Mitfreude, ein weites Herz, gönnen können
- Den Partner nicht verbiegen zu wollen
- Treue zum Partner, ihn nicht im Stich zu lassen auch wenn er gerade sehr schräg drauf ist
- Seine Andersartigkeit als Bereicherung anzusehen
- Verlässlichkeit und Beständigkeit
- Den Partner dort abzuholen, wo er gerade in seiner Entwicklung steht und ihn liebevoll zu begleiten
- Bereitschaft zur persönlichen Weiterentwicklung
- Unrecht einzusehen
- Bereitschaft zu verzeihen, auf den anderen zuzugehen
- Den Partner nie willkürlich aus der Gemeinschaft ausszuschließen
- Verantwortung für eigenes Tun, Gedanken und Gefühle übernehmen
- Keine Delegation von Schuld (jeder kehrt vor seiner eigenen Tür)
- Kein Tolerieren von Manipulationsversuchen und Verunglimpfung
- Das Einhalten von Absprachen und Vereinbarungen, keine Willkür
- Integrationswille (die dazugehörige Fähigkeit wird dann hoffentlich mitwachsen)
- die Anerkenntnis dessen was ist und gelebt werden will, auch wenn es zunächst Angst macht
Diese Liste ist und soll nicht vollständig sein. Denn jede Beziehungsform hat darüberhinaus ihre speziellen Anforderungen, die ich noch nicht mal erahnen kann, weil ich gar nicht weiß, wie Ihr – als hoffentlich geneigte Leser – leben wollt.
Nehmen wir mal an, ich habe festgestellt, dass ich auf meiner Stufe der Inkompetenz angekommen bin. Das ist kein Grund zu traurig zu sein. Es gibt Auswege aus der Misere. Die einfachste Möglichkeit ist, einfach einen Schritt zurückzugehen, genau zu der Beziehungsform, die als letzte funktioniert hat und sich für alle Beteiligten stimmig anfühlte. Dafür kenne ich einige Beispiele, sie stellen nicht die schlechteste Variante dar. Zumal man von hier aus auch in aller Ruhe die zweite Möglichkeit angehen kann. Sie ist weiter oben beschrieben im Dunning-Kruger-Effekt, nämlich die Kompetenz in den Bereichen der Schwachstellen durch Übung oder Weiterbildung zu steigern, und so doch noch dem Ziel näher zu kommen. Wobei man sich der eigenen Möglichkeiten und Ressourcen bewusst machen sollte. Nicht in jedem Schauspieler steckt das Potential zum Präsidenten der USA.
Das Ganze, was ich versuchte auszuführen, ist nicht vollständig, hat auch nicht den Anspruch. Es lag mir aber am Herzen, es zumindest in den Eckpunkten anzureißen.
So, jetzt trau ich mich mal, das als Thread einzustellen und freue mich auf spannende Beiträge und inspirierende Ergänzungen oder konträre Meinungen.
Herzlich
Falcon_Fly