Ich glaube, man kann das wirklich nicht generalisieren. Jede Beziehung hat eine Spannung in sich zwischen dem Grundbedürfnis des Wachsen könnens (Grundbedürfnis nach Selbstentwicklung) und des Bedürfnisses nach einer tragfähigen nahen Bindung (Grundbedürfnis nach Bindung).
Wenn Babies entdecken, dass sie jemand etwas Eigenes sind und anderes sind als die Mutter (bis zu einem bestimmten Zeitpunkt sind Babies eins mit ihrerer Mutter), und sich daran machen Sich selbst in der Welt zu entdecken, geraten sie in einen Zweispalt.
Krabbeln sie um die Ecke (ohne ihre Bezugsperson zu sehen) entdecken sie die Welt, und sie entdecken sich selbst in der Welt. Das können sie aber nicht nicht zu lange machen. Denn irgendwann möchten sie wieder zurück in die Nähe der Bezugsperson, möchten den Kontakt, und sie möchten sich mitteilen. Das Kind ist nähebedürftig. Es möchte geliebt werden.
In der besten aller Welten trifft das Kind die Mutter, also die Bezugsperson in den meinsten aller Fälle, als eine gelassene feinfühlige Person psychischer guter Verfassung, die präsent ist und zuhören kann (nicht nur den Worten sondern auch emphatisch), und die sich mit freuen kann. In diesem Fall entwickelt das Kind das nötige Urvertrauen, sich immer ungestört in die Welt zu bewegen, es selbst zu werden, ein eigenständies Selbst aufzubauen (und sich dabei völlig von der Bezugsperson zu trennen); und wieder zurückkehren zu können, in dem Vertrauen, dass die Bezugsperson wirklich da ist und nah sein kann, und dass es geliebt wird.
Beide Bedürfnisse sind gleich wichtig! Es sind Grundbedürfnisse existenzieller Art wie Essen, und Fortpflanzung (Sex)!
Das alles kann von ganz alleine geschehen. Es ist in uns angelegt. Aber wenn wir einen Mangel auf einem dieser Grundbedürfnisse erfahren haben, werden Rituale, und später mit der Sprache auch Verabredungen immer wichtiger, um Sicherheit zu gewinnen, dass die Bedürfnisse befriedigt werden. Manche sage, dass wäre auf einer höheren Hirarchiestufe ein Antrieb für die Sprachentwicklung, neben dem Bedürfniss real erlebtes (als eigenes Selbst) zu erzählen.
Deswegen werden Verabredungen ein wichtiger Teil in unserem Leben. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass, wenn wir nicht in der Besten aller Welten leben, wir auch herbe Enttäuschungen erleben. Und mal ganz ehrlich, die feinfühlige Person in psychisch guter Verfassung deckt sich nicht mit den meisten erlebten Müttern. Die meisten sagen ihrem Kind lieber: "Pass auf, geh nicht so weit weg", oder "Das kann gefährlich sein, bleib lieber hier", oder sie sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht wirklich da sind, wenn das Kind nach seinem Ausflug wieder zurück kommt, hören gar nicht wirklich zu, wenn das Kind über sich erzählt.
Einige Menschen entwickeln dann aber doch Strategien, sich selbst wieder zu finden, loszulassen, und sie treffen dabei immer auf Menschen, denen sie Vertrauen können.
Hier in diesem Forum spielt das Grundbedürfnis nach Sex eine sehr wichtige Rolle als Katalysator, um sich wieder zu finden, und um alte Muster loslassen zu können. Die meisten polymamorös orientierten Partner haben diese Form erst erlernen müssen, haben sich vorher durch die Untiefen der emotionalen Verschmelzungen in Partnerschaften gekämpft, haben emotionale Patts in Partnerschaften erlebt, Trennungen und Schmerzen vor Verlustangst, trüben Schmerz und reinen Schmerz, aber sie sind trotzdem gewachsen dabei.
Und sie sind vielleicht ehrlich genug, um Sex als etwas zu erleben, wo man sich wirklich fallenlassen kann, als etwas wirklich meditatives und etwas urkreatives. So sind sie zu einem neuen Verhältnis zu Nähe und Partnerschaft gekommen - so wie oben eingangs beschrieben, aber in einem definierten Status (oder zumindest von einem anfangs definierten Status kommend).
Polyamorie ist eine Verabredung. Wenn sich wirklich zwei Menschen treffen würden, die in der besten aller Welten aufgewachsen wäre, so wie oben beschrieben: Sie bräuchten darüber nicht reden, sie bräuchten diesen Begriff gar nicht, sie wäre einfach miteinander und würden sich freuen darüber und sich bedingungslos lieben.
All diese Zweifel, die Positionsbestimmungen und Definitionen sind in der realen Welt nötig. Toleranz führt als sicherer Pfad durch den Dschungel der Reglementationen: Auch mal etwas stehen lassen, was man nicht sofort teilen kann, oder was nicht den eigenen Erfahrungen entspricht. Gelassener werden.
Vielleicht geht es gar nicht darum, mit sich in schwierigen Situationen nur mit sich Selbst zu beschäftigen. Vielleicht hilft auch etwas, das man nur zusammen in Nähe und Intimität finden kann. Und zwar so, wie oben beschrieben in der besten aller Welten.
Ein kleiner Moment in dieser Art kann so viel bewirken. Einfach nur Berührung, Liebe, echte Emphatie und gemeinsame Hingabe kann so viel von diesem Urvertrauen zu Tage fördern, das sich durch gewonnenes Urvertrauen neue und wirklich erfüllende Möglichkeiten zeigen. Zusammen wachsen ist die beste aller Wachstumsstrategien.
Wenn wir so seien können: Gelassen, feinfühlig und in guter psychsicher Verfassung, können wir allen Beziehungen - egal wie sie sich definieren - neue Motivation geben.