@sorbas42
Ich kann dir grundsätzlich in allem, was du schreibst, zustimmen, denn wenn es so ist und gelebt wird, finde ich das ja auch gut. Allerdings erlebe ich wohl im Moment so eine Art Ernüchterung, weil ich immer wieder die Erfahrung mache, dass solche Ideale leider oft nur Kopf-Geburten bleiben, Ziele, die zwar edel und scheinbar erstrebenswert sind, aber wohl auch viel zu hoch gesteckt sind. Diese Anforderung, sich immer offen auseinanderzusetzen, und das auch noch in einem ganzen Geflecht von Beziehungen, finde ich eine arg harte Nummer, der die wenigsten wohl wirklich gewachsen sind. Und warum soll man auch so hohe Ideale haben und erfüllen wollen?
Ich sehe es bei mir und auch bei anderen: es gibt immer diese Sehnsucht und Hoffnung, heil zu werden, dass es nicht mehr so weh tut oder man zumindest den Schmerz unter Kontrolle bekommt, der in Beziehungen immer wieder entsteht. Wie gesagt, das ist die Theorie, aber das ist nicht das Leben! Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass eben auch in polyamoren oder offenen Beziehungen nicht alles offen auf den Tisch gelegt wird, und ich erlebe es immer wieder, dass nach außen hin Souveränität gezeigt wird, aber darunter nur mühsam eine Verletzung verborgen wird. Ich sehe da gar keinen so großen Unterschied mehr zu monogamen Beziehungen, nur dass es polyamor noch anstrengender ist, weil es gleich hoch drei oder hoch vier oder noch mehr bedeutet...
Bei mir ist momentan vieles sehr emotional und vielleicht auch nicht unbedingt logisch, ich bin in einer großen Umbruchsphase, wo ich einfach für mich noch mal ganz klar schauen will: was will ich wirklich? Wo geht es hin? Und ich denke mal, dass ich jemand bin, der zwar sexuell durchaus offen ist und bereit, sich und dem anderen da alle Freiheiten zuzugestehen, aber ich bin auch jemand, der wohl eher monoamor liebt, der sich für die Liebe eher einen geschlossenen, geschützten und intimen Raum wünscht. Also eher jemand für eine Freundschaft + oder eine offene Beziehung.
Zudem ist mir jetzt auch ein anderer Aspekt in den Sinn gekommen, der für mich ein polyamores Leben und Lieben wohl eher unrealistisch macht. Ich bin eher eine Eremitin und Einzelgängerin, die gerne alleine lebt, viel Rückzug braucht und auch viel Zeit mit Hobbies wie Schreiben und Malen verbringt. Ich habe für mich da nicht so viel Raum für das Thema Beziehung und fühle mich da schnell überfordert, weil ich da andere Gewichtungen habe. Ich beobachte halt auch, dass Menschen, die polyamor leben, Beziehungen viel mehr Raum geben und das auch als erfüllend erleben und viel mehr bereit sind, dafür auch alle Zeit und Energie reinzugeben. Das ist auch so ein wunder Punkt im Moment für mich, denn ich bin durchaus eine Frau, die starke und tiefe Empfindungen haben kann, und ich fühle mich da missverstanden, wenn mir aus Sicht von polyamor veranlagten Menschen dann Kälte und Egoismus vorgeworfen wird, weil ich da andere Bedürfnisse habe, weil ich es von meiner Veranlagung eben nicht schaffe, da 24 Stunden rund um die Uhr präsent zu sein.
Es ist einfach momentan irgendwie alles traurig, ich fühle mich da einfach alleine damit. Für die Monos bin ich zu unkonventionell, und für die Polys zu egoistisch, so fühlt es sich gerade an. Diesen Ausdruck „zwischen den Stühlen sitzen“ empfinde ich momentan ganz real.