Notizen zu Adornos Liebesbegriff
Hallo in die Runde ,sie wird im Verlauf dieses Posts immer kleiner werden... . Nun gut.
Über eine Bekannte wurde ich auf einen Artikel aufmerksam, der ausgehend von Adornos Liebesbegriff die Konzepte von Mono- und Polyamorie im Zusammenhang mit Treue diskutiert:
http://anti.blogsport.de/200 … en-zu-adornos-liebesbegriff/
Allemal handelt es sich um ein Werk, das Gedankengänge jenseits der mir bisher begegnete Texte anzubieten scheint.
Dort schreibt ein Geisteswissenschaftler über einen Geisteswissenschaftler, und leider ist der Text sehr sperrig zu lesen :-/. Evtl Umut über eine Sprache, die häufig eher als Machtinstrument der „Wissenden“ oder „Besseren“ wirkt, denn als allgemein verständlicher Informationsversuch, teile ich vollauf; er braucht hier nicht weiter gepflegt zu werden
Nach zweimaligem Studium mit zahlreichen Wiederholungsschleifen in Sätzen und Absätzen glaube ich Folgendes verstanden zu haben und bitte um Verständnishilfe und Austausch, sofern jemand Interesse hat Meine Gedanken sind kursiv gesetzt.
1. Der zeitliche Verlauf und Besitzdenken bestimmt die Entwicklung von Mehrfachbeziehungen mehr als die Gefühle.
Logisch nicht nachvollziehbar ist für mich der Satz: „Dieses Besitzen wiederum führt zu einer Austauschbarkeit und reinen Funktion des besessenen.“
Hat der Autor hier lediglich monoamore Beziehungen gemeint?
Erst viel weiter unten im Text findet sich möglicherweise ein erklärender Hinweis, dass den konsumorientieren und damit austauschbaren Beziehungen im Kapitalismus mit der Treue etwas Unaustauschbares aufgepappt werden soll („Die Treue, als Produkt der Warenförmigkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen…“).
2. Würde sich unsere Zuneigung auf die liebenswürdige Individualität eines Gegenübers richten, entfielen Konkurrenz und Untreue. Besitz führt zu Austauschbarkeit und Verlustangst.
Auch hier bleibt mir die innere Logik verborgen. Gerade an der gemeinsam gelebten („besessenen“) Zeit mit einem wegen seiner Persönlichkeit geliebten Individuum macht einen evtl. Verlust doch größer, als wenn es nur eine Funktion erfüllt, die auch ein anderer Mensch bieten könnte, oder?.
Habe ich hier etwas falsch verstanden?
„Das Spezifische am Menschen ist als zu liebendes insofern vor Ausschließlichkeit geschützt, als dass es einmalig und unwiederholbar ist und eben darum das andere duldet.“
Ist dem Autor hier eine Unachtsamkeit unterlaufen? Das Individuelle ist in diesem Kontext imho vor Beliebigkeit geschützt, oder die Ausschließlichkeit wird durch das Individuelle gewahrt.
3. Die bürgerliche Vorstellung von der Liebe als einem unwillkürlichen Geschehen (Bauchgefühl) sei nach Adorno in einer ökonomisch ausgerichteten Gesellschaft eine Herrschaft des Interesses. Lediglich intuitive Liebe degradiert Menschen zu Objekten.
Besser wäre eine zusätzliche, bewusste Entscheidung zur Treue, um der Unfreiheit des gesellschaftlichen Treuebegriffs als obligatorischer Forderung zu entgehen.
Adorno kritisiert, so der Autor, eine polyamore Warenhausmentalität, die auf der (auch insgeheimen) Suche zum einen Traumpartner nahezu beliebig flexibel in seinem Beziehungsverhalten ist. Treue i.S. Adornos ermögliche die bewusste Entscheidung für mehrere Menschen.
Wenn zwei Menschen sich lediglich intuitiv lieben, empfinde ich das als Aufeinandertreffen zweier Individuen in einem sehr speziellen Prozess von Resonanz. Individueller und unaustauschbarer geht es wohl kaum. M.E. sind es lediglich unsere Projektionen auf das Gegenüber, die es zum - wegen der Resonanzerfordernis nicht unbedingt austauschberen - Objekt machen. Deshalb kann sich imho Liebe frühestens nach der Auflösung der Projektionen einstellen.
Sexuelle Begegnungen können – auch ohne anfängliche Projektionen – ein Weg zur Liebe sein. In dieser Phase mögen sie in der Rolle als Sexualpartner eine Funktion erfüllen und austauschbar sein, aber das muss nicht so bleiben. Insofern kann ich mich bewusst auf einen Menschen einlassen in der Absicht, zu schauen, ob Liebe möglich wird. Ist das schon polyamor oder wird es das (vlt.) erst?
4. Polyamorie an sich befreit nicht von Besitzdenken, Funktions- und Warenhausmentalität. Polyamore Beziehungen seien oft durch ein „Chaos von Verträgen und Versprechungen strukturiert“.
Tatsächlich entsteht in mir immer wieder der Eindruck, dass „Treue“ und Besitzdenken in Polybeziehungen sich gerne andere Reviere sucht als die exklusive Sexualität, z.B. in speziellen Aktivitäten oder Orten, die eben nur mit einem Menschen geteilt werden (sollen).
Nicht nur das wirft in mir die Frage auf: wann liebe ich einen Menschen als das, was ihn ausmacht? Es führt in die philosophische oder spirituelle Fragestellung was der Mensch an sich, also außerhalb seiner Eigenschaften, Verhaltensweisen und Situationen mit ihm ist? Wie kann ich ihn das wahrnehmen und womit lieben?
Wohl aus Unwissen- und Hilflosigkeit lande ich dann bei der von Adorno als Menschen degradierend kritisierten Liebe aus Intuition als etwas, das sich meinem Verstand und oft auch einem analysierbaren Gefühl entzieht…
5. Ein polyamores Liebeskonzept, das auf jegliche Versprechen und Verträge verzichtet, kann kein Gegenmodell zur bürgerlichen Poly- oder Monoamorie sein, weil Verlustangst, Besitzdenken etc. aufgrund unserer Prägungen nicht per Willensbeschluss aufgegeben werden kann. Wer das ignoriert und praktizierte polyamore Ideale einfordert, übersieht die menschliche und gesellschaftliche Wirklichkeit, in der wir leben. Das degradiert das Gegenüber zum (Versuchs-)Objekt.
Der Autor verwendet den Begriff „Abschwur von der Treulosigkeit“. Hier müsste wohl „Abschwur von der Treue“ stehen. Weil er den Begriff nach meinem Verständnis zweimal sinnkonträr zum Kontext verwendet, frage ich mich, wo ich falsch denke…
So wird von der „Treulosigkeit im falschen Ganzen“ gesprochen, wo nur „Treue“ für mich im Kontext einen Sinn ergibt.
6. Weder Untreue (keine Verträge, keine Versprechen) noch unkritische Treue sind hilfreich in unseren Beziehungen, sondern ein Verhalten, das mit dem oder den geliebten Menschen als Subjekt in Treue reflektiert begegnet.
Fazit, Wertung und Kommentar zum Text (nicht zu den Verfassern):
Richtet Euch im System so ein, dass Ihr die Freiheit zu reflektiertem Widerstand habt, ohne den angebotenen Modellen einfach zu folgen.
Wie viele Denker, die philosophisch ihren Stil gefunden haben, so scheint mir (ohne die Minima Moralia Adornos im Original gelesen zu haben oder Adornos Werk näher zu kennen), verengt sich deren Weltsicht auf einen wesentlichen Blickwinkel. Im Fall Adornos auf die kapitalistische Ökonomie, in deren Korsett jedes Phänomen gepresst und so lange reduziert wird, bis es hineinpasst.
Das Phänomen der Liebe fordert von uns aber zu einer geistigen Weite heraus, das sich letztlich selbst den klügsten Philosophen entzieht. Erich Fromm vlt. ausgenommen .
Für meinen Geschmack wird im Text zu wenig auf den Anteil des Individuums im Umgang mit sich selbst als Voraussetzung für ein fruchtbares Miteinander in Beziehungen reflektiert. Prägungen werden als gegeben hingenommen. Das ist einerseits richtig, aber Wege, diese zu ändern, werden nicht aufgezeigt Das war vlt. gar nicht beabsichtigt, ist aber nichtsdestoweniger notwenig, um bestehende Verhältnisse zu ändern.
Der Text bleibt neutral, diskutiert und kritisiert, gibt aber keine weiteren Denkanstöße. Er zeigt keine neuen Perspektiven auf, erweitert keinen Horizont. Wenigstens nicht meinen.
Frei gedacht, sprachlich schlecht und, soweit ich den Text verstehen kann, mangels Perspektiven inhaltlich dünn und endet mit einer Plattitüde: „…weil das Problem nicht in der Quantität, sondern Qualität der Beziehungen steckt.“ Und damit in uns selbst. Siehe oben.
Philosophie heißt „Liebe zur Weisheit“, und Weisheit verträgt keine Scheuklappen. Schon gar keine ideologischen.
Was ist Eure Meinung?
Ein liches an alle, die sich bis hierher durchgedacht haben.
TM