Wenn ein weiterer Mann dazu kommt, in Liebe - warum wird er nicht Mitglied der Familie?
Er würde dich als alleinerziehende Mutter entlasten, genau so wie es der tun sollte (und hoffentlich auch macht, der mit dir und deinen Kindern lebt).
(...)
Du magst jetzt sagen: "Ja, das wäre ein Idealzustand." - Na und? Warum streben wir ihn dann nicht an? Warum quälen wir uns dann mit Situationen, die uns zusätzlich belasten, als uns zu entlasten?
Weil diese Idee zwar einfach klingt, aber meines Erachtens fast nie funktioniert.
Einen weiteren Menschen in die Familie aufzunehmen, bedeutet oft auch, ihn entweder von seiner bisherigen Liebe (so er ebenfalls polyamor ist) oder gar Familie zu trennen oder aber diese gesamte andere Familie in völliger Hingabe gleich mit aufzunehmen, obwohl man zu ihr nicht unbedingt eine eigene, positiv gestimmte Beziehung aufgebaut hat.
Wie weit sollte solch eine "Familienzusammenführung" gehen? Wo trennt man die Aufnahme weiterer Mitglieder auf? Irgendwo macht doch jeder automatisch seinen eigenen Schnitt. Sehr schnell bin ich von Knoten dieses Netzwerks zu weit entfernt als dass ich eine echte Beziehung zu ihnen habe und sie als "meine Familie" ansehe. Ich komme schon nicht mit allen Freunden meiner Freunde zurecht, genausowenig mag ich automatisch alle Beziehungspartner derjenigen, die ich liebe. Ich will nicht mit all diesen Leuten "Familie" spielen. Kaum jemand mag so etwas, und mit meiner eigenen Einstellung ist es nicht mal getan. Die anderen müssen ebenfalls alle(!) wohlwollend zustimmen.
Wenn ein weiterer Mann dazu kommt, in Liebe - warum wird er nicht Mitglied der Familie?
Ist vermutlich nicht so gemeint, aber ich finde, dies klingt stark nach: "ICH als 'Mittelpunkt' meiner geliebten Menschen nehme alle, die ICH liebe, in meine Familie auf." Da aber auch jede der anderen Personen ihre eigenen Liebesdinge fühlt und regelt, halte ich dieses Denken für schädlich egoistisch.
Ich halte es für fast unmöglich, als polyamorer Mensch in mehreren(!) Familien angemessen mitwirken zu können, und ich halte es ebenso für schwierig, im ganz normalen Lebensalltag mehrere Beziehungen angemessen pflegen zu können. Liebe ja, aber Beziehung funktioniert fast immer nur mit immensen Einschränkungen.
Wie wenig Stunden einer gesamten Wochenzeit für eine einzelne Beziehung wirklich zur Verfügung stehen, habe ich an anderer Stelle schon mal abgeschätzt. Das ist ein lächerlich kleiner Wert, insbesondere wenn man noch als Individuum eigene Wege (Hobbies, nichtgemeinsame Freunde etc.) gehen möchte. Dieses Fitzelchen an Zeit adäquat auf mehrere Personen oder gar Familien aufzuteilen, funktioniert fast nirgendwo auf Dauer. Die Beziehungen scheitern an allen Ecken und Enden, weil sie nicht wirklich als Beziehung geführt werden können.
Stattdessen könnten vielleicht alle(!) Beteiligten die Zeit aber auch gemeinsam verbringen, damit jeder möglichst viel Zeit mit dem/den anderen verbringen kann. Dies klappt aber auch nur, wenn alle sich miteinander verstehen und vermutlich auch nur dann akzeptabel, wenn es die ungleichgewichtige Situation gibt, dass (Nervbegriffe) es einen "Center" gibt und jeder "Wing" ausschließlich die Beziehung zu diesem einen Center führt.
Sobald aber eine Beziehungsreihe oder ein Beziehungsnetzwerk an Polyamoren entsteht, kann man wohl auch diese Gleichzeitigkeit vergessen. Man müsste dann ständig mit vielen Menschen zusammensein, womöglich auch mit solchen (s.o.), zu denen man gar keine eigene Beziehung aufgebaut hat.
Bleibt man seinen eigenen Gefühlen treu, und zwar nicht nur der Liebe, sondern auch dem eigenen Befinden, den momentanen Bedürfnissen oder auch der (erlaubten) Abneigung zu bestimmten Menschen, dann wird man nicht immer mit all diesen anderen Menschen zusammensein wollen.
Fazit:
Idealreden kann man vieles, die Praxis zeigt aber auch, wie wenig die Idealvorstellungen mit dem Leben gemein haben. Niemand ist in seinem Wesen ausschließlich polyamor. Jeder hat auch andere Facetten, die seine Persönlichkeit ausmachen und die er beachten muss, damit er ein wohlgefühltes Leben lebt.
Der scheinbare Zwang, mit dem so viele polyamore Menschen aus der Viel-Liebe auch gleich die unbedingte Viel-Beziehung (oder auch "Viel-Familie") folgern lassen, blendet in meinen Augen aber diese anderen Facetten der eigenen Persönlichkeit aus. Die Poly-Beziehungen bedienen dann lediglich das eine Gefühl, aber sie arbeiten gerne gegen viele andere Elemente der eigenen Persönlichkeit und führen dann NICHT zum allgemeinen Wohlbefinden und zur Glückseligkeit.
Und deshalb halte ich Mehrfachbeziehungen nicht für die Ideallösung fürs menschliche Miteinander (was die Mehrfachliebe als Gefühl aber keineswegs ausschließt).
Warum quälen wir uns dann mit Situationen, die uns zusätzlich belasten, als uns zu entlasten?
Ja, warum tun das auch und insbesondere diejenigen Menschen, die zwanghaft versuchen, mehrere Beiehungen gleichzeitig zu führen, obwohl es sich oft so schlecht anfühlt bzw. sich in den meisten Fällen so negativ entwickelt?
Polyamore berichten zuhauf von ihren Problemfällen, aber kaum jemand (bis gar keiner) hält dagegen, dass alles problemlos und easy läuft - oder zumindest besser als in (m)einer seit Jahren glücklich geführten Einzelbeziehung.