Einen schönen guten Abend in die Runde
...und vielen Dank für die Aufnahme.
Schnelllebig ist unsere Zeit, Entscheidungen werden getroffen, weil günstige Faktoren zusammenfallen, nicht aber, auf Grundlage rationaler (oder emotionaler) Erwägungen. Werte, Vorstellungen des "Normal" und "Richtigen", von den vorangegangenen Generationen ererbt, treffen auf eine Vielfalt postmoderner Sinn- und Identitätskonstruktionen, die soviel Stabilität stiften wie nehmen können - was von all dem, das dein Leben ausmacht, gehört wirklich zu dir, zu deinem Streben, was nicht?
Gegebene Umstände liefern zuweilen einen vortrefflichen Anlass, um eine Inventur dessen durchzuführen, was Mensch gerne sein selbst nennt. Einen Anlass die eigenen Standpunkte, ganz reale, sachlich und geografisch verwertbare ebenso, wie rein ideell-gedankliche, zu hinterfragen und bis auf die Grundmauern zu dekonstruieren. Et voila, da bin ich! Und mit mir ist die Frage nach - für mich - vorstellbaren Beziehungsmodellen. Wie viele Partnerschaften habe ich in meinem Umfeld zerbrechen sehen, weil ein Partner entweder einen einmaligen Absturz mit einer weiteren Person hatte oder sich gar längerfristig zu jemandem anderen hingezogen gefühlt hat? A hat etwas mit C angefangen, worauf B und D auf die Barrikaden gegangen sind - kurz darauf haben sich dann auch A und C zerzofft, was bleibt sind drei kaputte Beziehungen, sechs Menschen die sich nichts mehr zu sagen haben und eine Menge blank liegender Nerven für das Umfeld. So weit, so gut, solange es mich selber nicht betrifft kann es mir eigentlich egal sein - Beziehungen werden geschlossen, Beziehungen werden gelöst, einige nach wenigen Wochen, andere nach vielen vielen Jahren und dazwischen schwirren jene, die es schaffen sich in der Gewohnheit des Zusammenseins einzurichten; aber will ich jemandem diesen Schmerz zufügen - selbst wenn er rasch wieder vergeht -, will ich selber so sehr an eine Person gebunden sein?
Ich gebe zu, diese Frage muss nicht dazu führen die monogame Beziehungsform in Frage zu stellen, eher mag sie gar eine Entscheidungsfindung zwischen Beziehungswunsch oder Single-Dasein verlangen. Und so ist sie weder die einzige Frage resp. Überlegung, noch die einzige Befürchtung gewesen, die meinen Weg in diese Gruppe gelenkt haben.
Zunächst, ich bin nicht 'poly', oder zumindest habe ich es noch nicht ausgelebt und kann mich deshalb auch nicht derartig Bezeichnen - Wobei Bezeichnungen und Definitionen m.E. immer einen zu starken 'Labelcharakter' haben, mithin zu statisch und somit zu Teil eines Schubladendenkens sind, als dass ich ihnen viel Raum zur Definition des Selbst zukommen lassen möchte; ganz anders in tendenziell theoretischen oder abstrahierenden Diskussionen, im Rahmen derer sie eine durchaus notwendige Klarheit in Sprache und Ausdruck befördern können (aber ich weiche ab!) -. Nein, ich könnte noch nicht einmal mit Sicherheit behaupten mich charakterlich dazu in der Lage zu sehen, ein polyamouröses Leben führen - würde ich am Ende nicht doch zum vor Eifersucht rasenden Kerl mutieren, der '
seine Frau' vor den gierigen Blicken der Konkurrenz zu schützen hat? Ich weis es nicht! Dabei ist es gerade dieses 'Geclaime', das mittlerweile hochgradig auf die nerven geht - MEIN Schatz, MEIN Freund, MEINE Frau, lasst bloß die Finger davon, weil MEINS! Aber ich bin nicht so selbstverliebt, dass ich behaupten möchte jemanden sexuell in allen Dingen erfüllen zu können, nein, noch nicht einmal in nicht-sexuellen Dingen würde ich dies behaupten wollen. Und so komme ich denn zu den Fragen die mich, viel mehr noch als die eingangs geschilderten Beobachtungen, zu meinen beziehungstheoretischen Überlegungen und damit in diese Gruppe geführt haben: wenn ich mit einem Menschen so gut Lachen, entspannen und verrückt sein kann, wie mit sonst niemandem; wenn ich mit einem Menschen einen so unglaublich bereichernden gedanklichen oder kreativen oder Interessen- oder... Austausch haben kann, wie ich ihn sonst mit 'keinem' anderen Menschen habe; wenn ich Männer aber auch Frauen anziehend finde, ist es dann nicht auch möglich Gefühle für mehr als Menschen zu entwickeln? Wenn ich aber in der Lage bin, für mehr als eine Person etwas zu empfinden, wird es meinen Mitmenschen mit hoher Wahrscheinlichkeit ähnlich gehen. Wenn es ihnen ähnlich geht, folgt daraus, dass das 'Claimen' - wie es nach meinem Gefühl nur allzu üblich ist - ein äußerst starker Eingriff, sowohl in die persönliche Freiheit der/des Partnerin/Partners ist, als auch in meine eigene Freiheit (womit ich die Notwendigkeit der Zurücknahme persönlicher Interessen in jeglicher Art von Beziehungen nicht in Abrede stellen möchte). Hieraus folgert wiederum die Frage nach der generellen Möglichkeit und den Formen von partnerschaftlichen Beziehungen zwischen mehr als zwei Personen?
Meine Fragen sind keine neuen, mein Weg hin zur Öffnung gegenüber alternativen Beziehungsformen ebensowenig. Schon in diesem Vorstellungsthread klingen viele ähnliche Fragen und Überlegungen an, auch für mich neuen Punkten bin ich begegnet, sodass ich auf deren Fort- und Ausführungen in der Gruppe gespannt bin.
In einer Zeit, in der die Identitäts-, Sinn- und Lebensmuster der 'klassischen' Moderne im Zerfall begriffen sind und durch "Bastel-" und "Patchworkidentitäten", durch von Umbrüchen gezeichnete Biographien und "nomadische" Lebensmuster ersetzt werden, in der Mobilität und Flexibilität, Spontanität und Ungebundenheit zu neuen Leitsternen werden, wird in einer solchen Zeit die Form der klassischen Zweierbeziehung nicht zwangsläufig durch neue Beziehungsformen ersetzt werden?
Euch allen einen angenehmen Sonntag...