Bin begeistert
und finde es inspirierend und spannend, wie sich das Thema entwickelt, in meinen Gedanken vernetzt, wohlwollender auf menschliche Schwächen und Ängste schauen lässt...
Soukies Trennung von polyamorem Fühlen und polyamorem Leben (im Sinne eines Konzepts, das moralische (An)Forderungen beinhaltet) verbindet sich mit Palims warmherziger Sicht auf alle Liebenden, die vlt. nicht die Konsequenz aufbringen, den moralischen Anforderungen des Konzepts Polyamorie zu entsprechen. Damit, so verstehe ich es, hinterfragt sie den moralischen Überbau des polyamoren Ideals und weist auf den Kern hin: die Liebe.
Liebevolles Verhalten zu einem Partner kann mit meinen Ängsten und Schwächen in Konflikt geraten. Z.B.
• wenn ich zu feige bin, meiner Partnerin eine weitere Liebe zu gestehen. Oder
• wenn ich als Unternehmer Angst habe, meine wirtschaftliche Existenz, Familienleben, vlt. eine Firma aufs Spiel zu setzen, sowie die damit verbundenen Arbeitsplätze der Mitarbeiter (die ich evtl. auch auf eine Art verbindlich "liebe") usw.
• Wenn ich gleichzeitig zu schwach bin, eine Liebe loszulassen und dem Verstand zu folgen, weil rationale Gründe und/aufgrund traditionelle/r Normen das zu erfordern scheinen.
So kann ich einen anderen Blick z.B. auf Brian Lorenzos Verhalten und das vieler Anderer gewinnen.
Mal ganz abgesehen von den dramatischen Fällen, in denen eine "moralische Lüge" (vgl. Adorno: Minima Moralia) gerechtfertigt sein könnte, weil Menschenleben auf dem Spiel stehen könnten.
Warum beinhaltet das Konzept der Polyamorie weitergehende Verhaltensanforderungen als die, mehr als einen Menschen lieben zu können
(und wie steht es mit meiner Fähigkeit, einen Menschen lieben zu können, der seinerseits mehr als einen Menschen liebt?)
Dazu ein spontaner Gedanke: Der moralische Überbau der Polyamorie dient unserem positiven Selbstbild. Das macht es leichter, uns anzunehmen, in die Selbstliebe zu kommen, uns "gut" zu fühlen.
Es könnte aber auch selbstgerecht und moralinsauer machen. Liegt es vlt. daran, dass Neulinge „die Polies“ und ihren Kommunikationsstil immer wiedr so empfinden und argwöhnen, dass es welche gibt, die sich als „besser“ Liebende fühlen? Brauchen wir das, wenn die (Selbst)liebe fordert, uns (und Andere) auch mit unseren Schatten anzunehmen? Könnte es sein, dass hier ein moralisches Schattenboxen stattfindet, das dazu dienen soll, uns vermeintlich positiv von Anderen abzugrenzen? Kann es in diesem Kampf letztlich Gewinner oder Verlierer geben und wozu das Ganze?
Ein anderer Gedanke betrifft die Täter-Opfer-Dynamik, die durch Moral angetrieben wird. Wir haben gelernt, die Welt fein säuberlich in Polaritäten von gut und böse, Schuld und Unschuld einzuteilen. Dabei gilt: Opfer = gut/unschuldig, Täter = böse/schuldig. Philosophisch ist das oft genug hinterfragt worden; ich bin der Meinung, dass es ein Wechselspiel ist, in dem die Beteiligten immer wieder versuchen, die Opferrolle einzunehmen, weil mensch dann „gut“ oder wenigstens „besser“ ist oder sich so fühlt – und dadurch gleichzeitig zum Täter werden können.
Wenn ich postuliere: ein Fremdgänger betrügt seinen Partner (und ihn damit moralisch verurteile(abwerte), verkenne ich, dass an einer Beziehung unter Menschen jedeR seinen Anteil hat und jedeR seinen „guten“ Grund, sich so zu verhalten, wie er es eben tut – im Extremfall selbst dann, wenn Boshaftes beabsichtigt wird. Es liegt in meiner Verantwortung, das Verhalten eines Täters moralisch zu verurteilen ("Verurteile einen Menschen erst, wenn Du 3 Monde in seinen Mokkasins gewandert bist"). Falls ich das tue, verurteile ich letztlich mein Denken und damit mich selbst.
Polyamorie ist, wie die Liebe selbst, ein geistiges Konstrukt mit grundsätzlich variablen Inhalten. Es möge erlaubt sein, diese Inhalte zu hinterfragen. Das haben die oben Erwähnten und Palim – gewissermaßen als Finalpunkt - auf eine Art und Weise getan, die mich berührt und inspiriert hat.
Dafür vielen Dank an alle und besonders an Palim.
lich
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