ja sehr stressig - obwohl...stress?
Hi Pixy,
danke für das Thema und Deine persönliche Schilderung, ich antworte auch mal persönlich.
Ich habe immer schon herzliche und auch liebevolle Begegnungen neben meinen festen Beziehungen gelebt, aber eben immer einseitig offen kommuniziert. Meine feste Partnerin wusste meist nicht davon, und wenn doch, war es auch der Anfang vom Ende. Ich habe mich immer schlecht gefühlt gegenüber meiner Partnerin; nicht aus mir selbst heraus, sondern habe mich immer falsch gefühlt, weil man es eben nicht darf. Aus mir selbst heraus hatte ich überhaupt keine Probleme, ich habe mich auch selbst nie so gefühlt, als würde ich fremdgehen und untreu sein. Mehr noch habe ich sogar nur dann Raum gefühlt, wenn es uns gut miteinander ging. Hatten wir Strom in den Tapeten, war ich da und bin nicht geflüchtet, habe mich selbst auch immer als emotional sehr verbindlich empfunden. Und das war, ehrlich gesagt, ziemlich stressfrei. Der Bezug war klar, die Verbindlichkeit gefühlt. Wenn Du so willst, quasi monogam mit einseitig genommenem Freiraum.
Ich hatte all die Jahre immer das Bedürfnis, offen zu sein, fühlen zu können, mich in anderem Kontext zu erleben. Und ich hatte, wie oben beschrieben, nie das Gefühl des Fremdgehens oder Hintergehens. Und als ich vor über zwei Jahren meine jetzige Partnerin kennenlernte, habe ich diese Haltung sofort und grundsätzlich offen gemacht. Ich wollte garkeine Beziehung, im Gegenteil verweigerte ich auch nur die Begrifflichkeit für unser Zusammensein. Wir wollten uns nur gut tun, und das haben wir auch. Nach einigen Monaten erst habe ich gefühlt, wieviele kleine liebevolle Dinge ich gegeben und erhalten habe und habe quasi hintenrum, ohne die direkte Intention, nun eine Beziehung zu suchen, mich in ihr wiedergefunden. Einfach begründet auf vielen sehr liebevollen Momenten, ohne die sonst übliche Abcheckerei von Interessen und Fokussierungen.
Wow - eine tolle Erfahrung!
Nur - sie lebte nie poly, weder gam noch amor. Sie wollte sich damit auseinander setzen, weil sie wie sie sagte sich hilflos fühlte, keinen Gesprächspartner oder -kreis hatte. Und damit hat sie mich dann mitgenommen, in die Auseinandersetzung und Reflexion über das Thema. Über sie bin ich an Literatur geraten, an die Liebesakademie (grossartige Erfahrungsräume) und andere. Ich habe mich immer falsch gefühlt, habe mich geschämt für meine Lebensweise, obwohl ich sie doch immer als so liebevoll erlebte. Und endlich habe ich mich wiederfinden können in Büchern, Aufsätzen und auch Begegnungen. Und vieles reflektiert, differenziert, zusammengesetzt.
He, das hat auch Stress - obwohl...Stress? Es ist für mich unglaublich anstrengend, offen zu kommunizieren, was ich gerade wo fühle, was ich tue, wen ich treffe - und mit wem ich gerade auch Liebeskummer habe oder gar selbst wehtue. Die Gegenüber auszuhalten, die schwimmt, die sich getroffen fühlt, die Angst hat und die, das kann ich mittlerweile wirklich fühlen, das zutiefst kränkende Gefühl hat, nicht zu reichen. Klar, da ist viel Arbeit, und wir schaffen uns immer bessere Werkzeuge für offene, innige und achtsame Kommunikation. Aber jeder Schritt weiter bringt mehr Nähe, soviel Nähe, das wir mittlerweile wissen, das wenn es nicht weitergeht, uns selbst näher gebracht haben - und viel mehr geht nicht.
Ich glaube zumindest für mich, das ich mich in einer ausschliesslichen monogamen Beziehung schnell verliere, das Funktionsübertragungen und Rollen gegenseitig schnell zum Einfrieren eines bestimmten Status führen. Ich habe sogar auch Misstrauen mir selbst gegenüber, genau in diese Rollen zu fallen, den anderen in Kompensation zu mißbrauchen und mich selbst zu verlieren und meinem Gegenüber ihre Integrität zu rauben. Aber es ist natürlich einfach; wenn Du so willst ziemlich unstressig. Die Positionen sind klar, und mit ein bißchen Beziehungsdisziplin, die wir ja alle kulturell und biographisch mitbekommen haben, ist eine Beziehung, ist eine Ehe halt so. Der Stress kommt später, und vor dem haben alle eine Riesenangst, wie Du ja auch statistisch belegen kannst. Die Verletzungen, die Einsamkeit in einer Trennung sind purer Stress. Finde Dich da mal wieder! Ich brauchte echt lange und suche immer noch.
Ich erlebe es heute als unbedingt anstrengend, ja. Immer wieder meiner Partnerin offen begegnen, anwesend, wirklich anwesend sein. Die Grenzen unserer Gemeinsamkeit spüren, das Allein-mit-sich-sein wahrzunehmen und nicht wegzuspielen in Rollen und Funktionen. Ertragen, wenn sie heute anders ist als gestern, anders denkt und fühlt und für sich selbst hinfühlen muss, ohne mich da mitnehmen zu können und aushält, selbst für sich hinzufühlen. Aber dann eben auch immer wieder die Begegnungen mit ihr, die so offen, so liebevoll, so nah sind. Nähe entsteht nicht durch Angleichung, nicht durch Missachten unserer getrennten Ich, sie entsteht durch Achtsamkeit, Zärtlichkeit und Liebe.
Ja klar, die wunderschönen Begegnungen, in denen ich mich in anderem Kontext erlebe, erfahre, und den anderen sich selbst erfahren lasse. Und ja, gerade der Schmerz, das meine "zweite" Liebe sich distanziert, weil sie etwas anderes will, weil sie mehr Ausschliesslichkeit braucht, und auch das Gefühl, das sie die Wichtigste für mich ist. Ist das Stress? Nein, es tut einfach weh, uns beiden. Ich möchte sie nicht verlieren, aber kann ich sie irgendwie wirklich gewinnen?
Stress würde ich es nur dann nennen wollen, wenn es einseitig zieht, wenn ich unter Druck bin, wenn ich Erwartungen erfüllen muss. Anstrengend würde ich es nennen, wenn es gegenseitige Auseinandersetzung gibt, offene und ehrliche Kommunikation.
Wie hat Jan Delay in Little Miss Anstrengend gesungen? *
Und du denkst Oh Mann so`n Scheiss verdammt,
und du sagst wieso muss denn immer alles so anstrengend sein...
(wenn mir der Roman in seiner Offenheit morgen peinlich ist, lösche ich ihn wieder)
*
http://www.songtexte.com/son … iss-anstrengend-3e4b1e7.html