Vielleicht liegt es daran, dass ich in meiner persönlichen Entwicklung sehr schnell meine eigenen Eifersüchte hinterfragt und diese letztlich auch (was dann aber noch Jahre dauerte) losgelassen habe.
Ich kenne seit einigen Jahren keine Eifersucht mehr, zumindest bei mir selbst nicht. Ich mache mich nicht verletzbar, wenn ich liebe. Ich war irgendwann einfach vollständig sorgenfrei in meiner Liebe. Dazu hat bei mir auch beigetragen, dass ich festgestellt habe, mehrere Menschen lieben zu können, dass ich überall Beziehungen zu Menschen eingehen kann, dass ich niemals allein bin und dass ich trotzdem allein sein kann, ohne mich einsam zu fühlen.
Erst jetzt würde ich selbst auch polyamore Beziehungen führen. Ich halte mich bereit dafür. (Trotzdem ziehe ich seit Jahren die monoamore Beziehung vor, weil ich jetzt auch gut erkenne, dass sie mir neben allen Liebesgefühlen zu anderen Menschen genügt.)
Ich denke, dass umgekehrt viele andere in ihre Poly-Beziehungen gehen, ohne innerlich dafür gereift zu sein. Das Liebesgefühl ist zwar da, das Konzept auch, aber die innere Zerrissenheit und die vielen Komplikationen machen das Leben für die Leute weder einfacher noch schöner. Es wird anders, die Vielliebe ist toll und sicher auch schön, aber die Probleme sind unglaublich groß und hemmen das Leben so sehr.
Das alles kenne ich nicht, weil meine Reihenfolge anders war und ich bereit war, mir viel Zeit für meine eigene Entwicklung zu lassen, bevor ich intensiver der Frage nachging, ob ich die viele Liebe, die ich habe, auch in Beziehungen ausleben würde.
Poly hat für mich viel mit der inneren Bereitschaft zu tun, mit dem angst- und eifersuchtsfreien Lieben, mit der Unverletzbarkeit meiner Gefühle.
All dies finde ich so auch in den Anfängen der Polybewegung und ihrer kurzen und knappen Definition wieder, nicht aber in der heutigen Überinterpretation dessen, was Poly sein müsste. Die Probleme, die heute diskutiert werden (auch in dem Interview angesprochen wurden), waren meines Erachtens keine Poly-Probleme, als die damals liebenden Menschen diesen Begriff erstmalig nutzten. Diese Probleme sind für mich eine Folge dessen, was eine "neue Polygeneration" für sich daraus gemacht hat, nämlich: Wir wollen unsere Vielbeziehungen leben und kümmern uns dann um die Probleme, die damit auftreten.
Für mich ist Liebe etwas völlig Unproblematisches. Wo immer ernsthafte Probleme, Eifersüchteleien und derartige Differenzen auftreten, halte ich die beteiligten Personen nicht bereit für das Ausleben(!) ihrer Liebe - und das gilt für jede Art von Liebesbeziehungsform.
Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich sehe heute, dass ich selbst auch immer wieder mal nicht bereit für das Ausleben schon einer einzigen Beziehung war, obwohl ich diese gesucht habe. Wir sind eben alle nicht perfekt und wir werden vermutlich auch nie perfekt sein... (Siddhartha Gautama mal ausgenommen?)
Aber wann immer die Liebe durch ungute Gefühle begleitet wird, läuft etwas nicht richtig und die Beteiligten (mindestens einer) sind nicht bereit für diese von ihnen gelebte Form. Leider sehe ich aber auch, dass dies in vielen Mono- wie Poly-Beziehungen der Regelfall ist.
Gruß
Ch.