Keine Freunde mehr
Jetzt verstehe ich, warum Freunde und Freude so ähnlich klingen.Ich habe es „geschafft“, in den letzten 20 Jahren alle Freunde zu verlieren. Ergebnis von 80-Stunden-Wochen, Selbstständigkeit, Home-Office, mehreren Umzügen und einer gescheiterten Ehe. Und plötzlich steht man allein da. Wirklich, mein letzter Freund ist meine Ex-Frau, zu der ich noch ein sehr gutes (ausschließlich freundschaftliches) Verhältnis habe. Wenigstens das.
Der Witz ist, dass ich ein sozialer Mensch bin. Ich bin nicht gehemmt, kann bei jedem Thema mitreden, beherrsche Small-Talk aufs Beste, bin nicht peinlich, nicht laut, nicht unfreundlich und immer an interessanten Menschen und Themen interessiert. Wenn ihr mich bei einer der seltenen Gelegenheiten sehen würdet, bei denen ich sozial interagiere, würde man das niemals annehmen.
Ich fühle mich so schrecklich einsam, dass ich manchmal denke, ich müsste der Abschaum des Planeten sein (an ganz schlimmen Tagen) oder dass ich irgendwo in meiner Vergangenheit falsch abgebogen bin und die Spielregeln des Menschseins einfach nicht beherrsche.
Wirklich, ich verstehe es nicht. Die größten Arschlöcher des Planeten haben Freunde, aber ich werde gemieden, als hätte ich die Pest.
Natürlich ist diese Situation das Ergebnis einer Gemengelage von Individualisierung, Auflösung von altbekannten Strukturen, Jobflexibilität, vereinsamenden Medienkonsum, Corona und meines Alters.
Im letzten Jahr bin ich mehrmals mit fremden Gruppen über GemeinsamErleben.com in Restaurants gewesen oder war wandern, aber Kontakte haben sich nicht ergeben, obwohl ich mich mit allen Anwesenden unterhalten konnte.
Aktuell liebäugle ich mit Speeddating – aber das ist nicht dasselbe, denn ich suche ja Freunde und keine Partnerin.
Ich zerbreche mir auch den Kopf, ob ich nicht Sport betreiben sollte. Aber welchen? Die meisten Sportarten werden solo betrieben, man geht allein ins Studio, man verlässt es allein. Und Mannschaftssportarten sind nicht mein Fall.
Ähnlich verhält es sich mit ehrenamtlichen Tätigkeiten. Ich fühle mich mental einfach nicht in der Lage, mich mit leidenden Menschen zu beschäftigen, das würde mich nur zutiefst belasten. Wenn ich dann zu Hause bin, wer fängt mich auf?
Ihr seht, ich stecke zwischen lauter Teufelskreisen.
Ich bin seit Kurzem in Therapie und bekomme Citolapram gegen meine Traurigkeit. Ich hoffe, dass es hilft.
50 Jahre und ich fühle mich wie ein Versager.