Wie mit ihm umgehen?
Ihr Lieben, ich bin ja nun schon eine Weile in der Gruppe und eher stiller Mitleser, aber heute möchte ich Euch mal um Eure Meinung bitten.Vorgeschichte (sorry das wird laenger): ich selbst bin gesund, polyamor und habe zwei Partner, einer ist mein Ehemann und wir sind seit vielen Jahren zusammen, er ist ebenfalls gesund. Der zweite ist mein anderer Partner und wir sind erst ein halbes Jahr zusammen, er ist bipolar seit Kindheit.
Er hat viel durchgemacht, ist mit neun vergewaltigt worden von einem (weiblichen) Familienmitglied, womit er sehr offen umgeht, mit elf starb sein Vater beim Autounfall und mit 23 starb sein Bruder, welcher wegen einer erblichen Muskelschwäche im Rollstuhl saß und Depressionen bekam und zum Alkoholiker wurde. Depressionen ziehen sich quer durch die Familie, schwere häufig, sein Großvater hat sich umgebracht wegen einer. Seine Mutter leidet an Depressionen, aber ist "funktionell" und braucht keine Behandlung bzw. sucht keine aktive Veränderung.
Die beiden leben (hier kommt der amerikanische Teil, er ist Ami) zusammen mit einem Ex-Junkie und dessen Tochter in einem winzigen, total heruntergekommenen und überteuerten 3-Zimmer-Häuschen, seine Mutter im Vorzimmer ...
Er (42) hatte vor 7 Jahren einen schweren Schub, fiel in eine tiefe Depression und hat ein Jahr das Bett nicht verlassen, Weinkrämpfe, aber zumindest haben seine drei besten Freunde weiter zu ihm gehalten und als es denen auch langsam zu viel wurde, hat er sich da rausgekämpft, einen Job gefunden (Krankenversicherung!), Therapie bei einer Psychiaterin angefangen.
Sie haben x Medikamente ausprobiert, manche haben ein paar Monate geholfen, andere gar nicht, viele Nebenwirkungen, irgendwann blieb nichts mehr. Er hat dann noch Testosteron ausgegraben per Internetrecherche (sein eigener Spiegel ist sehr sehr niedrig), das hat ihn bis zu einem gewissen Grad stabilisiert. Vor einem reichlichen Jahr war dann keine Option mehr, seine Psychiaterin sagte, außer Elektroschock und Tiefenstimulation wäre alles ausgereizt. Er hat sich dann mit einem Experten dazu unterhalten und meinte, das hätte ihm so viel Angst gemacht, daß er gesagt habe, es müsse sich was ändern. Und er hat angefangen, sich selbst über kognitive Therapie (kurz gesagt ... bewußtes Lachen) zu behandeln. Nach dem Motto: Wenn ich glücklich bin, lache ich, wenn ich lache, verbessert sich meine Laune. Ist ein biologischer Reflex, deswegen steckt Lachen an. Vor einem halben Jahr haben wir uns kennengelernt und es ging ihm da schon ziemlich gut. Er zirkuliert weiterhin ziemlich stark zwischen kurzen, schwachen manischen Phasen (wenige Stunden bis 1-2 Tage) und mehr oder weniger heftigen depressiven Phasen (mehrere Tage, manchmal nur zwei). Allerdings hat er mir das besonders Anfangs nicht zeigen wollen, was ziemlich erschöpfende Nächte zur Folge hatte: es kamen Emotionen hoch, vieles hat er verdrängt über die Jahrzehnte, Gesprächstherapie hat er nie durchgezogen, da er den Psychologen einfach nur was "vorspielt". Er verkrampft dann total in Schüben, hört auf zu atmen oder hyperventiliert, schlägt sich selbst, macht sich verbal runter. Über die Monate hat sich das (denke ich) gebessert, er kann jetzt weinen und schafft es, seine Atmung zu kontrollieren und sich auch körperlich meistens zu entspannen (ich halte seine Hände oder er hält sich an mir fest).
Das denke ich jedenfalls ist ein Fortschritt, aber ich hab da keine Erfahrung ...
Generell schwankt er massiv zwischen "Ich bin der totale Looser und kann nichts und kann mich auf nichts konzentrieren und alles was ich anfasse ist scheiße und was willst Du mit mir" und egomanischen "Ich bin ganz schön brilliant etc.". Letzte Woche hatte er einen sehr schweren depressiven Schub, die sind so wie ich das sehe sehr wohl von außen ausgelöst, rühren an alten Wunden, die er nicht aufgearbeitet hat und dann steigert er sich da total rein wohl aufgrund der bipolaren Labilität. Da kann ich förmlich zusehn und es ist ganzschön Kräfteraubend, weil das völlig absurde Ausmaße annimmt. Es ist ermüdend und frustrierend, wenn dann immerzu die selben Aussagen kommen - auch weil er sich so nur tiefer reintreibt. Wir haben das eine Weile geübt (war meine Idee), daß er jedesmal, wenn was gutes passiert am Tag, er sich das bewußt merkt und am Abend Räson zieht. Damit er dieser bipolaren "Ich fokussiere mich mal auf all das Schlechte und nur das Schlechte" Neigung was entgegensetzt. Das denke ich hilft, aber er zieht das nicht sehr konsequent durch. Gleichzeitig haben wir seine Ernährung umgestellt auf gesunde Kost statt seiner amerikanischen Fast Food Ernährung vorher, das hat ihm auch sehr gut getan und er hat (war ziemlich übergewichtig) viel abgenommen. Und er läuft jetzt auf Arbeit und zurück, das tut ihm auch gut und seit ein paar Monaten hat ihn seine Psychiaterin als "nicht mehr therapiebedürftig" entlassen.
Ändert nichts dran, daß er letzte Woche eben mit massiven Selbstmord-Gedanken gekämpft hat (er hat Waffen im Haus) und das eine wirklich auslaugende Nacht war, für mich auch.
So nachdem das alles ja schon ziemlich harter Tobak ist - für mich jedenfalls, mag ja für selbst Betroffene normal sein - kommt jetzt mein eigentliches Problem. Ich finde es völlig in Ordnung, für ihn da zu sein, wenn er mich braucht, solange ich halt dabei nicht unter die Räder gerate, ich hab auch Verantwortung für mich und die Beziehung zu meinem Ehemann (beide mögen sich übrigens sehr). Er hat seit Jahren einen bescheidenen (wenn auch ordentlich bezahlten und sicheren Job), der ihn total unterfordert und erfordert, daß er von 12:30-21:30 arbeitet, Montags ist frei, Samstag muss er auch arbeiten. Er ist durch den Job frustriert und fühlt sich als Looser. Bipolar verstärkt die Negativität. Tada. Ich arbeite von 9-18 Uhr und habe keinen Führerschein, um zu ihm zu kommen auf Arbeit brauche ich mit dem L.A. Bussystem inklusive Fussmarsch 1.5 Stunden. Eine Kollegin weiß Bescheid über unsere polyamore Konstellation und fährt mich manchmal abends oder holt mich morgens ab. Dann bin ich so gegen 19Uhr bei ihm. Wir essen zusammen Abend (typisch amerikanisch halt immer auswärts), dann gehen wir zurück zu seinem Arbeitsplatz und ich schlage da die ca. 2 weiteren Stunden tot während ich auf ihn warte, bis wir nachts halb 10 oder auch mal 10 oder halb 11 zu ihm nach hause laufen (halbe Stunde). Dort duschen wir und gehn ins Bett. Wir haben also richtig viel voneinander, was uns beide belastet.
Ich habe bisher mit meinem Mann Sonntag morgen Drachenboot-Training gehabt, dafür mußten wir sehr früh raus, um vor der Hitze am Strand zu sein, so daß Samstag abend nichts lief und der Sonntag ist dann (wir sind keine Frühaufsteher) ziemlich im Arsch. Ihm zuliebe habe ich das weitestgehend aufgegeben, so daß wir zumindest Sonntag morgen ab und zu Zeit füreinander haben. Aber es fehlt mir und das ganze wurmt mich zunehmend. Er versucht zwar intensiv, seinen Zeitplan zu ändern auf Arbeit, aber bisher ist das alles in Bürokratie versackt. Und kurz gesagt: es laugt mich inzwischen völlig aus, 2-4 Abende die Woche meinen Feierabend damit zu verbringen, zu ihm zu tuckern und dort rumzusitzen (alleine möchte ich da nicht zu ihm nach Hause laufen), während ich auf ihn warte. Er kriegt das gar nicht mit, obwohl ich das anspreche. Ursprünglich war das so extrem, daß er mich hinter sich in seinem Abteil auf einen Stuhl gesetzt hat, damit mich niemand sieht, sein Chef könnte ja doch noch mal auf Arbeit kommen und vielleicht hätte der ein Problem damit... Irgendwann hab ich gesagt als die erste Verliebtheit verflogen war: "Hör mal, das ist mein Feierabend, log mich doch wenigstens auf einem der freien PC hier in Deinem PC ein, damit ich surfen kann!". Hat er gemosert aber es dann gemacht. Eines Tages mußte er irgendwas nachsehen auf einigen der PC's, die er betreut, da stand er auf und hat mir bedeutet, mitzukommen und fand es völlig ok, daß ich wie so ein Hündchen hinterherlatsche, während er die ganzen PC's in verschiedenen Büros bearbeitet - denn er kann mich ja nicht alleine lassen. Stellte sich dann heraus, er hätte die Überprüfung auch von seinem PC aus machen können virtuell - aber er wollte sich ein bisschen bewegen. Ich dachte ich spinne und hab ihm das auch gesagt, ich bin doch kein Anhängsel, das ist mein Feierabend! Wäre ihm gar nicht bewußt gewesen, naja, tschuldigung. Seitdem läßt er mich bei sich im Büro an einem freien PC sitzen, wenn er irgendwo hin muß. Ist ja alles kein Problem.
Und das zieht sich symptomatisch durch alles, die Welt dreht sich um ihn, um seine Gefühle, seine Trigger, seine Bedürfnisse. Meistens ist er mit sich beschäftigt und was er erlebt hat, was alles schiefgegangen ist, wie müde er ist, was ihm weh tut. In den "freigiebigen" Momenten ist er sehr aufmerksam und liebevoll und er gibt mir viel Liebe und Dankbarkeit, da bin ich mit zufrieden.
Aber - und das hat unsere momentane Krise gestern ausgelöst - als ich ihm gesagt habe, daß das aufhören muß, daß ich soviel meiner Freizeit damit verbringe, herumzusitzen und er hat es angenehm, weil mich das auslaugt, ich auf Arbeit inzwischen Fehler mache aus Müdigkeit, denn mir fehlt die Möglichkeit, mich zu regenerieren, erst recht wenn ich kaum geschlafen habe, weil er Schübe hat - da hat er das nur mit Schweigen quittiert.
Ich bin dann sauer geworden und habe mich sehr bemüht, sachlich zu sein und zu fragen, was er denkt, wie wir das ändern können, damit ich Freizeit habe und er auch mal was tut. Schweigen bzw. der Vorschlag: na mein Mann könnte mich doch zu ihm nach hause bringen abends, wenn es "sein" Abend ist. Ich dachte ich hör nicht richtig, es sind mit Auto 20-30 Minuten je Strecke, mein Partner ist nicht bereit, mich abends nach der Arbeit abzuholen, obwohl es "sein" Abend ist - aber mein Mann kann ja?!?
Ich habe gesagt ich sehe drei Optionen:
1. ich komme den Abend gar nicht, wenn ich nicht eine Möglichkeit finde, spät bei ihm aufzuschlagen, so daß ich nicht ewig da rumsitzen muß. Der Bus hier ist eine Tortur, lauter ungewaschene Obdachlose und Demente, Details möchte ich gar nicht nennen.
2. er holt mich ab von meiner Wohnung mit meinem Mann wenn er fertig ist.
3. er bringt mich mit seinem Auto zu sich nach hause, wenn wir abend gegessen haben (ca. 10 Minuten Fahrtweg), verkürzt halt seine Abendpause von einer Stunde auf 30 Minuten. Nicht, daß ich es toll bei ihm finde, aber ich kann mich zumindest hinlegen oder fernsehn oder duschen.
Reaktion? Einzig und allein, daß er ja dann weniger Abendessenzeit mit mir hat, wenn er mich fährt und wenn er mich nach seinem Job holt, könnte er ja den Tag nicht mehr auf Arbeit laufen.
Und dann ist er schnurrstracks in einer seiner depressiven Schübe abgetaucht. Sprich ich war mit meinem Problem völlig alleine. Und das ist nicht das erste Mal, wenn es irgendwo Probleme gibt, kriegt er Angst vor Versagen/Fehlschlag/Verlust und ist erstmal "weg". Und ich steh dann da, entweder ich hab genügend Kraft, mich ihm zuzuwenden, oder ich bin halt isoliert, während er abgetaucht ist. Und ich komme damit nicht klar, daß er nicht bereit ist, sich mal hinzusetzen und zu sagen "OK, ich sehe ein, daß Du da ein halbes Jahr ein riesen Opfer gebracht hast für mich und bin Dir dankbar und wir ändern das jetzt, ich bring jetzt auch Opfer, ist halt alles nicht toll, aber zumindest hast Du auch Zeit zum Kraft tanken.". Nix dergleichen.
Seine einzige Idee war: Na wenn Du nicht unter der Woche kommst (weil ich Dich nicht abholen will oder nach dem Essen nach hause fahren), wann sehen wir uns?
Ich fühle mich gerade völlig gedankenlos ausgenutzt und es geht hier auch um meine Bedürfnisse, meinen Job und die Beziehung zu meinem Mann. Ich lande nach den 2 Tagen bei ihm inzwischen jedesmal total übermüdet und ausgelaugt bei meinem Mann, das ist einfach nicht fair.
Die Welt dreht sich nicht nur um ihn und seine Dramen, egal wie groß die für ihn sind.
Daher jetzt die Frage: wie seht ihr das, ist das typisch für bipolar und ich muß mich damit abfinden? Gibt es eine Möglichkeit, ihn aus dieser "ich-kapsel-mich-jetzt-ein-weil-ich-in-einen-Angst-strudel-falle" Verhaltensweise rauszuholen? Ich glaube, ich als Partner bin da die falsche Person, das muß er selbst und mit fachlicher Hilfe machen. Wie seht ihr das?
Habt ihr irgendwelche Vorschläge, wie ich generell damit umgehen kann? Ich fühle mich zur Zeit wie jemand, der mit einem Alkoholiker zu tun hat und an der Grenze zur Co-Abhängigkeit schrammt. Aber ich bin nicht bereit, mich da hineinziehen zu lassen. Die Beziehung muß mir ja auch gut tun.