Puh, also ich find den Brief echt heftig.
Grundsätzlich find ich es ganz gut, über solch emotionale Dinge schriftlich mit einem Borderliner zu kommunizieren. Denn dann kann er/sie nicht gleich im Gespräch überreagieren/ausrasten/rausgehen etc.
Allerdings sollte man solch einen Brief, fass SVV ein Problem ist, auch nicht alleine lesen. Ich glaube, bei mir hätte er einen gehörigen SVV-Drang ausgelöst.
Den Anfang find ich noch ganz gut. Da redest du von dir, und wie sehr dich ihr Verhalten verletzt hat. Aber dann kommen nur noch Vorwürfe, wie feige sie doch ist, dass sie nur mit dir gespielt hat etc.
Obwohl ich dich gar nicht kenne und ja auch überhaupt nichts mit der Sache zu tun habe, hab ich mich grad voll angesprochen gefühlt. Und es hat mich echt wütend und traurig gemacht.
Vielleicht glaubst du, sie zu verstehen, aber ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass du kein Verständnis für sie hast.
Es macht ganz sicher keinen "Spaß" andere zu verletzen! Ich kann nur für mich selbst sprechen, aber ich verletze andere Menschen nur, wenn ich mich vorher von ihnen verletzt fühle. Nicht aus Rache, eher um ihnen zu zeigen, dass und wie sehr sie mich verletzt haben. Also vor allem aus der Unfähigkeit heraus, die Sache auf eine andere Art zu kommunizieren und zu regeln.
Ähnlich ist es auch mit Abweisungen. Man stößt den anderen ja nicht absichtlich weg. Jedenfalls nicht aus bösem Willen. Es ist eher eine Art Selbstschutz.
Fakt ist, dass Borderliner oftmals anders fühlen und denken, als gesunde Menschen. Das ist für andere meist nicht nachvollziehbar und oft ist es auch für die Betroffenen selbst schwer, ihre Gedanken, Gefühle und ihr Handeln zu verstehen.
Aber in den meisten Fällen geht es - zumindest bei mir - eher darum negative Gefühl in MIR abzuwenden, als negative Geühle in anderen hervorzurufen.
Ja vielleicht ist es wirklich so, dass Borderliner viel mit sich selbst beschäftigt sind. Einfach weil sie es schwerer haben, und ihnen ihr Gefühlschaos niemand abnehmen kann. Wenn ständig ein Sturm in dir toben würde, wärst auch du permanent damit beschäftigt, dein Schiff (also dich selbst) durch die tosenden Wellen und um die scharfen Felsen zu segeln, in der Hoffnung irgendwann heil im Hafen anzukommen. Manchmal bleibt dann vielleicht leider wirklich nicht mehr so viel Zeit und Kraft übrig, um sie auch noch ausreichend um andere Menschen zu kümmern. Aber das heißt nicht, dass ihnen andere Menschen nicht wichtig sind!!
Ich möchte mal noch auf ein paar Sätze aus deinem Brief konkret eingehen.
Aus einer Nichtigkeit heraus, eine Nichtigkeit für mich denn darüber hätte man reden können.
Ja, eine Nichtigkeit mag das für DICH gewesen sein. Für sie aber in dem Moment nicht. Die Krankheit bringt es nun mal leider mit sich, dass aus einer Nichtigkeit heraus, die Gefühle und Gedanken eines Borderliners verrückt spielen können. Ein Satz, ein Wort, ein Schweigen, ein Blick... das reicht schon aus, um eine Gedanken- und Gefühlsspirale auszulösen, die einen in ihren Sog nach unten zieht.
Ich hoffe, dass sie schon so weit ist, dass sie im Nachhinein die Sitaution selbstkritisch analysieren, und sich ein eventuelles Überreagieren auch eingestehen kann.
Ich bin inzwischen - nach 2 1/2 Jahren Therapie - an einem Punkt, wo ich oftmals schon sofort merke... oh Moment mal... das ist jetzt eigentlich gar nicht wild... nicht überreagieren, das kriegst du auch so hin...
Aber bis dahin ist es ein langer Weg...
Sicher gab es auch Fehler meinerseits. Ich hätte gezielter Fragen sollen. Ich hätte mehr hinsehen müssen.
Hm, ja, so wird sie vermutlich denken.
Ich hab jahrelang gedacht, Leute, seht ihr nicht, wie schlecht es mir geht?! Ihr müsst doch was tun!
Ich hab mich ignoriert, unverstanden und verletzt gefühlt. Hab mich deswegen von anderen abgewendet (weil ICH verletzt war, nicht um anderen zu verletzen!).
Heute weiß ich, dass das natürlich nicht geht. Ich muss schon mein Maul aufmachen und sagen, was mich beschäftigt. Denn andere Menschen können mir nur vor den Kopf aber nicht hinein schauen.
Aber auch diese Einsicht war ein langer langer Prozess.
Und offenbar ist sie noch nicht so weit.
Aber nur weil sie noch nicht so weit ist, heißt dass nicht, dass du ihre Gedanken lesen sollst/kannst/musst. Das geht nun mal nicht, also mach dir deswegen keine Vorwürfe, und lass dir auch von ihr keine machen. Du bist nicht ihre Therapeutin! Du kannst ihr nur eine Freundin sein, mehr nicht!! Wenn sie hilfe braucht, dann soll sie sich professionelle Hilfe suchen!
Sie wird niemals positive Gefühle erleben können, Sie wird niemals Liebe und Zuwendung spüren. Sie wird niemals glücklich sein.
Wie kannst du so etwas sagen?!
Ich weiß grad gar nicht so recht was ich dazu sagen soll... ich find diese Aussage einfach nur... schlimm... zu tiefst verletzend... hoffnungslos... und gefährlich obendrein. Weiß ja nicht, wie gut oder schlecht sie so drauf ist. Aber so eine Aussage kann u.U. eine ganz schöne Krise auslösen.
Und warum sollte sie - warum sollten Borderliner - nicht Liebe empfinden können?! Warum sollte sie nicht glücklich sein können?!
Borderliner schwanken oft zwischen extremen Gefühlen. Aber die können auch mal extrem gut sein.
Und auch auf lange Sicht gesehen können sie - mit entsprechender Therapie und Arbeit - ein glückliches und normales Leben führen.
Borderline ist durchaus heilbar...
Sie endet dann als alte verbitterte Frau, die sich von ihrer Angst auffressen läßt und Sie wird im Zorn und der Reue sich nach dem Warum fragen.
Vermutlich fragt sie sich auch jetzt schon nach dem Warum. Die meisten Borderliner hegen große Zweifel an sich, haben große Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl und ihrer eigenen Identität. Viele suchen den Grund für schiefgelaufene Dinge immer wieder bei sich selbst, machen sich ständig Selbstvorwürfe.
Wenn man dann noch weitere Vorwürfe von außen zu hören bekommt, führt das - zumindest bei mir - oft nur zu Trotz, Aggression oder Rückzug.
Wird es ungemütlich, hau ich ab. Kommt mir Wer zu nah, hau ich ab.
Ich find das zum kotzen
Wahrscheinlich findet sie das genauso zum Kotzen.
Mir gehen diese ständigen Gefühlsschwankungen und Gefühlsausbrüche aus heiterem Himmel jedenfalls gehörig auf den Sack. Aber ich kann nichts dafür, dass die Gefühle über mich kommen. Und ich kann auch nichts dafür, dass dadurch z.B. der Drang zum abhauen in mir aufsteigt. Dieses "Ab-hau-Verhalten" habe ich über jaaaahre hinweg erlernt und "trainiert". Erst seit ich in Therapie bin, trainiere ich nun ein anderes Verhalten und versuche, mich den Dingen zu stellen. Allerdings ist auch dies ein langer langer Prozess.
Du kannst also nicht von ihr erwarten, dass sie von jetzt auch gleich, ihre "Angst" und ihr antrainiertes Verhalten ablegt.
Es ist völlig banal und belanglos, Ordnung in der Wohnung zu schaffen.
Weiß jetzt zwar nicht so genau, worum es dabei geht. Aber ganz so banal ist das gar nicht mal. Möglicherweise nutzt sie das als Skill, als Ablenkung. Machmal muss man sich erstmal um kleine Dinge kümmern, um sich dann um die großen kümmern zu können.
Auch wenn das jetzt dramatisch klingt, aber manchmal kann es sogar LEBENSWICHTIG sein, z.B. einen Kuchen zu backen, den man dann nicht isst, auf Knien den Fußboden zu wischen, obwohl der schon blitzeblank ist, oder einfach eine Runde Solitär zu spielen.
Solange man solche Dinge tut, kann man nichts anderes - evtl. schlimmes - tun.
Ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber merke, dass du sehr verletzt worden bist von ihr und ich verstehe, dass du wütend bist.
Aber bevor du ihr diesen Brief gibst und ihr diese ganzen vielen Vorwürfe an den Kopf knallst, versuche lieber sie besser zu verstehen. Rede mit ihr und versucht gemeinsam zu klären, warum sie dich weggestoßen hat.
Ich fass noch mal ganz kurz zusammen:
• Borderliner denken und fühlen anders als gesunde Menschen.
• Borderliner können nichts für ihre Gefühle und ihre Impulse.
• Viele Borderliner haben aufgrund der extremen Gefühle Schwierigkeiten damit, ihr Verhalten zu kontrollieren.
• Borderliner haben oft Schwierigkeiten damit, ihre Gefühle und Gedanken zu kommunizieren.
• Die meisten Borderliner haben Probleme mit ihrem Selbstbild und Selbstwertgefühl und machen sich oft Selbstvorwürfe.
• Viele Borderliner können zu viel Nähe nicht ertragen.
Wenn dir immer noch etwas an ihr liegt, dann würd ich dir empfehlen, leih dir aus der Bücherei (oder vielleicht sogar von ihr) ein paar Bücher über das Thema aus. Am besten welche für Angehörige ("Schluss mit dem Eiertanz" fällt mir da z.B. spontan ein). Beschäftige dich mit dem Thema und zeigt ihr, dass du sie und ihr Verhalten verstehen möchtest. Versuche mit ihr zu reden, aber gibt ihr Zeit, wenn sie die braucht. Bedränge sie nicht zu sehr und bombardier sie nicht mit Vorwürfen. Aber schluck auch nicht alles, was sie sagt oder tut. Borderline ist vielleicht eine Erklärung, aber nicht die Entschuldigung für schlechtes Verhalten. Und auch ein Borderliner sollte in der Lage sein, sich zu entschuldigen.