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Der Fall Mutzenbacher

******hia Paar
23 Beiträge
Themenersteller 
Der Fall Mutzenbacher
Liebe JC-Gemeinde,

es handelt sich hier nicht um einen konkreten Fall, aber doch um eine Frage zu einem konkreten Sachverhalt:

Beim Herumsurfen im Netz fiel mein Augenmerk auf ein Stück deutschsprachiger Erotik-Literatur vom Beginn des 20. Jahrhunderts, das ja durch seine Verfilmung Anfang der 1970er Jahre recht bekannt (und berüchtigt) geworden ist:

Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt

Da es so bekannt ist, könnte man sich ja mal überlegen, es zu erwerben - und informiert sich, was im Netz so dazu steht. Bei Amazon ist es zu erwerben (mit sehr durchwachsenen Kommentaren), aber auch bei der ZVAB kann es antiquarisch bestellt werden.

Wikipedia informiert nun zu diesem Buch wie folgt:

Nachdem auch das Bundesverwaltungsgericht die Indizierung als rechtmäßig beschieden hatte, zog der Verlag vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses hob mit der Mutzenbacher-Entscheidung aus dem Jahr 1990 (BVerfGE 83, 130) die Entscheidung der Bundesprüfstelle mit der Begründung auf, es fehle eine Abwägung mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit des Artikels 5 Grundgesetz. Nachdem die Bundesprüfstelle diese Abwägung in einem neuerlichen Verfahren durchgeführt und das Buch erneut in die Liste der jugendgefährdenden Schriften eingetragen hatte, endete ein zweiter Prozess gegen diese Entscheidung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster, das in seinem Urteil keinen Zweifel daran ließ, dass es sich bei dem Werk um Kinderpornografie handele und die von der Bundesprüfstelle vorgenommene Abwägung mit der Kunstfreiheit nicht zu beanstanden sei. Die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wurde vom Bundesverwaltungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.

Nach deutschem Recht gilt also jene Schrift als Kinderpornografie; der Erwerb und Besitz ist danach strafbar. Dennoch gibt es sowohl bei Amazon als auch bei ZVAB das Buch noch zu kaufen - und zwar nicht nur bei außerdeutschen Händlern (etwa aus Österreich und der Schweiz), sondern auch in Deutschland.

Kennt sich hier jemand aus? Handelt es sich bei den neueren Ausgaben um gekürzte Reprinte oder Folgebände, die mit dem Original nichts zu tun haben? Oder wie steht es bei diesem Buch um die rechtliche Lage? *nixweiss*

LG, EroSophia/m
*********sMUC Mann
96 Beiträge
Fiktivpornos
Dazu kann ich nichts sagen, aber ein interessanter Hinweis: Mit Datum vom 21.12.08 ist ein Artikel in der Onlineausgabe der FAZ, das in Australien eine Verurteilung wegen "Fiktivpornographie" erfolgte. Der Verurteile hatte unzüchtige (gefälschte) Simpson-Comics.

Einfach mal bei der FAZ nach Fiktivpornos suchen!

*zwinker*
******hia Paar
23 Beiträge
Themenersteller 
Simpsons sind Personen
Danke Lupus für den Hinweis.

Ich hatte das auch schon so halb in der Presse mitbekommen.
Evtl. ist ja der ein oder andere schon über entsprechende Bildchen gestolpert, in denen die Figuren der Simpsons-Serie (allen voran Bart, Lisa und Marge) in erotische Spiele verstrickt sein sollen. Naja, wer's mag... Diese Bilder sind natürlich nicht autorisierte Plagiate und auch schon aus dem Grund nicht legal, zumindest was ihre Herstellung betrifft.

In Australien wurde nun ein Mann wegen des Herunterladens aus dem Internet zu umgerechnet 1.500,- Euro Strafe verurteilt. Die Begründung bezog sich auf den Personenstatus der gezeichneten Figuren, da sie - in diesem Fall offensichtlich - Genitalien aufwiesen (wie übrigens auch im Simpsons-Film! *gg*) Und damit handelt es sich bei dem Bild um eine kinderpornografische Darstellung.

Nun, sollte dieses Urteil bestand haben wäre zu klären, wie Gewalt- und Folterdarstellungen, wie sie im Trickfilm ja auch oft vorkommen - zu bewerten sind. Muss Homer mit einem Gerichtsverfahren wegen Kindesmisshandlung rechnen? Und was passiert, wenn er verurteilt würde...???

Der Fall wirft im Prinzip eine Reihe interessanter rechtsphilosophischer Fragen auf. Bei Lichte betrachtet war es aber wahrscheinlich nur ein Trick, um eine (so meine Vermutung) offene Lücke im australischen Gesetz zu schließen. Oder vielleicht gab es auch noch andere Gründe: Schließlich stellt sich die Frage, wie die Justiz von dem Vorgang überhaupt erfuhr. In Deutschland fallen solche Darstellungen vermutlich unter den Pornografieparagraf (§ 184(b) StGB).

LG EroSophia/m
***ds Paar
854 Beiträge
Hallo,

nur ganz kurz, wegen des sog. Feiertagsstress:
• Im Simpson-Fall wurde das Urteil darauf gestützt, dass auch eine gewisse Gefahr darin besteht, dass Kinder zu sexuellen Handlungen durch diese Art Porno "gefügig" gemacht werden sollen. Ein gutes Argument, wie wir finden. Ob der Bestimmtheitsgrundsatz aber gewahrt bleibt, können wir nicht beurteilen, schließlich waren wir noch nie in Australien *heul*. In Deutschland dürfte es sich aber wohl unproblematisch als Pornografie subsumieren lassen, oder?

• Mutzenbacher ist ohne jede Frage ein Kinderpornographisches Werk. Als Jugendlicher hat unser ER mal Kenntnis davon genommen. Es ist, wenn die Erinnerung nicht trübt, in gewisser Weise wohl auch künstlerisch, sollte aber trotzdem unbedingt verboten sein (und wir sind eigentlich gegen Verbote). Eine gekürzte Fassung des Werkes kann ER sich eigentlich nicht vorstellen, weil dann ein Buch ohne Inhalt erscheinen würde. Daher: Keine Ahnung, was Amazon da verbreitet.
Ist es nicht eigentlich egal, von woher das Buch nach Deutschland eingeführt wird?
******hia Paar
23 Beiträge
Themenersteller 
Der Punkt in der Urteilsbegründung des Simpsons-Urteils war mir bislang tatsächlich entgangen. Danke für den Hinweis. Tatsächlich ist das ein sehr plausibeles Argument.

Beim Verbot von (kinder-)pornografischen Werken scheinen sich mir mehrere Begründungslinien zu überschneiden:

1. Schutz der Opfer
1.1 bei der Herstellung der Werke (gilt für Schriften im engeren Sinne nicht, da keine Abbildung eines realen oder realitätsnahen Geschehens)
1.2 durch "Nachahmungs-"Täter, denen das Werk als Vorlage dient.

2. Sittlichkeitsempfinden - der Gesetzgeber möchte das Ergötzen an unsittlichen strafbaren Handlungen unterbinden.

Für den Fall Mutzenbacher kommt 1.1 natürlich nicht in Betracht.
Hinsichtlich Punkt 1.2 kommt es darauf an, als wie wahrscheinlich man das Einsetzung einer Enthemmung durch Konsum von Schriften (im engeren Sinn, also reinem Text) ansieht. Sicher eine gute Frage, zu deren Antwort ich mich aber nicht kompetent fühle.

Punkt 2 ist der Joker, der immer sticht, aber andererseits auch am schwersten zu motivieren ist. Sicherlich stimmen wir alle darin überein, dass Kindesmissbrauch ein äußerst verwerfliches Delikt ist, an dem man sich nicht ergötzen soll. Soweit einverstanden.
Soweit ich mit entsinne, sind aber die Werke des Marquis de Sade durchaus in Deutschland erhältlich (120 Tage von Sodom, Justine, Juliette usw.), die nicht minder unsittlich sind. Da ich keinen Vergleich mit dem Mutzenbacher-Roman anstellen kann, fehlt mir die Grundlage zu entscheiden, inwieweit sich der Inhalt schwerwiegend unterscheidet - etwa indem die Opfer bei de Sade als "echte Opfer" dargestellt werden, die moralische Wertung also mit dem beschriebenen Inhalt übereinstimmt, während bei der Mutzenbacher-Geschichte das Unrecht nicht als Unrecht dargestellt wird.

Ein gutes Beispiel ist hier Nabokovs "Lolita": Ein Buch wirklich von hohem literarischen Wert, das oft mit Pornografie über einen Kamm geschoren wird. Der Protagonist Humbert Humbert wird dort nicht als moralisches Vorbild dargestellt, sondern an sich selbst und der Situation leidend; Lolita ist eindeutig Opfer, selbst wenn sie willfährig ist. Hinzu kommt, dass mir keine explizite pornografische (also sexuell aufreizende) Stelle in dem Buch erinnerlich wäre.

Naja, es gibt viel nachzudenken *gruebel*

Zur letzten Frage: Klar ist es egal, von wo das Buch kommt. Der Besitz ist in Deutschland bereits strafbar. Ein Problem kann aber entstehen, indem ein österreichischer oder schweizer Händler (z.B. Antiquar) auf entsprechenden Seiten erst auf den zweiten Blick als solcher erkennbar ist, und man im guten Glauben, dass nichts Illegales auf einer deutschen Seite angeboten wird, etwas bestellt, dessen Besitz in Österreich und der Schweiz legal, in Deutschland aber illegal ist. Natürlich kann man dann darüber streiten, inwieweit die entsprechende Seite darauf explizit hinweisen oder der Händler von einem Angebot absehen müsste... Tjaja, das Internet...

LG, EroSophia/m
*********sMUC Mann
96 Beiträge
@erosophina
2. Sittlichkeitsempfinden - der Gesetzgeber möchte das Ergötzen an unsittlichen strafbaren Handlungen unterbinden.
...
Punkt 2 ist der Joker, der immer sticht, aber andererseits auch am schwersten zu motivieren ist.

Diesen Joker halte ich für recht waidwund, denn auch wenn er sehr plausibel ist, muss er auch die Abwägung mit der Freiheit der Kunst (Art. 5 III GG) bestehen.
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