Wären weniger Besuch vielleicht NICHT sittenwidrig gewesen?
Weil ich die Diskussion so spannend finde … und an anderer Stelle mit "unerfreulicheren" erbrechtlichen Dingen zu tun habe, möchte ich lieber hier nochmal einen Beitrag schreiben - und fange dafür nochmal vorne an:
„Das Gericht schrieb in der Begründung:
Hätte der Großvater gewusst, dass seine Besuchsbedingung nicht rechtens ist, sei davon auszugehen, dass er seine Enkel trotzdem zu Miterben gemacht hätte. Dafür spreche seine gewünschte enge Bindung zu den Enkeln.
Das halte ich für völlig lebensfremd. M.E. wollte der Großvater sie eben gerade nicht zum Miterben machen, wenn sie nicht mal Zeit für einen Besuch finden.
Naja, an dieser Stelle bleibt mal die Frage, ob wir hier den tatsächlichen Fall diskutieren wollen, oder es um eine grundsätzliche Diskussion über sittenwidrige Formulierungen geht.
Es ist ja schön, dass
@****ot2 die Aussage des Gerichts für lebensfremd hält, aber eine ausführlichere Sichtung des Urteils und der dort aufgeführten Dinge (u.a. E-Mail-Verkehr) lassen mich schon glauben, dass der Großvater den Enkeln etwas vererben wollte.
U.a. die Formulierung im Testament selber lässt dort mehr Spielraum zur Auslegung als es hier bisher angedeutet wurde (dazu weiter unten mehr).
„So wie ich das verstanden habe, geht es hier darum, dass an sich in der gesetzlichen Erbfolge noch nicht erbberechtigte Enkel durch das Testament erben (dazu ist ja ein Testament da, um die gesetzliche Erbfolge nach eigenem Willen abzuwandeln), weil die Bedingung, unter der sie erben sollen, in den Augen des Gerichts sittenwidrig ist (an regelmäßige Besuche der Enkel beim Erblasser geknüpft). (man mag mich korrigieren, wenn ich das falsch verstanden habe)
Soweit verstehe ich das aus der Urteilsbegründung heraus auch.
Wie man das subjektiv betrachtet (Ist es moralisch vertretbar, dass die Enkel sich nicht blicken lassen und nur erben wollen? Ist es moralisch vertretbar, so eine Bedingung vor das Erbe zu setzen? ...), kann man hier meiner Meinung nach völlig außen vor lassen.
Wenn meine Prämisse oben so stimmt, würden die Enkel ohne Testament nicht erben.
An dieser Stelle lässt sich schon daran Zweifeln, dass die Enkel nur erben wollten ohne sich mal beim Erblasser blicken zu lassen - soweit ich das aus der Urteilsbegründung lese.
Und grundsätzlich stimmt auch der letzte Satz,
aber er verkennt, dass der noch lebende Vater der beiden Enkel im Testament überhaupt nicht bedacht und damit bereits enterbt (= auf den Pflichtteil beschränkt) wurde.
Erst das Testament ermöglicht ihnen einen Anteil am Erbe, und das unter Auflagen. Diese haben sie offenbar nicht erfüllt und sollen so nach dem Willen des Erblassers ja nicht enterbt werden, sondern einfach nur keine Sonderrolle neben der gesetzlichen Erbfolge einnehmen (wodurch sie halt nicht erben).
Wie gerade schon geschrieben, geht es eben
nicht um eine gesetzliche Erbfolge!
Die Fragen, die sich stellen, sind da eher:
Ist es OK vom Gericht, hier nur die sittenwidrige Klausel (im Testament nicht bedacht, wenn keine Besuche) zu streichen und damit die Enkel als Erben nach dem Testament einzusetzen?
Oder hätte dann nicht auch die Begünstigung der Enkel gegenüber der gesetzlichen Erbfolge mit gestrichen werden müssen?
Ist nicht eher anzunehmen, dass der Erblasser beim Wissen um die "Sittenwidrigkeit" seiner Bedingung diesen Teil im Testament dann ganz weggelassen hätte?
Die Frage kann man stellen, und auch wenn ich es vielleicht nicht so explizit in der Urteilsbegründung gelesen haben, so hatte ich schon den Eindruck, dass sich die Richter genau diese Frage eben gestellt haben.
Der genaue Wortlaut im Testament ist an dieser Stelle vielleicht auch ein wenig aufschlussreicher (weiter unten).
„@**My:
zu "wo den Wunsch festmachen": Nun, wenn er so klar im Testament geäußert wurde wie hier, dann sollte man sich nicht fragen, wie man seinen Wunsch erkennen kann... ;-)
Jaja, wenn er denn auch wirklich
so klar geäußert wurde/worden wäre.
zum Thema "geschriebenes Recht", Interpretation, wie im Mittelalter: Nein, das ist so nicht richtig! - Da verwechselst Du was! - Wir könnten auch ein modernes Recht haben... (also nicht so wie heute
) - Veränderung wäre keinerlei Problem WENN dazu ein Gesetz geändert wird oder ein neues dazu kommt! - Wie gesagt, "wenn"!!! - Es soll ja Leute geben die genau das machen...
- Man nennt sowas Demokratie... - Dinge ändern sich und man ändert die Gesetzt. - Und bei der Rechtsprechung der Gesetze wird dies umgesetzt. Und wenn in dem Gesetz steht, man darf nicht Auto fahren am Sonntag, dann ist das so! - Egal in welchem Jahrhundert. - Und wenn man das sonntags dann doch irgenwann wieder darf, dann ändert man das Gesetz oder streicht es...
Grundsätzlich finde ich ja auch, dass es schön wäre, wenn alles so eindeutig über Gesetze geregelt wäre. Aber eigentlich finde ich auch, dass unsere Politiker viel zu oft meinen wegen irgendeiner "Kleinigkeit" gleich ein neues Gesetz zu machen, anstatt die "vorhandenen" Gesetze gleich etwas sorgfältiger zu formulieren und damit den Umständen im Einzelfall mehr Bedeutung beizumessen, eben weil so gut wie kein Fall wieder der andere ist und am Ende immer eine Bewertung der Umstände im Einzelfall erfolgen muss.
Ansonsten wären so Dinge wie Totschlag und möglicher Rechtfertigungsgrund kein Fall fürs Gericht. Ist ja eindeutig, oder!? (Ja, an Extremen lassen sich Positionen leichter fest machen.)
Natürlich bin ich auch unglücklich darüber, dass der Samstag trotz missverständlicher Formulierung im BGB auch ein Werktag ist.
Aber sogenannte Weichmacher wie "sittenwidrig", "Wucher" oder "Anstand" machen aus meiner Sicht ein Gesetz deutlich
haltbarer als der Versuch einen Umstand des täglichen Miteinanders sprachlich präzise zu fassen.
Schon klar, daß nicht alles so eindeutig ist wie in der Mathematik...
- aber ich könnte Dir ein Beispiel nennen wo sich in den letzten 50 Jahren die "Interpretation" gnadenlos geändert hat!!! Nicht zum Negativen, nein, zum Guten, ABER ohne daß ein Gesetz geändert wurde!!! Es wurde nur VÖLLIG anders betrachtet/interpretiert - Und das widerspricht meines Erachtens der Gewaltenteilung! - Und solch ein Gesetz auf Papier zu drucken bei solch unterschiedlicher Beurteilung kann man sich auch sparen... - schade um die Bäume... ;-)
Ich fände es eher schade, wenn wir für jede neue Erkenntis im rechtlichen und zwischenmenschlichen Umfeld ein neues Gesetz bräuchten, weil die bisherigen das zu beanstandende Verhalten nicht explizit verboten.
Insofern kann ich ganz gut mit der sogenannten Rechtsfortschreibung durch Richter leben.
Das mit dem digital habe ich nicht verstanden... - Mein Gehirn arbeitet analog... ;-)
In dem Glauben lasse ich Dich/Euch gerne. Auch wenn die aktuellen Erkenntnisse in der Gehirnforschung von einer ganz ähnlichen Funktionsweise wie in elektronischen Schaltkreisen ausgehen. - Allerdings muss ich zugeben, dass ein Umbau der
Hardware im Gerhin deutlich schneller geht und eben mit "Rücksicht" auf die Umwelteindrücke. Diese Eigenschaft fehlt unseren Computern (noch).
zu "was anderes soll das Gericht denn tun, als den vorliegenden Text zu interpretieren?": Ganz einfach, LESEN und VERSTEHEN! - Denn der "strittige" Punkt war ja so geschrieben, daß er für jeden, der der deutschen Sprache mächtig ist, klar verständlich ist! - Es mag unklare Angaben geben, dann ist Interpretation wohl angebracht, aber nicht bei klaren Aussagen!
Auf diesen Punkt komme ich gerne nochmal am Ende … also die Sache mit den unklaren Angaben und dem vermeintlich unstrittigen Punkt.
Übrigens hatte (auch) ich bereits die Frage aufgeworfen, ob die 6 Besuche jährlich an aufeinanderfolgenden Tagen erfolgen können, oder im Abstand von (genau?) 2 Monaten. Beides würde auch das Erfordernis der Regelmäßigkeit erfüllen.
Und wenn jemand absichtlich in ein Testament was anderes reinschreibt als er will nur um etwas bestimmtes zu erreichen, dann sollte er nicht zum Notar gehen, sondern zum Arzt...
- Denn nur wo Testament drauf steht ist auch wirklich Testament drin...
- Und mit dem was man in ein Testament reinschreibt kann man - soweit ich das sehe - zu Lebzeiten NICHTS mehr erreichen! - Denn das Testament wird erst danach eröffnet...
- Sollte jemand solch "komische Texte" in ein älteres "Show-Testament" zu Hause schreiben und den anderen präsentieren, oder "erzählen was er alles im Testament stehen hat (könnte ja sogar das Gegenteil drinstehen) so halte ich davon nichts, aber kann ja jeder (fast) machen was er will...
- Aber in ein gültiges Testament sollte man IMMER seinen "letzten Willen" reinschreiben und nichts anderes... - Es macht das Leben einfach einfacher in der Kommunikation wenn man sagt, "ich möchte ein Wasser" anstatt zu sagen "ich möchte jetzt nichts essen"... ;-)
Oh … wo fange ich da jetzt nur an …
1. Der Erblasser war auch in ärztlicher Behandlung. Hat offensichtlich nicht geholfen.
2. Nein, ein Testament muss nicht unbedingt als solches überschrieben sein.
3. Wir Menschen glauben halt, dass wir mit Androhungen für die Zukunft das aktuelle Verhalten beeinflussen können (sonst bräuchten wir ja auch kein StGB).
4. Da Sprache nur vermeintlich eindeutig ist, ist der letzte Wille oftmals nicht unbedingt jener, wie er im Testament niedergeschrieben ist. Da hilft aus eigener Erfahrung nur rechtliche Beratung! - Aber in diesem Falle war es halt ein handschriftliches Testament.
5. Ja, es wäre oftmals besser, wenn wir auch sagten was wir wollen, aber das ist zum einen manchmal gar nicht so leicht ausgedrückt (wie ich ganz oft auf der Arbeit und auch zu Hause erlebe) und zum anderen sind wir uns manchmal auch gar nicht im klaren darüber was wir denn wirklich wollen.
zum Thema "Ersatzerben" kann ich nur sagen: Keine Ahnung wer und warum jemand sowas reinschreibt...
- Ich würde mal sagen, manchen Leuten kann man nicht mehr helfen!
Aber mit solch dubiosen Formulierungen kann man NICHT begründen, warum man KLARE AUSSAGEN in Zweifel stellen sollte!
Wie schon bei der ersten Erwähnung angedeutet: Die Ersatzerbenformulierung steht so (wahrscheinlich tausendfach) in notariell verfassten Testamenten. Warum die das da so reinschreiben verstehe ich allerdings auch nicht, da die Notare daran als Rechtsanwalt nur in manchen Bundesländern verdienen können.
Und über die
klare Aussage habe ich auch schon mehrfach ein paar Worte verloren.
Vielleicht noch was dazu: Vielleicht ist es Fachsprache und hat in einem best. Fall eine gewisse Bedeutung dieser Satz... - aber ich plädiere für eine Sprache die klar ist und die jeder versteht in einem Testament und nicht um Ausdrücke für die man erst noch Jura studieren muß... - Im Restaurant bestellt man schließlich auch ein Glas Wasser und nicht ein Glas einer Flüssigkeit die bei einer stark exothermen Reaktion aus zwei Teilen Wasserstoff und einem Teil Sauerstoff entstanden ist...
Das unser Rechtsgeschäft davon geprägt ist, dass Normalbürger einen kostenpflichtigen Dekoder namens Anwalt braucht, ist allerdings keine neue Erkenntnis, oder?
Die Schwierigkeit bei den Testamenten ist nur, dass es halt unterschiedliche "Rechtsgeschäfte" gibt, welche im Gesetz zwar eindeutig bezeichnet sind (Erbe, Vermächtnis), aber im Volksmund nicht so eindeutig verwendet werden.
Beispiel: "Ich vermache Freund X mein Haus und Kind Y soll meine Aktien bekommen und den Rest erbt Tante Frieda."
U.a. abhängig vom Wert der Aktien und des Hauses bleibt da die Frage, wer da jetzt wirklich Erbe und wer Vermächtnisnehmer werden sollte?
Wenn Kind Y nun ausschlägt, weil die Aktien weniger als der Pflichtteil des gesamten Nachlasses wert sind, und Tante Frieda dann ausschlägt, weil sie als Erbe den Pflichtteil aus "dem Rest" nicht bezahlen kann, muss dann der Staat als Erbe dem Freund das Haus vermachen und Kind Y den Pflichtteil bezahlen?
Der letzte Satz gilt leider nach meinen Erfahrungen allgemein für alle Behörden, deshalb wollte ich das hier anmerken... - man weiß ja nie ob sich nicht dadurch doch was verbessert...
- Die Hoffnung stirbt zuletzt... - Denn die Behörden erwarten eine Kommunikation mit genau ihren Fachausdrücken die oft mit dem heute gesprochenen Wort nicht mehr viel zu tun haben... - Würde das ein Chemiker genauso machen, dann würden diese Leute nie Benzin bekommen an der Tankstelle... ;-)
Klingt auf den ersten Blick toll, aber warum benutzen denn Chemiker, Mathematiker und andere Gesellschafts- und Naturwissenschaften eine Fachsprache mit Fachausdrücken? Damit es (hoffentlich) wirklich eindeutig ist wovon geredet wird. Einfach nur Benzin ist ja heute an der Tankstelle auch nicht mehr ausreichend (95, 98, E10, …).
Gleiches gilt halt für Verwaltung und Rechtsgeschäfte. Am Ende soll es ja eben (theoretisch) eineindeutig sein.
Aber ja, auch ich konnte mit dem Rechtsmittel der "Erinnerung" bis zu unserem letzten Hauskauf nichts anfangen.
Zum Abschluss jetzt noch den entsprechende Abschnitt aus dem Testament:
[Enkel sollen 50 % erben,] aber nur dann, wenn sie mich regelmäßig d.h. mindestens sechsmal im Jahr besuchen. … Sollte das nicht der Fall sein, d.h. mich keiner besuchen, werden die restlichen 50 % des Geldes [anderweitig] aufgeteilt.
Und ich finde es spätestens mit dem Nachsatz nicht eindeutig, dass der Erblasser tatsächlich 6-mal im Jahr besucht werden wollte, oder ob nicht auch einzelne Besuche ausgereicht hätten, da die 50 % ja
nur dann anderweitig aufgeteilt werden sollten, wenn ihn
keiner besucht.
Übrigens betrug die Zeit zwischen Erstellen des Testaments und Versterben des Erblassers weniger als ein Jahr.
Und wie bereits erwähnt lebte der Vater der Enkel noch, war jedoch im Testament überhaupt nicht bedacht und damit enterbt. Insofern würde ich sogar annehmen, dass der Erblasser eigentlich dem eigenen Sohn einen Auswischen wollte, da im Übrigen bei dem Rechtsstreit darüber von der "Gegenseite" angeführt wurde, dass dem Wortlaut nach die Besuch des Erblassers
bei den Enkeln auf die Anzahl nicht zählen sollten.
Und wenn es tatsächlich ausschließlich nur um Besuch
beim Erblasser ging, und nicht um das Zusammentreffen von Erblasser und Enkeln zwecks Herstellen einer Bindung, dann kann ich schon nachvollziehen, dass es irgendwie im Kern überhaupt nicht um die Besuche als solches ging.
Zuletzt habe ich aus der Urteilsbegründung nicht herauslesen können, wie weit Erblasser und
minderjährige Enkel auseinander gewohnt haben, und ob es insofern auch noch jedesmal auf die Mitwirkung der Eltern angekommen wäre um den Besuchswunsch zu erfüllen.
Dies wäre dem Erblasser ja sicherlich bekannt gewesen, und könnte damit die Bedingung im Testament zu einer eigentlich unerfüllbaren Bedingungen für die Enkel machen, welche nach meinem Kenntnisstand regelmäßig abgelehnt werden, ohne die daran geknüpfte Zusage zu verwerfen.
Insofern wiederhole ich nochmal meine Frage vom Anfang:
Wollen wir hier grundsätzlich über sittenwidrige Formulierungen diskutieren, oder über dieses spezifische Urteil?
In freudiger Erwartung auf weitere Diskussionsbeiträge,
Er von JuMy.