@*******cker
POLITIK
Mittwoch, 30. Juni 2021
„Angst entsteht aus Unwissenheit“
René Gottschalk, Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts, sieht einige Corona-Maßnahmen kritisch. Über Delta, volle Stadien und Schulen sowie alarmistische Talkshowgäste.
FRANKFURT. Die richtige Strategie in der Bekämpfung der Corona-Pandemie bleibt umstritten – auch unter Experten. Zu denjenigen, die das Virus sehr ernst nehmen, aber viele der Maßnahmen sehr kritisch sehen, gehört René Gottschalk. Als Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes hat er in der Mainmetropole gegen Covid-19 gekämpft, nun geht er in wenigen Tagen in Ruhestand. Ein Gespräch über die Nachteile von FFP2-Masken, Gefahren durch Luftfilter und Applaus aus der „falschen“ Ecke.
Herr Gottschalk, für Sie ist Corona bald vorbei, zumindest beruflich. Sind Sie froh? Oder in Sorge, was Ihren Nachfolgern bevorsteht?
Covid-19 ist nicht vorbei für mich. Ich werde unter anderem meinen Forschungsauftrag an der Universität bei Sandra Ciesek (Frankfurter Virologin, d. Red.) fortsetzen. Für das Gesundheitsamt bin ich erstmal froh, dass die Fallzahlen sinken.
Sie haben in den vergangenen Monaten mehrmals die Corona-strategie kritisiert. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte?
Zunächst einmal war man beim Einschränken der Grundrechte sehr schnell, aber beim Wiederherstellen ist man sehr zögerlich. Dann die Einführung von Inzidenzgrenzen, ob nun 35, 50 oder 100 – eine nachgewiesene Evidenz gibt es für keine dieser Schranken. Abgesehen davon fehlt die Angabe, wie viele Tests tatsächlich vorgenommen wurden. Hinzu kommt die FFP2-Maskenpflicht. Ich halte davon überhaupt nichts.
Warum?
Weil sie für die Bevölkerung völlig ungeeignet sind, da sind die normalen chirurgischen Masken ideal. FFP2-Masken sind dem medizinischen Personal vorbehalten. Die Masken müssen sehr gut sitzen. Wenn Sie eine seitliche Leckage haben, atmen Sie ungefilterte Luft ein und aus, das ist genau das, was wir nicht wollen. Zudem ist der erhöhte Atemwegswiderstand so hinderlich, dass ältere Menschen, die eine chronische Lungen- oder Herzerkrankung haben, die Treppe nicht mehr raufkommen. Der Arbeitsschutz schreibt außerdem vor, dass nach 75 Minuten mindestens 30 Minuten Pause einzuhalten ist.
Sie und Ihre frühere Stellvertreterin Ursel Heudorf haben sich mehrmals im hessischen Ärzteblatt zu Wort gemeldet. Im jüngsten Beitrag fordern Sie, den „Alarmismus zu verlassen“ und „Wissen statt Angst zu verbreiten“. Was wissen wir, was uns keine Angst mehr machen muss?
Sars-CoV-2 gehört zu den Erregern, die übertragbar sind, bevor Symptome auftreten. Das sind die problematischsten überhaupt. Aber wir wissen auch, dass Sars-CoV-2 hauptsächlich per Tröpfchen übertragen wird, nicht als Aerosol. Man hätte mit dem strikten Maskentragegebot – und zwar mit chirurgischen Masken – verhindern können, dass sich Sars-CoV-2 ausbreitet. Wir haben im Gesundheitsamt seit März 2020 eine obligatorische Maskentragepflicht. Nicht ein einziger Fall unter Mitarbeitern hat zu einer Ausbreitung im Amt geführt.
Die große Mehrheitsmeinung ist aber, dass das Virus auch per Aerosol übertragen wird.
Ob das die große Mehrheitsmeinung ist, wage ich zu bezweifeln. Das sind auf jeden Fall die, die sich am lautesten zu Wort melden. Niemand hat bis jetzt bewiesen, dass Sars-CoV-2 – unter normalen Umständen, wohlgemerkt – über Aerosole übertragbar ist.
Gerade haben ziemlich viele Menschen Angst vor Mutationen wie der Delta-Variante. Sie nicht?
Erstmal nicht. Die Impfstoffe wirken auch gegen diese Variante gut, die Infektionslage in Deutschland ist gut im Griff, wir haben einen hohen Prozentsatz bei den Zweitimpfungen. Bis die Reiserückkehrer Ende August zurückkommen, wird ein noch viel höherer Anteil doppelt geimpft sein. Ein Problem sehe ich allerdings darin, dass die Stadien bei der Fußball-EM vollgestopft werden.
Unterstützen Sie stärkere Kontrollen der Rückkehrer, etwa doppelte Testungen?
Beispielsweise sieht man in Israel, dass auch geimpfte Personen mit der Delta-Variante infiziert sein können. Typischerweise sind aber die Krankheitsverläufe mild. Daher sollte man Reiserückkehrer aus entsprechenden Gebieten durchaus genau untersuchen.
Wie rüsten wir uns für die vierte Welle? Oder ist die Frage auch schon Alarmismus?
Ja. Die gleiche Frage habe ich bei der Grippe nie gestellt bekommen. Jede Infektionskrankheit hat eine wellenförmige Charakteristik. Die Krankheiten, die man im Winter bekommt, wie Grippe und jetzt wahrscheinlich Covid-19, bekommt man deswegen, weil sich pro Kubikmeter Raum mehr Menschen aufhalten. Diese Krankheiten werden über die Atemwege übertragen. Im Freien kann man sich nur sehr schwer infizieren. Deshalb waren die Ausgangssperren kontraproduktiv. Wir werden keine vierte Welle in dem Sinne bekommen, dass wir wieder alles runterfahren müssen.
Sie haben wiederholt die Schulschließungen kritisiert. Haben Sie Verständnis für die Angst vor Ansteckungen im Klassensaal?
Verständnis habe ich. Aber Angst entsteht immer aus Unwissenheit. Wir haben untersucht, wie es in Frankfurter Schulen aussieht. Ja, die Viruslast im Rachen von Kindern ist gleichwertig wie die bei Erwachsenen. Aber junge Kinder stecken trotzdem fast niemanden an. Das hängt damit zusammen, dass Kinder weniger Tröpfchen erzeugen beim Sprechen, Atmen, Niesen und Husten.
Die Schließungen sind auch unter Eltern und Lehrern umstritten.
Vor allem die kleinen Schulkinder stecken kaum andere an, sondern werden oft durch ihre Lehrer oder zuhause angesteckt. Bei größeren oder erwachsenen Schülern kann man mit Mundschutz arbeiten. Dass die Lehrer sich beim Impfen in der Priorisierungsliste haben nach oben stufen lassen, finde ich skandalös. Wir müssen bei knappen Impfstoffressourcen vor allem die Menschen schützen, die durch dieses Virus ein großes Problem haben, das sind die älteren und vulnerablen Gruppen. Und nicht die, die meinen, sie hätten ein großes Problem.
Hessen hat gerade die Maskenpflicht in Schulräumen zumindest am Platz abgeschafft, Rheinland-Pfalz auch. Eine gute Idee?
Ja. Das ist vor allem eine Idee, die dem Gesetz nicht mehr widerspricht. Ich habe bei solchen Infektionszahlen keinen Grund, einem Schüler oder Lehrer eine Maske aufzuzwingen. Das heißt aber nicht, dass man die nicht wieder anordnet, wenn es Probleme in einer Schule gibt. So einen Fall haben wir auch in Frankfurt.
Alles ruft nach Luftfiltern. Sie nicht. Warum nicht?
Dass die Erbauer von Luftfiltergeräten laut schreien, ist klar. Aber wenn Sie so einen Filter in einer Schulklasse im Winter aufstellen, wenn es feucht und schmutzig ist, bilden sich Schimmel und Bakterien. Die Geräte werden selbst zu Dreckschleudern. Und bei Tröpfcheninfektionen sind sie nicht sinnvoll.
In der zweiten Welle sind vor allem viele Menschen in den Altenheimen gestorben. Jetzt sind die Bewohner geimpft – droht da nochmal Gefahr?
Der Schutz besonders gefährdeter Gruppen (Protection), der laut nationalem Pandemieplan eigentlich auf die Eindämmung der Infektionen (Containment) folgen sollte, ist unterblieben. Frau Heudorf und ich hatten schon im August angemahnt, dass man die Strategie verändern muss. Denn die Gesundheitsämter konnten nicht beides machen, die Belastung war einfach zu groß. Jetzt sind fast alle Bewohner geimpft. Sie können zwar nochmal erkranken, aber diese Infektionen führen zu einem deutlichen milderen Verlauf mit einer sehr geringen Sterblichkeitsrate.
Das Argument war immer, dass bei hohen Inzidenzen der Schutz vulnerabler Gruppen generell nicht gelingen kann.
Es ist relativ leicht, ein Altersheim zu schützen, indem man es mit Schutzkleidung, vor allem Masken ausstattet und dafür sorgt, dass die Mitarbeiter sich auch daran halten. Da ist die Heimleitung gefragt.
Sie mussten Maßnahmen umsetzen, von denen Sie nicht immer überzeugt waren. Da gab es keinen politischen Druck?
Es gab einen gesetzlichen Druck. Die Gesetze wurden so geändert, dass wir gar nicht mehr anders handeln konnten. Ich weiß, dass ich mit meinen Äußerungen auch kritische Reaktionen hervorgerufen habe. Aber hier in Frankfurt und in Hessen haben wir mit der Politik großes Glück gehabt.
Sie haben auch viel Beifall aus der Querdenkerszene bekommen. Keine Angst, in diese Ecke gestellt zu werden?
Manchen „Querdenkern“ spreche ich das Denken ab. Wenn ich eine wissenschaftlich basierte Meinung nicht mehr kundtun darf, weil ich in die Nähe von Spinnern gesteckt werde, dann ist es schlecht um unsere Demokratie bestellt. Ganz im Gegenteil, ich nehme diese Pandemie durchaus ernst. Vor allem für die vulnerable Bevölkerung, für ältere Menschen ist es eine sehr bedrohliche Krankheit. Für die junge Bevölkerung ist es kein großes Problem.
Das Thema spaltet wie kein anderes. Wie finden wir wieder zusammen? Das ist ja eine zentrale Frage für den Herbst.
Eine extrem schwierige Frage. Zum einen müssten mal andere Gäste in Talkshows auftauchen, die nicht immer das schlimmste Szenario herbeireden. Zum anderen habe ich die Befürchtung, dass diese Spaltungstendenz ganz unabhängig von diesem Thema ist.
Aber nun: Ist erstmal Urlaub geplant? Hoffentlich nicht in einem Virusvariantengebiet...
Nein, Radfahren. Ich will mit einem Freund von Salzburg an die Adria fahren. Ansonsten werde ich weiter arbeiten, an der Universität, beim RKI, an der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf. Ich werde also meinen Hobbys nachgehen.
Das Interview führte Christian Matz.
POLITIK
Mittwoch, 30. Juni 2021
„Angst entsteht aus Unwissenheit“
René Gottschalk, Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts, sieht einige Corona-Maßnahmen kritisch. Über Delta, volle Stadien und Schulen sowie alarmistische Talkshowgäste.
FRANKFURT. Die richtige Strategie in der Bekämpfung der Corona-Pandemie bleibt umstritten – auch unter Experten. Zu denjenigen, die das Virus sehr ernst nehmen, aber viele der Maßnahmen sehr kritisch sehen, gehört René Gottschalk. Als Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes hat er in der Mainmetropole gegen Covid-19 gekämpft, nun geht er in wenigen Tagen in Ruhestand. Ein Gespräch über die Nachteile von FFP2-Masken, Gefahren durch Luftfilter und Applaus aus der „falschen“ Ecke.
Herr Gottschalk, für Sie ist Corona bald vorbei, zumindest beruflich. Sind Sie froh? Oder in Sorge, was Ihren Nachfolgern bevorsteht?
Covid-19 ist nicht vorbei für mich. Ich werde unter anderem meinen Forschungsauftrag an der Universität bei Sandra Ciesek (Frankfurter Virologin, d. Red.) fortsetzen. Für das Gesundheitsamt bin ich erstmal froh, dass die Fallzahlen sinken.
Sie haben in den vergangenen Monaten mehrmals die Corona-strategie kritisiert. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte?
Zunächst einmal war man beim Einschränken der Grundrechte sehr schnell, aber beim Wiederherstellen ist man sehr zögerlich. Dann die Einführung von Inzidenzgrenzen, ob nun 35, 50 oder 100 – eine nachgewiesene Evidenz gibt es für keine dieser Schranken. Abgesehen davon fehlt die Angabe, wie viele Tests tatsächlich vorgenommen wurden. Hinzu kommt die FFP2-Maskenpflicht. Ich halte davon überhaupt nichts.
Warum?
Weil sie für die Bevölkerung völlig ungeeignet sind, da sind die normalen chirurgischen Masken ideal. FFP2-Masken sind dem medizinischen Personal vorbehalten. Die Masken müssen sehr gut sitzen. Wenn Sie eine seitliche Leckage haben, atmen Sie ungefilterte Luft ein und aus, das ist genau das, was wir nicht wollen. Zudem ist der erhöhte Atemwegswiderstand so hinderlich, dass ältere Menschen, die eine chronische Lungen- oder Herzerkrankung haben, die Treppe nicht mehr raufkommen. Der Arbeitsschutz schreibt außerdem vor, dass nach 75 Minuten mindestens 30 Minuten Pause einzuhalten ist.
Sie und Ihre frühere Stellvertreterin Ursel Heudorf haben sich mehrmals im hessischen Ärzteblatt zu Wort gemeldet. Im jüngsten Beitrag fordern Sie, den „Alarmismus zu verlassen“ und „Wissen statt Angst zu verbreiten“. Was wissen wir, was uns keine Angst mehr machen muss?
Sars-CoV-2 gehört zu den Erregern, die übertragbar sind, bevor Symptome auftreten. Das sind die problematischsten überhaupt. Aber wir wissen auch, dass Sars-CoV-2 hauptsächlich per Tröpfchen übertragen wird, nicht als Aerosol. Man hätte mit dem strikten Maskentragegebot – und zwar mit chirurgischen Masken – verhindern können, dass sich Sars-CoV-2 ausbreitet. Wir haben im Gesundheitsamt seit März 2020 eine obligatorische Maskentragepflicht. Nicht ein einziger Fall unter Mitarbeitern hat zu einer Ausbreitung im Amt geführt.
Die große Mehrheitsmeinung ist aber, dass das Virus auch per Aerosol übertragen wird.
Ob das die große Mehrheitsmeinung ist, wage ich zu bezweifeln. Das sind auf jeden Fall die, die sich am lautesten zu Wort melden. Niemand hat bis jetzt bewiesen, dass Sars-CoV-2 – unter normalen Umständen, wohlgemerkt – über Aerosole übertragbar ist.
Gerade haben ziemlich viele Menschen Angst vor Mutationen wie der Delta-Variante. Sie nicht?
Erstmal nicht. Die Impfstoffe wirken auch gegen diese Variante gut, die Infektionslage in Deutschland ist gut im Griff, wir haben einen hohen Prozentsatz bei den Zweitimpfungen. Bis die Reiserückkehrer Ende August zurückkommen, wird ein noch viel höherer Anteil doppelt geimpft sein. Ein Problem sehe ich allerdings darin, dass die Stadien bei der Fußball-EM vollgestopft werden.
Unterstützen Sie stärkere Kontrollen der Rückkehrer, etwa doppelte Testungen?
Beispielsweise sieht man in Israel, dass auch geimpfte Personen mit der Delta-Variante infiziert sein können. Typischerweise sind aber die Krankheitsverläufe mild. Daher sollte man Reiserückkehrer aus entsprechenden Gebieten durchaus genau untersuchen.
Wie rüsten wir uns für die vierte Welle? Oder ist die Frage auch schon Alarmismus?
Ja. Die gleiche Frage habe ich bei der Grippe nie gestellt bekommen. Jede Infektionskrankheit hat eine wellenförmige Charakteristik. Die Krankheiten, die man im Winter bekommt, wie Grippe und jetzt wahrscheinlich Covid-19, bekommt man deswegen, weil sich pro Kubikmeter Raum mehr Menschen aufhalten. Diese Krankheiten werden über die Atemwege übertragen. Im Freien kann man sich nur sehr schwer infizieren. Deshalb waren die Ausgangssperren kontraproduktiv. Wir werden keine vierte Welle in dem Sinne bekommen, dass wir wieder alles runterfahren müssen.
Sie haben wiederholt die Schulschließungen kritisiert. Haben Sie Verständnis für die Angst vor Ansteckungen im Klassensaal?
Verständnis habe ich. Aber Angst entsteht immer aus Unwissenheit. Wir haben untersucht, wie es in Frankfurter Schulen aussieht. Ja, die Viruslast im Rachen von Kindern ist gleichwertig wie die bei Erwachsenen. Aber junge Kinder stecken trotzdem fast niemanden an. Das hängt damit zusammen, dass Kinder weniger Tröpfchen erzeugen beim Sprechen, Atmen, Niesen und Husten.
Die Schließungen sind auch unter Eltern und Lehrern umstritten.
Vor allem die kleinen Schulkinder stecken kaum andere an, sondern werden oft durch ihre Lehrer oder zuhause angesteckt. Bei größeren oder erwachsenen Schülern kann man mit Mundschutz arbeiten. Dass die Lehrer sich beim Impfen in der Priorisierungsliste haben nach oben stufen lassen, finde ich skandalös. Wir müssen bei knappen Impfstoffressourcen vor allem die Menschen schützen, die durch dieses Virus ein großes Problem haben, das sind die älteren und vulnerablen Gruppen. Und nicht die, die meinen, sie hätten ein großes Problem.
Hessen hat gerade die Maskenpflicht in Schulräumen zumindest am Platz abgeschafft, Rheinland-Pfalz auch. Eine gute Idee?
Ja. Das ist vor allem eine Idee, die dem Gesetz nicht mehr widerspricht. Ich habe bei solchen Infektionszahlen keinen Grund, einem Schüler oder Lehrer eine Maske aufzuzwingen. Das heißt aber nicht, dass man die nicht wieder anordnet, wenn es Probleme in einer Schule gibt. So einen Fall haben wir auch in Frankfurt.
Alles ruft nach Luftfiltern. Sie nicht. Warum nicht?
Dass die Erbauer von Luftfiltergeräten laut schreien, ist klar. Aber wenn Sie so einen Filter in einer Schulklasse im Winter aufstellen, wenn es feucht und schmutzig ist, bilden sich Schimmel und Bakterien. Die Geräte werden selbst zu Dreckschleudern. Und bei Tröpfcheninfektionen sind sie nicht sinnvoll.
In der zweiten Welle sind vor allem viele Menschen in den Altenheimen gestorben. Jetzt sind die Bewohner geimpft – droht da nochmal Gefahr?
Der Schutz besonders gefährdeter Gruppen (Protection), der laut nationalem Pandemieplan eigentlich auf die Eindämmung der Infektionen (Containment) folgen sollte, ist unterblieben. Frau Heudorf und ich hatten schon im August angemahnt, dass man die Strategie verändern muss. Denn die Gesundheitsämter konnten nicht beides machen, die Belastung war einfach zu groß. Jetzt sind fast alle Bewohner geimpft. Sie können zwar nochmal erkranken, aber diese Infektionen führen zu einem deutlichen milderen Verlauf mit einer sehr geringen Sterblichkeitsrate.
Das Argument war immer, dass bei hohen Inzidenzen der Schutz vulnerabler Gruppen generell nicht gelingen kann.
Es ist relativ leicht, ein Altersheim zu schützen, indem man es mit Schutzkleidung, vor allem Masken ausstattet und dafür sorgt, dass die Mitarbeiter sich auch daran halten. Da ist die Heimleitung gefragt.
Sie mussten Maßnahmen umsetzen, von denen Sie nicht immer überzeugt waren. Da gab es keinen politischen Druck?
Es gab einen gesetzlichen Druck. Die Gesetze wurden so geändert, dass wir gar nicht mehr anders handeln konnten. Ich weiß, dass ich mit meinen Äußerungen auch kritische Reaktionen hervorgerufen habe. Aber hier in Frankfurt und in Hessen haben wir mit der Politik großes Glück gehabt.
Sie haben auch viel Beifall aus der Querdenkerszene bekommen. Keine Angst, in diese Ecke gestellt zu werden?
Manchen „Querdenkern“ spreche ich das Denken ab. Wenn ich eine wissenschaftlich basierte Meinung nicht mehr kundtun darf, weil ich in die Nähe von Spinnern gesteckt werde, dann ist es schlecht um unsere Demokratie bestellt. Ganz im Gegenteil, ich nehme diese Pandemie durchaus ernst. Vor allem für die vulnerable Bevölkerung, für ältere Menschen ist es eine sehr bedrohliche Krankheit. Für die junge Bevölkerung ist es kein großes Problem.
Das Thema spaltet wie kein anderes. Wie finden wir wieder zusammen? Das ist ja eine zentrale Frage für den Herbst.
Eine extrem schwierige Frage. Zum einen müssten mal andere Gäste in Talkshows auftauchen, die nicht immer das schlimmste Szenario herbeireden. Zum anderen habe ich die Befürchtung, dass diese Spaltungstendenz ganz unabhängig von diesem Thema ist.
Aber nun: Ist erstmal Urlaub geplant? Hoffentlich nicht in einem Virusvariantengebiet...
Nein, Radfahren. Ich will mit einem Freund von Salzburg an die Adria fahren. Ansonsten werde ich weiter arbeiten, an der Universität, beim RKI, an der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf. Ich werde also meinen Hobbys nachgehen.
Das Interview führte Christian Matz.