Sapiosexuelle Eskapaden
... und andere beinahe KatastrophenSapiosexuelle Menschen langweilen sich schnell. Das ist bekannt. Erzählt der ansonsten attraktive Nachbar begeistert von seinem Vorhaben, den neusten Rasenmäher deluxe für den 7 - Quadratmeter – Rasen anzuschaffen, der seinen sportlichen Ambitionen vollauf genügen würde, so wird die ebenso attraktive Lady, die sapiosexuell inspiriert ist, bestenfalls in eine Duldungsstarre fallen. Da kann der Nachbar noch so textsicher den Baumarktprospekt zitieren.
Wogegen der ebenso attraktive Topbanker, der von seiner neuen Yacht vor den Malediven schwärmt und nebenbei noch das ein oder andere Kant-Zitat fallen lässt, ihrer vollen Aufmerksamkeit gewiss sein kann, bis sie vor Ekstase und Entzücken ins Blumenbeet seines Designervorgarten fällt und aufreizend die Tulpenzwiebeln zu streicheln beginnt. Ich bin mir nie sicher, ob der Rasenmäher - Nachbar, der auch Kant zitieren kann – wenn auch aus einer billigen Paperbackausgabe von Suhrkamp, solch einen Erfolg in den Tulpen verzeichnen kann. Aber ich bin für andere Erfahrungswerte offen.
Das ist das Schwierige an diesen neuen Begriffen, die sich erst im Alltag bewähren müssen. Sapiosexualität ist ein solcher Begriff, schneller zur Hand als mancher Dildo in den dunklen Ecken eines Clubs, in der man nach der Steckdose tastet.
Und muss hier nicht auch wieder einmal zwischen der weiblichen und der männlichen Variante unterschieden werden?
Während sie dem Charme des weltläufigen Gentleman erliegt, der Kant auch auf Italienisch zitieren könnte, ist der gewöhnlich intelligent begabte Mann vollkommen zufrieden, wenn Waldemar Hartmann sich wie damals 2013 bei Jauchs 64.000-Euro-Frage verheddert. Wir erinnern uns gerne daran.* Ich weiß nicht, welcher sexuellen Richtung Weißbier-Waldi anhängt. Und ob er als Telefonjoker den Begriff „sapiosexuell“ erkären könnte. Aber der begabte Otto von nebenan sieht sich bestätigt, wie viele Idioten auf dieser Welt seinen Traumjob besetzen, jedenfalls die Möglichkeit seines Traumjobs, und bedauerlicherweise andere die soziale Anerkennung unverdient ernten. Der sogenannte Experte, der alles zu wissen vorgibt, aber in entscheidenden Momenten des Lebens versagt. Das ist nicht mehr lustig, sondern sehr ernst. Ganze soziale und politische Bewegungen leben derzeit von diesem Grundempfinden verkannter Genies. Und was braucht man schon Kant oder Italienisch? Kann man damit Weißbierflaschen öffnen oder Fussballexperte werden? Eben!
Sapiosexuell dagegen – falls der Begriff irgendwas sagen sollte, wäre dann die Fähigkeit, gegebenenfalls der Partnerin beim Sex das blöde Kondom auszureden auf hohem intellektuellem Niveau und mit argumentativer Schärfe. Wobei man auch wiederum weder Kant oder Italienisch können muss.
Er: „Schatz, es sollte nichts zwischen uns sein – und zudem schadet die Produktion und Benutzung des dämlichen Gummis der Umwelt. Unsere Gewässer und Meere sind voll von diesem Zeugs und mancher Seehund ist schon darin verendet!“ Das emotionale, ökologische und tierschützende Argument! Allerdings scheint die Frage gerechtfertigt, welche Größe ein Kondom besitzen muss, dass darin ein Seehund sein bedauerliches Ende findet. Sollte diese Dreier-Kette der Argumentation ihr sofort einleuchten, so dürfte die männlichen sapiosexuellen Kompetenz hinreichend bewiesen sein. Wenn sie aber dem widerspricht mit der gängigen Gesundheitsleier, dann handelt es sich eben um einen schwierigen Fall von Frau, und dann muss halt doch Kant und das Italienische ran.
Er: „Liebling! Kant hat auch nie ein Kondom benutzt, historisch gesehen, und die Italiener sind in der Mehrheit katholisch und benutzen daher auch keines!“
Logisch, es gab zwar die Dinger damals bereits in der geschmackvollen Ausgabe von Hammeldärmen und anderer tierischen Materialien, aber Kant war zeitlebens Junggeselle und wohl ziemlich asexuell, was wiederum auf den Begriff des Sapiosexuellen ein ungutes Licht wirft. Die Italiener sind zwar mehrheitlich katholisch, aber ob sie soooo katholisch sind, darf man heute zurecht bezweifeln.
Und wenn selbst das nicht fruchtet, dann hilft nur das Einloggen in die entsprechenden Gruppe bei Joyclub. Da findet sich immer eine verständnisvolle, sapiosexuelle Frau, die das Leben kennt wie ihre Handtasche und weiß, wo die Tulpenzwiebeln zu finden sind – oder?
Und jetzt hoffe ich inständig, dass ich mit dieser Kolumne das Problem mit der Sapiosexualität in der gebotenen Kürze umrissen habe. Wenn es ernst wird, sind weder Kant, ein katholischer Italiener oder eine sapiosexuelle Joylerin zur Hand. Bleiben nur noch Rasenmäher und Yacht. Und wer gewinnt die 64.000-Euro-Frage? Waldi sicherlich - nicht. Aber dafür krieg er jede rum – mit Weißbier auf den Malediven.
©Dreamy2016
Alle Rechte beim Autor.
Ach so, Vorsicht! Satire.
*http://www.spiegel.de/panora … s-telefonjoker-a-935020.html
P.S. Und wer unter den männlichen Ureinwohnern jetzt die überaus geistreiche Frage stellt, was uns der Autor damit sagen wolle, zu dem kommt heuer nicht das Christkind, sondern der Nachbar mit dem Baumarktprospekt. Frohe Weihnachten!