Wir sind nach meiner Überzeugung die einzige Art, die sich über Symbole verständigt, und zwar ausschließlich. Jedenfalls sind wir die einzigen, die eine Sprache entwickelt haben, die mit der Welt nichts mehr zu tun hat, sondern sie nur bedeutet. Mit unserer Sprache verweisen wir auf etwas, das nicht die Welt ist, sondern Bedeutung. Der Beleg für diese These ist die Lüge. Lügen kann nur der Mensch, denn er hat sich etwas gebaut, das von der Welt abgekoppelt ist: Die Sprache.
Nun ist nicht jeder, der lügt, ein Lügner. Dazu müsste er sich der Lüge bewusst sein. Wenn also jemand eine sogenannte Rolle spielt, kann er felsenfest der Überzeugung sein, er sei authentisch. Er muss ja nicht wissen, daß seine Rolle eigentlich weit an ihm vorbeigeht. Er muss nur überzeugt sein, daß er authentisch ist.
Was aber soll es sein, an dem etwas wie eine Rolle oder eine Überzeugung vorbeigehen kann? Gibt es dieses Echte, dieses Authentische, dieses Individuelle? Ist da etwas in mir, das ich herauszuschälen habe und dem ich zu seinem Recht verhelfen muss, um am Ende sagen zu können: Ich habe mich selbst gefunden?
Nein.
Es gibt nur die Fähigkeiten der Wahrnehmung und der Reflexion, und beides ist geformt durch die unverwechselbare Geschichte des Einzelnen. Im Verlauf dieser Geschichte, die mit der Verschmelzung einer Ei- und einer Samenzelle beginnt und mit dem jetzigen Augenblick ihr vorläufiges Ende hat, gibt es unzählbare Augenblicke, in denen bestimmte Bedingungen herrschen, die nachhaltige Folgen haben. Ab der Geburt haben diese Bedingungen einen rein symbolischen Charakter. Ab jetzt wird dem jungen Menschen in jedem Augenblick mitgeteilt, wie die Welt zu sehen sei.
Ob die jeweiligen Perspektiven für den Heranwachsenden irgendwann zu Widersprüchen führen, hängt einzig und allein von seiner Fähigkeit ab, diese überhaupt wahrzunehmen. Er kann dies nur, wenn er über Erfahrungen verfügt, die diesen Widerspruch überhaupt erst möglich machen. Ich kann nur dann in einen Widerspruch geraten, wenn ich erlebe, daß es auch etwas anders gibt als das, was mir mein nächstes Umfeld vorlebt.
Diese Rolle kann ein Jemand spielen, der in meinem Umfeld irgendwie anders ist, aber es kann auch ein Buch sein, das mich auf geheimnisvolle Weise aus meiner Welt hinausträgt und mich nach der Lektüre als ein Anderer wieder in meine Welt entlässt, die ich hernach aus einer mir zuvor fremden Perspektive betrachten kann.
Ich will auf Bedeutungen hinaus. Sie sind alles, was wir haben. Wir sind aufgerufen, unserem Leben eine Bedeutung zu geben. Mit dieser Bedeutung können wir leben, wenn wir uns mit ihr wohlfühlen. Um nichts anderes geht es dabei.