Danke für das Thema. Ich hatte erst am Mittwoch den perfekten, körperkontaktlosen Abend, daher passt dieses Thema sehr gut. Die folgende Erzählung enthält auch die Essenz des gelungenen Abends, für die, die es interessiert:
Auf einer Konferenz hatte ich gerade einen Vortrag gehalten und während die Diskussion begann, ließ ich meinen Blick das erste Mal in Ruhe über die Zuhörenden schweifen. Dabei fiel mir in den hinteren Reihen eine Frau auf, die, traumhaft aussah. Traumhaft, das meint geradewegs aus meinen persönlichen Vorstellungen entspringend.
Das Gefühl, jenes drängende und gleichzeitig, ob seiner Intensität auch entmutigende, abrupte Sehnen, diesen Menschen kennenzulernen, wurde jedoch rasch unterbrochen durch die Fachdiskussion, in der ich als Vortragender doch irgendwie beteiligt war.
Die Stunden vergingen und wenn sich unsere Wege zufällig kreuzten, gab es nicht die geringste Chance für einen Blickkontakt. Ihr Blick schien mich gezielt zu ignorieren, eine Fehlannahme, gespeist natürlich aus meinem Wunsch nach Beachtung.
Nach dem inhaltlichen Teil der Konferenz gab es noch den Abendausklang. Ich fand mich an einem großen Tisch im Garten hinter dem Konferenzgebäude wieder. Wie der Zufall es wollte, saßen meine direkten Kollegen am selben Tisch, wie die besagte Dame... auch hier keine Chance auf nur einen Seitenblick ihrerseits.
Für mich war damit diese Geschichte beendet, da ich nicht auf eine Verführung, also auf die Erzeugung eines Willens, der vorher nicht vorhanden war, aus war, sondern wenn, dann auf eine gegenseitige, zumindest rudimentäre Anziehungskraft gehofft hatte. So begann ich eine inhaltliche Diskussion mit meinen Kollegen, die ihre Aufmerksamkeit erregte, weshalb sie sich zu uns, in diesem Fall neben mich, setzte.
Nach anderthalb Stunden angeregter Diskussion wollte ich mich ausklinken. Nach fast 12 Stunden baden in Konferenzmassen und geistiger Anstrengung, war mir nach einem abendlichen Spaziergang um die Hitze und die Anspannung des Tages gleichermaßen abzuschütteln. Der Tag war vorbei, die Sonne war fast verschwunden und Berlin Dahlem immer einen Spaziergang wert. Also verabschiedete ich mich mit den Worten: "Ich drehe noch eine Runde, ich muss noch mal raus aus der Menge, ehe ich schlafen gehe." Unvermittelt fragte sie: "Kann ich mitgehen?"
Etwas überrumpelt, auf so ziemlich allen Ebenen, war meine erste Antwort ein rhetorisch ausgefeiltes: "Äh..." Doch es gelang mir dann doch noch Zustimmung zu signalisieren. So wanderten wir im Anschluss daran fast zwei Stunden durch das nächtliche Berlin, durch Nebenstraßen und Parks. Wie auch die veränderte Landschaft, folgte auch unser Gespräch verschlungenen Pfaden, von jihadistischer Musik, über feministische Theorie, bis hin zu Froschpopulationen und nächtlichem Nacktbaden und wieder zurück.
Dann kehrten wir wieder zum Gästehaus zurück und trennten uns für die Nacht. Auch den nächsten Tag verbrachten wir in den Konferenzpausen miteinander. Sie spielte für mich Klavier im hoteleigenen Flügel, wir diskutierten mit ihrer Freundin über Sicherheitsprobleme und Chancen durch deren CRISPR/Cas Forschung und übten mit ihrem Arbeitskollegen Kartenzaubertricks.
Es war eine Mischung aus viel Lachen, ernsten wie humorvollen Themen, Einblicken ins gegenseitige Leben und immer mal wieder jene Blicke, die einen Tick zu lange dauerten, ehe sie mit nervösem Lidflattern unterbrochen wurden. Wir saßen auf Liegen zu dicht beisammen für Menschen, die sich nicht kannten und merkten auch so, dass wir nicht die Scheu hatten, den anderen in jene Sphäre zu lassen, die zu nah, zu intim für Fremde ist.
Dennoch, es gab keine Geste der Zärtlichkeit, keinen Versuch jene Begegnung körperlich werden zu lassen. Für mich fühlte es sich wie ein spannungsvolles Zittern an, was sich in unserem Zwischen manifestierte, ohne als Funken überzuspringen. Es war so perfekt, wie ein Aufeinandertreffen in diesem Rahmen sein konnte.
Viele Grüße
Brynjar