Es gibt immer zwei Perspektiven auf etwas Geschriebenes: die Perspektive der Schreiberin bzw. des Schreibers und die der Leserin bzw. des Lesers. Die deutsche Rechtschreibung ist vom Wesen her darauf ausgerichtet, dass man einen Text schnell erfassen kann (Großschreibung von Substantiven bspw. erleichtert es, sie zu erkennen). Sie ist also lesefreundlich, was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Schreibprozess aufwändiger ist (bspw. weil man bei Substantiven die Shift-Taste drücken muss).
Jetzt kann jede und jeder selbst für sich entscheiden, ob sie oder er selbst gerne möglichst einfach schreiben möchte (was dann eben nicht mehr der Norm entspricht), oder ob er bzw. sie es den Leserinnen und Lesern einfach machen möchte.
Das kann man auch ökonomisch betrachten. Nehmen wir an, ein Schreiber spart bei einem Text 30 Minuten ein (wegen schnellerem Schreiben und unterlassenem Korrekturlesen). Dafür kostet es die Leserinnen und Leser zwei Minuten mehr, den Text zu erfassen. Bei einer Anzahl von 15 Leserinnen und Lesern ist also der gesamtökonomische Vorteil aufgebraucht. Danach wächst der Gesamtzeitaufwand für die Kommunikation mit jeder Leserin und jedem Leser.
Das heißt, je mehr Menschen einen Text lesen (sollen), desto sinnvoller ist es in der Gesamtbetrachtung, dass der oder die Verfasserin sich Mühe gibt, verständlich und orthographisch normkonform zu schreiben.
Der andere Punkt ist ein rhetorischer: Je mehr ich mit einem Text erreichen möchte (also bspw. jemanden von etwas überzeugen), desto mehr Mühe sollte ich mir geben. Will ich einfach nur meine wirren Gedanken in irgendwelchen Sozialen Medien raushauen, und es ist mir eigentlich egal, was damit passiert, dann brauche ich mir wohl auch weniger Mühe zu geben. Andererseits könnte es sein, dass ich dadurch, dass ich mir an einer Stelle gar keine Mühe gebe, dann an anderer Stelle mehr Mühe habe, etwas Ordentliches zu produzieren.
Es bleibt also verzwickt - und das ist ja gerade das Schöne daran. Jede und jeder kann schreiben, wie er oder sie möchte. Und genauso kann jede und jeder entscheiden, ob sie oder er das lesen möchte. Und das gilt zum Glück nicht nur in Bezug auf die Rechtschreibung und Interpunktion.