Ich könnte da, als Plattenhändler, sicherlich ein halbes Buch drüber verfassen.
Ich belass' es mal bei einem Auszug, bevor der gesamte joyclub vor dem Rechner einschläft.
Im Endeffekt gibt es wenig Pauschalen zur wirklichen Zustandbeurteilung.
Auch wenn Goldmine Grading Standards z.B. eine wichtige Einstufung im Verkauf von Vinyl sind, reicht auch das noch nicht - ich persönlich gebe da meist eine kleine, detailierte Beschreibung beim Online-Verkauf.
Beim Kauf/Tausch im Laden, auf Börsen u. Märkten oder unter Freunden ist es immer hilfreich einen kleinen, portablen Turntable dabei zu haben (wenn sonst kein Plattenspieler vor Ort ist), wenn man denn mal Scheiben in der Hand hat, bei denen man sich optisch nicht so ganz einig wird, wie sie wohl spielen könnten.
Gerade bei älteren 45's bzw. 7" Singles (60s/70s) sind die Pressungen oft so "laut", daß ich viele Garage/Northern/Deep Funk/Reggae/Rock-Nummern kenne, die auch in G+ Zustand (also mit sehr deutlichen Gebrauchsspuren) noch gut rocken.
Im Reggae z.B. sind die Standards ganz anders; da jamaikanische Pressungen allzu oft auch neu nie wirklich "mint" waren. Trotzdem wird jeder erfahrene Soundsystem-Kollege nicht umsonst für eine völlig zerkratzte Prince Buster Single aus den 60ern mal eben 150,- hinlegen.
Ich persönlich bin alles andere als Mint-Fanatiker und bin z.B. von einer alten Deep Groove Jazz-Pressung mit jeder Menge Oberflächen-Gebrauchsspuren meist überzeugter, als von einer späteren Pressung (wobei auch das nicht komplett zu pauschalisieren ist).
Vereinfacht für jemanden, der aber eben noch nicht jahrelange Erfahrung hat und möglicherweise auch keinen portablen Turntable zur Hand, hilft es aber natürlich schon einigermaßen, die Platte optisch zu begutachten.
Bleibt allerdings oft relativ, da es Scheiben gibt, die hervorragend aussehen, aber z.B. in den 80ern mit einer Kompaktanlange (Schneider und Co.) und billiger Nadel, die nie ausgetauscht wurde, abgespielt wurden und brutzeln wie ein Ei in der Pfanne.
Ebenso erkennt man nicht unbedingt, wenn eine Platte eher unsachgemäß gereinigt wurde und das Nebengeräusche verursacht.
Leichte Wischspuren/Tröpfchenbildung in der Leerrille kann unter Umständen bedeuten, daß die Platte feucht abgespielt wurde. Muß aber nicht - kann auch von Reinigung kommen (auch nicht zwangsweise von einer allzu unsachgemässen). Und auch wenn eine Platte mal feucht abgespielt wurde, ist sie nicht unbedingt ein hoffnungsloser Fall (wie allzu oft behauptet wird).
Eine Pauschale für Scratches (die meist aufgeht) ist; was man nicht fühlen kann, hört man auch nicht.
Also jetzt bitte nicht mit den Fingern auf jeder Platte, die irgwndwie ein paar Hairlines hat, rumpatschen - aber wenn irgendwo etwas nach einem echt tiefen Kratzer aussieht; Händler fragen und ggfs. (wenn das erlaubt ist) drüber fühlen. Spürt man mit der Fingerspitze einen Kratzer, der quer über die eigentliche Rille drüber läuft, dann wird man ihn auch hören. Und wenn nicht, kann er noch so finster aussehen; man wird ihn sehr wahrscheinlich nicht akustisch wahrnehmen.
So, wer jetzt noch wach ist, hat vielleicht was dazu gelernt.