Uhlmann
1965 erhielt der Dresdner Großmeister Wolfgang Uhlmann eine Einladung zum internationalen Turnier in Marienbad. Er fuhr mit dem Zug dorthin. Zwischen Prag und Pilsen kamen Paul Keres und Karel Opocenzky in sein Abteil. Es war Mittagszeit, sie schlugen vor, in den Speisewagen zu gehen. Gesagt, getan. Als sie einige Zeit später ins Abteil zurückkamen, war Wolfgangs gesamtes Gepäck gestohlen! Einschließlich Mantel und Reisetasche. Alles war weg! Was sollte er tun? Die Notbremse ziehen? Es hätte nicht viel gebracht, der Zug befand sich schon kurz vor dem Bahnhof in Pilsen. Hinterher erfuhr Uhlmann, dass es eine organisierte Bande war. Die dreisten Diebe kamen mit leeren Koffern und stülpten sie einfach über ihre Beute, ehe sie sich mit ihr davonmachten.
„Eine schöne Bescherung“, stöhnte der Großmeister. „Ich hatte nur meinen Pullover an, und im April war noch hässliches Wetter. Die tschechischen Freunde haben mir dann als erstes einen Schirm gekauft, der in diesen Tagen ein wichtiges Requisit wurde. Du kannst dir vorstellen, wie schlecht man ein Schachturnier spielt, wenn nicht nur alle Kleidungsstücke, sondern auch sämtliche Aufzeichnungen verloren sind. Meine ganze Eröffnungskartei war weg. Es gab ja seinerzeit noch keine elektronischen Datenbanken wie heute. Ich hatte wie jeder Großmeister natürlich viele Pfeile im Köcher, die noch nicht verschossen waren.“
Viele Varianten Uhlmanns, in häuslicher Analyse entstanden, gingen bei diesem Raub verloren. Es war keine leichte Situation und ein ganz bitterer Verlust für ihn. Der Schock wirkte sich unmittelbar auf sein Spiel aus. So hatte er gegen Leonid Schamkowitsch zwei Bauern mehr und ließ in dieser Gewinnstellung einen Turm stehen. Der Gegner kassierte den Punkt und schaffte auf diese Weise die Großmeisternorm. Uhlmanns Pech war sein Glück.
Auch Wolfgangs Ehefrau Christine erinnert sich noch genau an das Malheur: „Es war ein Wochenende, als er abfuhr. Ich habe in Dresden ein Tennisturnier gespielt, das mir sehr viel Spaß machte. Zu Hause angekommen, erhielt ich die schockierende Nachricht, dass Wolfgangs Koffer weg war. Damals konnte man ja nicht so einfach losfahren. Ich musste mir am Montag bei der Polizei erst ein Visum holen, das man mir auch schnell ausstellte. Rasch packte ich neue Sachen für meinen Mann ein und fuhr nach Marienbad. Die ganze Zugfahrt habe ich mich nicht von dem Koffer weggerührt. Ich blieb etliche Tage als Gast bei diesem Turnier, für mich war es eine schönere Zeit als für Wolfgang.“