Eine Schachaufgabe ohne Computerhilfe lösen
Ich versuche mal meine Gedankengänge hier aufzuschreiben um zu zeigen, wie ich an eine Schachaufgabe (und oft auch so in einer Turnierpartie)herangehe.
Am Beispiel: Endspiele Aufgabe 2
Wie bereits von Traeumer8864 erwähnt, gibt es einige wenige Spieler, die solche Schachaufgaben im Kopf (ohne die Züge am Schachbrett nachzuspielen) bis zum Ende lösen können. Das kommt natürlich auch auf die Schwierigkeitsstufe einer Schachaufgabe an!
Aber ich glaube, dass die meisten hier in der Gruppe das nicht können. Das auch nicht schlimm ist!
Deshalb empfehle ich die Schachaufgaben am Schachbrett zu lösen.
Das heißt konkret, ich nehme mir die Zeit, die ich für mich persönlich richtig halte.
Zum Beispiel 15 min. oder 30 min. Aber das sollte jeder für sich selbst herausfinden.
Ein Raum, ein Schachbrett und Figuren. Baue die Stellung auf. Prüfe zweimal, ob die Stellung richtig aufgebaut ist. (denn nichts ist schlimmer, als wenn man nach 10 min. oder längerer Analyse feststellt, dass ein Bauer falsch steht oder gar nicht auf dem Brett ist…das ist dann natürlich sehr ärgerlich!)
Jetzt schaue ich mir das Materialverhältnis an. Wer hat mehr, Weiß oder Schwarz oder gleiches Material. Im Fallbeispiel hat Weiß einen Bauern mehr. Jetzt habe ich bereits zwei Informationen.
Die Information vom Aufgabensteller, (wer am Zug ist) und die eigene Information, die ich selbst erarbeitet habe, (wie das Materialverhältnis ist).
Nun überlege ich (aus der Sicht des Schwarzspielers) ob mein König in Gefahr ist und Weiß konkret etwas droht. Wenn in der Stellung Weiß am Zug wäre, würde ich sehen, dass g5-g4 gefolgt von Te5-g5 droht und der G-Bauer oder der B-Bauer wandelt sich zu einer Dame um, denn beide Bauern kann ich (Schwarz) nicht aufhalten.
Also Schlussfolgere ich nun, dass ich selbst eine konkrete direkte Drohung aufstellen muss und das ein passiver Verteidigungszug (z.B. Tg8 verhindert g5-g6) nicht ausreicht. Weil Weiß seinen Turm einfach zurückzieht nach e1, um ihn dann hinter den G oder B-Bauern (g1 oder b1) zu stellen und den Bauern deckt und einer von beiden wandelt sich später in eine Dame um.
[wenn mein Gegner „nichts“ konkretes droht, ist die Sache (Aufgabe) meistens schwieriger, da ich oft (aber nicht immer) einen „stillen Zug“(ein Zug ohne Schachgebot) finden muss!]
Also ist mein erster Zug. Tb-f8+ (ich gewinne Zeit, in dem ich den weißen König konkret mit einem Schachgebot bedrohe!) .
Nun führe ich den Zug auch aus! Der einzige sinnvolle Zug von Weiß ist Kf4-e4. (weil nach Kf4-g4 einfach Kd6xe5 mit Turmgewinn folgt)
In der Stellung, die jetzt (nach den Zügen
1…. Tb-f8+ 2. Kf4-e4) auf dem Brett ist, erkenne ich nun , das der Weiße Turm überhaupt nicht ziehen kann, weil die eigenen Bauern (g5 und b5) die 5 Reihe versperren! Und der eigene König versperrt einen möglichen Rückzug nach e1 des weißen Turms.
Mein Bauer auf e6 und mein König auf d6 überwachen die Felder auf der 5 Reihe. Anders gesagt, der weiße Turm ist jetzt Patt. Oder: der
weiße Turm ist passiv und kann derzeit nicht aktiv im Spielgeschehen eingreifen und der
schwarze Turm steht aktiv und kann versuchen diese Situation auszunutzen.
Es gibt zwei wichtige Regeln die man als Schachspieler kennen sollte.
Türme müssen maximale Aktivität im Endspiel entfalten (manchmal auch auf Kosten eines eigenen Bauern…dazu vielleicht später mal eine Beispielaufgabe) und
gehören hinter den Bauern!
Mit diesem Grundwissen ist der nächste Zug naheliegend. Ich ziehe meinen Turm von f8 soweit wie möglich runter. Also
2….Tf8-f1 und drohe mit einem
"Spieß" (ein Doppelangriff auf zwei Figuren gleichzeitig) den weißen Turm mit Te1+ nebst Txe5 zu gewinnen.
Und es gibt zu Tf1 keine gute Alternative. Wenn ich z.B. Tf8-g8 spiele (um wieder g5-g6 zu verhindern), kann Weiß mit b5-b6 auf Gewinn spielen. Es droht dann von Weiß Te5-b5 nebst b6>b7>b8 usw.!
Daher folgt
2….Tf8-f1
Jetzt hat Weiß „nur“ 5 spielbare Züge (Kd4 oder g6 oder b6 oder Txe6 oder Tc5)
Turm schlägt e6 und Turm c5 schließe ich sofort aus, weil der weiße Turm sofort verloren geht.
Bleibt 3.Kd4, 3.g6 oder 3.b6
Mit Kd4 droht Weiß seinen Turm zu befreien (z.B. Te3). Daher muss ich nach Kd4 wieder eine direkte konkrete Drohung aufstellen. Das mache ich dann mit Tf-d1+. Zieht der weiße König nun C-Linie, so folgt Kd6xe5. Zieht der weiße König zurück auf e4 folgt der Spieß Td1-e1+ nebst Txe5.
Wenn 3.b6 kommt, so spiele ich 3…..Tf-e1+ 4.Ke4-d4/f4 Te1xe5 5.b6-b7 Te5-b5 und Schwarz hält die weißen Bauern rechtzeitig auf!
Also bleibt die letzte Hoffnung 3. g5-g6 aber auch dann kann (nein muss ich, wenn ich gewinnen will) mit einem Spieß den weißen Turm gewinnen. Also spiele ich nach
3.g5-g6 Tf1-e1+ (und wieder ein aktiver Zug mit einer konkreten Drohung!) Schwarz hätte auch Tf1-g1 spielen können um den G-Bauern zu gewinnen. Danach spielt Weiß Te5-h5 und die Stellung ist nach Tg1xg6 „nur“ Remis. (Also hätte man hier durchaus noch fehlgreifen können!) Weiß antwortet mit
4. Ke4-f4 (in der Hoffnung, dem schwarzen Turm das Feld g5 streitig zu machen, damit der G-Bauer sich umwandeln kann. Schwarz schlägt den Turm auf e5 (
4….Te1xe5)
Nach den Zügen
1………… Tb-f8+
2. Kf4-e4 Tf8-f1
3.g5-g6 Tf1-e1+
4. Ke4-f4 Te1xe5
ist die Stellung erneut nicht einfach. Nur wer den „Spieß“ kennt (oder so etwas ähnliches mal in einer Partie hatte) wird wahrscheinlich jetzt schnell auf den Lösungsweg kommen.
Weiß hat hier auch wieder zwei Gewinnversuche….5.g6-g7 oder 5.b5-b6
Egal was Weiß zieht. Schwarz muss wieder
„Zeit“ und ein „Tempo“ gewinnen um die Bauern rechtzeitig aufzuhalten!
Also folgt nach 5. b5-b6 Te5-f5+ 6. Kf4-g4 und jetzt Gewinnt 6….Tf1 mit der Drohung Tg1+ nebst Tg1xG-Bauer oder 6…..Kd6-e7 (der schwarze König ist im Quadrat des G-Bauern und hält ihn auf) nebst Tf5-b5 (der Turm hält den B-Bauern auf!) oder 6….Kd6-c6 (der schwarze König ist im Quadrat des B-Bauern und hält ihn auf) nebst Tf1 mit der Drohung Tg1+ nebst Tg1xG-Bauer.
Weiß entscheidet sich für 5.g6-g7 (natürlich möchte er so schnell wie möglich eine neue Dame holen!)
Und durch ein Tempogewinn (Tempozug) Te5-f5+ bekommt Schwarz erneut die Zeit seinen Turm auf die erste Reihe zu ziehen. 6. Kf4-g4 (Weiß deckt weiter das Feld g5 ab…wenn 6. Kf4-g4 kommt folgt sofort Tf5-g5 mit Gewinn des G-Bauern)
Nach
6. Kf4-g4 folgt
6……Tf5-f1 um nach
7. g7-g8=Dame den bereits oben mehrfach erwähnten
„Spieß“ 7……Tf1-g1+ zu spielen.
5.g6-g7 Te5-f5+
6. Kf4-g4 Tf5-f1
7. g7-g8=Dame Tf1-g1+
8. König zieht beliebig.....
Tg1xg8 und Schwarz gewinnt mit einem Turm mehr die Partie!
Eine sehr sehr lange Ausführung.
Daher die wichtigsten Punkte in Kurzform.
Aufgabe auf dem Brett richtig aufbauen.
Eigenes Zeitfenster geben.
Ein Raum/Zimmer mit viel Ruhe hilft!
Wer ist am Zug?
Stellung Beurteilen (Materialverhältnis prüfen)
Wird mein König bedroht?
Was droht mein Gegner konkret?
Was kann ich konkret drohen?
Die Stellung immer Zug für Zug erneut am Brett analysieren!
Ich gebe zu, diese Aufgabe war für Schachspieler ohne besondere Vorkenntnisse nicht oder nur sehr schwer zu lösen.
Mit Vorkenntnissen meine ich z.B. Den Doppelangriff Spieß, Tempogewinn, Zeitzug, Die Regel vom Quadrat, Türme gehören im Endspiel hinter den Bauern und Türme sollten im Endspiel wenn möglich max. Aktivität leisten und nicht (nur) passiv verteidigen!
Es gibt noch viele weitere Begriffe und Regeln, die sehr hilfreich sind, um solche Aufgaben zu lösen.
Aber auch genauso wichtig sind, um in einer Turnierpartie entscheidende Partien zu gewinnen oder in einer Verluststellung Remis zu halten.
Wie z.B. Die „Gabel“ die „Fesselung“ der „Spieß“ „Doppelschach“ „Abzugsschach“ „Ablenkungsopfer“ „Hinlenkungsopfer“ „Hineinziehungsopfer“„Zerstörungsopfer“ „Scheinopfer“ und noch vieles mehr.
Leider ist es für mich als Aufgabensteller nicht einfach den richtigen Schwierigkeitsgrad der Aufgaben zu finden, da ich ja nicht weis, welche Vorkenntnisse jeder einzelne hat.
Für Anregungen oder Vorschläge bezüglich des Schwierigkeitsgrades bin ich dankbar!
Aufgaben zum Thema Doppelangriff, Opfer usw. kann ich auch reinstellen, wenn es erwünscht wird!
Gleich folgen noch die Diagramme zum besseren Verständnis!
Schachliche Grüße,
Carpediem
(p.s. bitte nicht akribisch auf die Rechtschreibung achten…ist schon spät…)