Etwas, das mir geholfen hat, war wieder anfangen zu träumen. Ich war so darauf konzentriert, was alles schlimm war und was ich alles überwinden muss. Das war so lähmend, weil es sich wie ein riesiger Berg angefühlt hat und dadurch habe ich die Motivation verloren, es überhaupt anzugehen.
Erst, als ich wieder bewusst darüber nachgedacht habe "Was möchte ich? Was brauche ich jetzt gerade? Was erträume ich mir für die Zukunft?", konnte ich ein Ziel für mich aufbauen, einen Teil des Weges sehen.
Einer, der in der Drogenberatung arbeitet, hat in einem Seminar mal erklärt, dass es für die Leute deshalb so schwierig ist, aufzuhören, weil sie zwar davon weg wollen, aber als Mensch ist es für die Selbstdisziplin sehr schwierig, etwas sein zu lassen, weil es sich wie ein Verzicht anfühlt. Man muss etwas haben, was man "lieber" oder zumindest stattdessen machen will, damit es im Kopf kein "ich muss das lassen" ist, sondern ein "ich darf stattdessen..."
Meiner Erfahrung nach lässt sich das auch in abgewandelter Form für andere Bereiche anwenden, denn das Hirn funktioniert in allen Bereichen so.
Ich lief monatelang mit einem "Ich muss dies, ich muss das, die anderen erwarten von mir x, wird Zeit, dass ich y" im Kopf rum und habe gar nichts geschafft, einfach, weil ich weder wusste, wofür, noch hatte ich die mentale Selbstdisziplin, es ohne Ziel trotzdem zu tun. Das haben die wenigsten. Dabei ging es ja um gute, wichtige Dinge für mich. Eigene Wohnung suchen, vergangene Beziehung aufarbeiten, Leben stabilisieren und so weiter.
Erst, als ich für mich wieder zugelassen habe, zu träumen, konnte ich das alles tun. Ich habe ganz langsam angefangen, mit sowas wie "ach, ein eigenes Bad zu haben, fände ich schon praktisch" (Ich lebte zu der Zeit bei meinen Eltern) und "ich will nicht Nachts rumschleichen müssen, wenn ich was brauche, sondern es mir einfach holen ohne wen zu stören". Ganz simple, einfache Bedürfnisse, die aber eben aus mir selbst heraus kamen und nicht als Druck von außen. Aber der Anstoß dazu, dass mir der Gedanke an eine eigene Wohnung doch wieder von mir aus wichtig ist. Und dann konnte ich träumen; von Wandfarben, Möbeln, die ich gerne hätte und so weiter. Dann hatte ich mein erstes Ziel, mein erstes "stattdessen" gefunden.
Warum ich das alles geschrieben habe? Weil auch der Wunsch nach seelischer Heilung aus dir selbst kommen muss um zu wirken. Ohne eigenen Wunsch, eigenes Ziel lässt sich die Motivation dafür, sich um einen Platz zu bemühen, die Wartezeit zu überstehen und dann hart in der Therapie zu arbeiten nicht herstellen. Ich bin als Jugendliche jahrelang zur Therapie gegangen, ohne dass sich viel verändert hätte. Schließlich wollte ich mich selbst gar nicht verändern, sondern so sein, wie ich bin. Daran gelitten, wie ich bin, habe ich nur aufgrund der Reaktion der Anderen. Die wollte ich verändern.
Erst jetzt, wo ich schon über 30 bin, habe ich in mir die Motivation zur Veränderung gefunden. Jetzt würde auch eine Therapie etwas bringen, aber jetzt ist sie für mich gar nicht mehr nötig.
Deshalb weiß ich, wie wichtig es ist, sich ein eigenes Ziel, einen eigenen Traum aufzubauen.
Ich wünsche dir, dass du auch damit anfangen kannst. Spür in dich hinein. Was ist es, was du stattdessen willst? Statt einem solchen unguten Menschen als Partner, statt so behandelt zu werden, statt sich sowas anhören zu müssen? Was möchtest du anstatt dich klein, unwichtig, benutzt oder kaputt zu fühlen? Oder, falls du so ein komischer Kauz bist, wie ich:
In welchem Rahmen und Umfang möchtest du dich so fühlen dürfen und was sollen da noch für Gefühle dabei sein?
Das hat für mich sehr lange gedauert, zu begreifen, dass ich mich gerne klein und unwichtig fühle, aber nur, wenn ich mich trotzdem gesehen und wertgeschätzt fühle. Ich möchte mich klein und unwichtig und untergeordnet fühlen, aber derjenige soll mich trotzdem als ganzen Menschen mögen und sehen können, was ich für positive Eigenschaften habe und mir das auch zeigen. Nur mal als Beispiel, was man auch als "stattdessen" haben kann. Es geht um dein eigenes Bild und Ziel. Nicht darum, was andere als Ziel für dich haben.