Eine magische Weihnacht
Die Gassen waren dunkel und die Dächer mit frischem Schnee bedeckt. Nur ein paar Laternen zierten die Straßen des kleinen Dorfes. Der alte Herr drehte seine abendliche Runde, mit seinem dicken Mantel und viel zu großen löchrigen Schuhen. Es war jene Nacht, in der die Menschen sich Geschenke bereiteten und gemeinsam Lieder sangen.
Es gab viele Gerüchte über den alten Herren, den man als seltsamen Zauberer bezeichnete. Kinder mochten ihn, denn er hatte zu dieser Zeit Schokoladenbonbons und Karamellkekse dabei. Man sah ihn nicht oft. Doch wenn der Schatten des Alten zu sehen war, wusste man, dass er wieder sein Unwesen trieb.
Es war schon nach 21 Uhr, als die Glocken der Dorfkirche jämmerlich läuteten. Diese Glocken waren sehr alt, älter als der mystische alte Herr. Es schien, als ob es keine Zeit gab, als die weißen Eulen ihre alljährlichen Kreise zogen. Mindestens hundert waren es, vielleicht auch Tausende. Sie kamen aus den nahe gelegenen Wäldern, um das große Fest zu würdigen. Wie ein weißer Teppich zog sich diese Eulenschar über den Nachthimmel, und die Laute dieser weisen Geschöpfe waren bis über die Berge zu hören. Dann wurde es immer leiser, schier unheimlich war diese Stille.
Draußen konnte man die Gesänge der Dorfbewohner hören. Man sah sie tanzen in ihren Häusern, und nur wenige Fenster blieben dunkel. Das Haus am Ende der langen Dorfstraße stand schon seit etlichen Jahren leer.
Dort war kein Licht zu sehen, und es gab nicht das kleinste Lebenszeichen. Die Dorfkinder spielten dort gerne im Garten, wenn die bunte Blütenpracht den Frühling einläutete. Die Leute sprachen von Spuk und unheimlichen Geschichten, wenn sie an diesem Häuschen vorbeiliefen. Und niemand wusste, wer dort einst zu Hause war. Auffällig war jedoch, dass sich die weißen Eulen zur heiligen Zeit an diesem besagten Spukhaus versammelten. Sie saßen auf dem Dach, in den schneebedeckten Bäumen des Gartens, und ein alter hölzerner Briefkasten schmückte diesen Ort.
In jener Nacht roch es überall nach Gänsebraten, gebackenen Keksen und Zimt. Ein alter Brauch war es, wenn die Dorfbewohner sich gegenseitig Geschenke machten. Es gab einen kleinen Jungen, der sich diesen Brauch besonders zu Herzen nahm. Am frühen Morgen dieses besonderen Tages packte er alles zusammen, was er in der Küche fand, um es an ärmere Kinder zu verteilen. Sein Großvater bastelte ihm einen Bauchladen aus altem Fichtenholz. Dort konnte er seine leckeren Gaben präsentieren, und wenn es nichts mehr gab, besorgte er sich Nachschub aus der Nachbarschaft. Man mochte diesen kleinen Jungen, der aufgrund seines warmherzigen Lächelns beliebt war.
Und in jener Nacht geschah etwas Wundervolles. Als sich der Junge mit der Stupsnase aufmachte, um seine Freunde zu besuchen, ging er die dunkle Trompetengasse entlang. Zwei schwarze Katzen begegneten ihm, sonst war es still und kein Mensch war weit und breit zu sehen. Seine Fußabdrücke waren zu sehen, im Licht der rostigen Laternen, als plötzlich eine Stimme rief.
„Hallo kleiner Mann“, schallte es durch die Gasse.
„Hallo?“, erwiderte der kleine Junge mit der roten Wollmütze.
Niemand war zu sehen. Ein Schauer lief dem kleinen Jungen über den Rücken und er ging einige Schritte schneller.
„Warum eilst du?“, rief diese unheimliche Stimme erneut.
Er blieb stehen und sah sich um. Da war ein großer Mann am anderen Ende der Gasse, oder vielleicht war es ein Bär, dachte sich der Junge und rannte, so schnell er konnte.
„So warte doch, so warte doch“, rief es aus der Ferne.
„Wer bist du?“, sagte der kleine Junge mit zittriger Stimme.
„Ich bin ein Freund“, antwortete diese Gestalt.
Wie erstarrt stand der kleine Junge mit seinem Bauchladen am Straßenrand und hielt sich am Gartenzaun der Nachbarn fest. Die große Gestalt kam näher und der Junge konnte die Silhouette eines alten Mannes mit einem übergroßen Stock erkennen. Dieser Stock war aus Holz, und das obere Ende leuchtete. Dort war eine Kerze platziert und schlangenartige goldene Verzierungen schmückten diesen Stab.
Der Mann stand direkt vor ihm. Sein Gesicht war zu sehen, ein sehr altes und graues Gesicht. Und eine große Nase, die mit Schnee bedeckt war, zeigte auf den kleinen Jungen.
„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte der alte Mann.
„Was hast du da in deiner Umhänge-Kiste?“, fragte er mit seiner tiefen, eindringlichen Stimme.
„Ich habe Süßigkeiten. Ich verteile sie an meine Freunde“, stammelte der Junge.
Der alte Herr streckte seine Hand aus. Auf dieser lagen Murmeln aus Holz. Doch es schien, als ob dies keine gewöhnlichen Murmeln waren. Sie leuchteten so wunderschön, dass der kleine Junge seinen Mund nicht mehr schließen konnte.
„Oh sind die schön“, sagte der Kleine mit weit geöffneten Augen.
„Ich möchte sie dir schenken“, flüsterte der mysteriöse Alte dem Jungen ins Ohr.
Der kleine Junge öffnete vertrauensvoll seine linke Hand. Mit einem liebevollen Lächeln überreichte der Mann die drei Holzkugeln und umschloss die kleine Hand des Jungen mit der seinen.
„Warum schenkst du sie mir?“, fragte der Junge mit den dunklen Haaren.
„Wer andere beschenkt, wird gesehen“, antwortete der alte Herr.
Der kleine Junge blickte erstaunt auf seine zauberhaften Holzkugeln. Und als er sich bedanken wollte und seinen Kopf nach oben neigte, war der Alte plötzlich verschwunden.
„Wo bist du denn?“, sagte der Junge, der wie festgefroren dastand.
„Ich bin in deinem Herzen“, schallte es durch die Gassen, doch niemand war zu sehen.
Der kleine Junge schüttelte den Kopf und steckte die Holzmurmeln in seine Manteltasche. Er dachte sich, ob er das alles nur geträumt hätte, und lief ein Stück die Gasse hinab.
Unten angekommen, gab es einen kleinen Dorfplatz. Dort versammelten sich die ärmeren Kinder, welche sich jedes Jahr auf den Jungen mit dem Bauchladen freuten. Sie begannen zu tanzen und sich im Kreis zu drehen, als sie den kleinen Jungen mit seinen Gaben sahen. Jedem Kind schenkte er etwas aus seiner Geschenke-Kiste. Fröhliche Gesichter zierten den Ort der Freude. Sie bedankten sich und liefen zurück zu ihren Liebsten.
Der kleine Junge stand zufrieden am Brunnen des Dorfplatzes. Mit einem warmen Gefühl in seinem Herzen lief er zurück in die Gasse, die ihm sein Leben lang in Erinnerung blieb. Zu Hause angekommen und müde von seiner weihnachtlichen Reise, legte sich der Junge schlafen. Seine Murmeln versteckte er in der blauen Truhe, die er einst von seinem Großvater geschenkt bekam.
Die Nacht war ruhig, es schneite und die Eulen saßen überall. Es schien wie ein Traum für den kleinen Jungen, der unter seiner dicken Decke in den Schlaf fand. Zarte Melodien, herrliche Düfte und Kerzenlichter schmückten seine nächtlichen Träume.
Und am nächsten Morgen, als der kleine Junge erwachte, ging sein erster Blick zum Fenster des Dachzimmers. Eine der Eulen, die auf dem Fensterbrett nächtigte, starrte ihn an. Der kleine Junge reib seine Augen und wie durch einen Blitz getroffen sprang er aus seinem Bett. Er öffnete vorsichtig die blaue Truhe, um nach dem Geschenk des alten Mannes zu sehen. Dort lagen sie, die drei Kugeln aus Holz.
„Oh, wie wundervoll“, rief der kleine Junge und rannte die Treppe hinab in die Küche.
„Mama, schau doch, wie schön meine Murmeln sind“, sagte der Junge zu seiner Mutter, die ihm wie jeden Morgen eine Tasse Tee kochte.
„Was meinst du, mein Lieber?“, fragte die Mutter des kleinen Jungen erstaunt.
„Mein Geschenk, Mama, schau doch nur“, sagte er.
Seine Mutter sah sie nicht, diese wunderschönen Kugeln, die der kleine Junge in jener Nacht geschenkt bekam. Es war wohl ein magisches Geschenk, ein echter Schatz, den er von einem alten Mann überreicht bekam, der aus dem Nichts erschien.
So geschah es jedes Jahr, dass die weißen Eulen über die Dächer flogen und ein kleiner Junge die ärmeren Kinder mit Süßigkeiten beschenkte. Noch heute gilt dieser alte Zauber.
Der kleine Junge ist mittlerweile ein alter Mann. Ja, er ist nun dieser alte Herr, den die Dorfbewohner immer als Schatten sehen konnten, wenn die Weihnacht vor der Tür stand. Immer dann, wenn es zu schneien begann und Kinder Süßigkeiten mit nach Hause brachten.
So ist diese Geschichte eine magische Geschichte, denn sie lebt noch heute in den Herzen der Bewohner des kleinen Dorfes. Und wenn wir achtsam sind, können wir ihn sehen, den alten Zauberer, wenn er seine Holzmurmeln an jene Kinder weiter reicht, die anderen Menschen eine Freude bereiten.
Das ist Weihnachten. Damals und noch heute.