„Wie und mit wem sprecht ihr über sexuelle Vorlieben?
Am liebsten spreche ich in sexpositiven Gruppen über sexuelle Vorlieben und Erlebniswelten.
Dort herrscht im Allgemeinen Konsens darüber, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt.
Was dem Einen größtes Entzücken bereitet, kann von anderen unter "oh ja, das bereitet mir auch größtes Entzücken", "find ich mittelmäßig", "lässt mich völlig kalt, stößt mich aber auch nicht ab - neutral eben" oder unter "törnt mich/ stößt mich völlig ab" fallen. Und das alles ist in Ordnung solange es beim Gespräch über Geschmack bleibt und die moralische Wertung außen vor bleibt.
Diese Gruppengespräche dienen ja eher der Horizonterweiterung. Sie halfen mir dabei...
• Mich selbst besser in der Welt zu verorten.
• Mir meiner Selbst bewusster zu werden.
• Differenzierter ausdrücken zu können, was ich mag, was ich nicht mag.
• Mehr Courage zu entwickeln, zu mir und meinen Vorlieben und Abneigungen zu stehen.
• Manchmal zog ich aus den Gruppenkonversationen auch Inspiration...
Bei den sexuellen Vorlieben ist so wie mit den Vorlieben für Filme oder Bücher. Wenn eine Person viele Filme aus den selben Gründen mag wie ich und sie schwärmte von einem Film oder Buch, welches ich noch nicht kannte, war die Chance groß, dass dieser Fiilm oder Buch auch mir gefallen könnte. Dann habe ich es mal ausprobiert. Nicht mit der Person, die davon gesprochen hat. Sondern mit meinem Sexualpartner.
Im 1:1 waren solche Gespräche jedoch oftmals nicht so unbefangen.
Vor allem dann nicht, wenn ich als Frau ein 1:1 Gespräch mit einem Mann führte, der mich nicht bereits seit Jahren kannte.
Dann zog der Mann die Schlussfolgerung:
Die Frau spricht mit mir über Sex. --> Die Frau will Sex mit mir.
Dementsprechend bezog er alle Aussagen auf sich.
Dann fühlte er sich leicht angegriffen oder "unter Erwartungsdruck" gesetzt.
Dann waren lockeren Gespräche über verschiedene Geschmacksrichtungen nicht mehr möglich.
Da lief in der Regel das klassische Eroberungsprogramm des Mannes:
• Wahlweise der Mann hörte auf zu sich selbst zu stehen. Dann schlüpfte er so gut es ging in die Rolle des vermeintlichen Traumprinzen. (passiv-aggressive Verhaltensmuster)
• Oder aber er fing an, mir seine Vorlieben überstülpen zu wollen. Dann wollte er nicht mehr wahrhaben, WER oder WIE ich bin. Und hat mir erklärt, dass ich in Wirklichkeit ganz anders sei. (aggressive Verhaltensmuster)
In beiden Fällen fühlte ich mich dann in die Rolle der Beute gedrückt, welche irgendwie erlegt werden will.
„Das sind halt klassische patriarchale Strukturen, die viele Menschen häufig gar nicht sehen.
Haben sich beide entschieden, es miteinander zu versuchen (Aufbau einer Freundschaft+ oder Partnerschaft) und waren bereits miteinander sexuell aktiv läuft dieses Kommunikationsmuster oftmals weiter. Sowohl in Fragen der Sexualität als auch in Fragen der Beziehungsgestaltung.
Es gibt wenige positive Ausnahmen: Männer, die sich bereits komplett von den patriachalen Kommunikationsmustern verabschiedet haben. - Das sind aber nie und nimmer 50 %.
Viel mehr Männer haben sich immerhin auf den Weg in Richtung eigene Emanzipation gemacht. In Gruppenkonversationen sprechen diese offen und ehrlich über ihre eigene Sexualität. Doch in 1:1 Gesprächen mit einer Sexualpartnerin fallen diese Männer oft wieder in die patriachalen Kommunikationsmuster zurück. Ob nun passiv-aggressiv oder aggressiv: So oder so wird die freie Wahl der Frau untergraben. Er will sie: komplett. Ihre oder seine eigenständige Sexualität bewertet er bei Abweichungen voneinander negativ. Und sie soll ihn wollen: Komplett. Das ist sein Wunsch, aber unrealistisch.
Solange ein Mann da herum manipuliert, anstatt die unterschiedlichen Vorlieben und Abneigungen so zu akzeptieren wie sie verteilt sind, fühlt er sich und seine Sexualität nicht wirklich gewollt und nicht wirklich geliebt.
Und er investiert wiederholt zu viel Zeit in unpassende Sexualpartnerinnen. Bzw. bringt er Drama in sexuelle Beziehungen, in denen es im Grunde genommen mehr als genug Gemeinsamkeiten gäbe, um gemeinsam ein erfülltes Sexualleben zu führen.
Wenn man diese Menschen mit zu den Sexpositiven zählt, dann käme man insgesamt wohl auf 50 %.
Aber ich zähle sie nicht dazu.