Damals als Tramper...
Tramper, Stopper, Daumen-Raushalter oder neudeutsch Hitchhiker sieht man heute kaum noch. Früher waren die Straßen, insbesondere die Autobahnauffahrten und Rastplätze voll von diesen liebenswerten "Backpackern".
Ich war auch einer davon, damals 1976 bis 1982 und davon handelt dieses nun folgende Erlebnis:
Zwei Frauen und ich auf dem Weg nach Hollands Nordseeküste nach Zandvoort, über 700 km und ich weiß heute nicht mehr genau wieso, waren unsere Ziele doch normalerweise eher im warmen Süden Frankreichs gelegen.
Ich kann mich erinnern, dass noch mehrere Freunde dabei waren. Alle trampten allein, maximal zu zweit. Nur wir drei zu dritt. Dachte ich etwa damals schon an Erotik? Keine Ahnung...;-)
Wir wollten beweisen, vielmehr ich wollte beweisen, dass man entgegen der landläufigen Trampermeinung, auch zu dritt an ein Ziel kommen kann.
Wir begannen in Süddeutschland nahe Ulm unsere Daumen rauszuhalten und wurden mitgenommen.
Am nächsten Rastplatz am Stuttgarter Dreieck (gibt es heute nicht mehr, den Rastplatz) mussten wir uns ein neues Gefährt suchen. Das war früher so üblich, dieses Stop and Go auf Rastplätzen. Manchmal musste man auch auf einem Rastplatz übernachten, was weniger schön war.
Wie heute vielen bekannt, war ich auch schon damals nicht auf den Mund gefallen und beschloss, alle Trucker auf dem Parkplatz abzufragen, ob sie uns mitnehmen würden. Ich bin einfach ein Mann der Tat.
Und ich hatte Glück, ich fand für uns einen Trucker, ich glaube deutscher Nationalität. Er nahm uns drei Hippies mit. Wir legten unsere Rucksäcke und unsere Umhängetaschen auf das oberste Bett, Gabi legte sich in das untere Bett und ich und Maria oder Claudia, ich weiß nicht mehr wie sie hieß, nahmen neben dem Trucker Platz.
Wie auch heute vielen bekannt ist, konnte ich schon damals mein Mundwerk nicht halten und redete und redete... Nein stimmt nicht, der Trucker redete und redete und redete...
Ein paar Hundert Kilometer später war ein Stopp am Rastplatz angesagt. Der Trucker wollte eine andere Richtung und damit eine andere Autobahn nehmen, wir stiegen aus und das Spielchen ging von vorne los. Ich wollte gerade beginnen loszumarschieren um einen Trucker zu finden, da fiel mir auf, dass ich meinen Umhängebeutel im Truck auf dem oberen Bett vergessen hatte. Ein Umstand, der mir auch heute noch ständig widerfährt... Wenn ich nicht alles an mir anbinde....
Da musste ich mir plötzlich alles sagen lassen, wie blöd ich denn wäre, wie kann man nur seine Tasche mit dem Ausweis vergessen usw. usw. Ohne Ausweis war unsere Reise nämlich beendet, waren die Kontrollen doch damals an der niederländischen Grenze stärker vorhanden als heute.
Ich entgegnete, dass ich meine Tasche und damit meinen Ausweis schon wieder bekommen würde... Sie zeigtem mir den Vogel und sahen unseren Urlaub als beendet an...
Ich stoppte einen PKW und schilderte dem Fahrer mein Problem. Dieser Fahrer sicherte mir spontan seine Hilfe zu.
Mittlerweile war über eine Stunde vergangen, wie sollte man diesen LKW denn jemals wiederfinden?
Ich wußte nur, dass der Trucker die und die Autobahn nehmen wollte und Hunger hatte. Wir fuhren los. Erst mal in die falsche Richtung, wir konnten ja nicht anders. Auf der Autobahn umdrehen war ja auch schon damals nicht so einfach
Also erstmal zig Kilometer in die falsche Richtung. Runter von der Autobahn, auf der anderen Seite wieder drauf, am Autobahnkreuz dann in die Richtung, die der LKW wohl genommen haben muss. Nix war sicher, doch der Mut des PKW-Lenkers erstaunte mich. Ein wildfremder Mensch, der so etwas unternahm, um mir zu helfen.
Wir fuhren zwei Rastplätze ab und ich versuchte mich an den LKW zu erinnern, der meine Tasche auf dem Bett hatte. Ich kannte ja nicht wirklich seine Kennzeichen, geschweige denn, wie der Truck wirklich aussah...
Am zweiten Rastplatz meinte ich den LKW erkannt zu haben, nach über 70 km! Vorweg muss ich noch erwähnen, dass dieser Trucker die ganze Zeit fast nicht glaubhafte Geschichten, die er als Trucker erlebt hatte, erzählte.
Ich betrat das Rasthaus, es roch nach Eisbein mit Sauerkraut und sehen konnte man auch nicht viel, so verraucht war alles, eben Trucker unter sich. Ich schaute mich um. Tatsächlich, da saß er und trank seinen Pott Kaffee. Er saß zusammen mit Kollegen und machte einen müden Eindruck. Ich ging auf den Tisch zu und sagte Hallo. Er schaute mich vollkommen entgeistert an, konnte mich nicht so recht einordnen, bis es dann auch bei ihm klingelte. Da stand dieser junge Hippie vor ihm, den er gedachte, wohl nie wieder zu sehen und jetzt stand er 70 km später wieder ,vor ihm. Ich fühlte wie er überlegte, wie ich das wohl geschafft haben könnte.
"Ich habe meine Umhängetasche bei Ihnen im Truck vergessen", und bat ihn, sie mir zu geben. Er hatte das mit der Tasche noch gar nicht bemerkt und ging mit mir zum Truck. Da lag sie, meine geliebte Umhängetasche mit meinem Ausweis und meinem gesamten Geld.
Ich begleitete ihn zurück zum Rasthaus, während ich ihm diese abenteuerliche Geschichte erzählte und ihm sagte, dass er wohl soeben das Verrückteste in seinem Truckerdasein erlebt hatte. Er nickte und ich sah, wie er auch diese Geschichte sogleich seinen Truckerkollegen erzählte. Er war halt gerne wie ich im Mittelpunkt. Und ich war stolz, Teil seines Lebens geworden zu sein und vielleicht sogar bis heute, wenn er seinen Enkeln diese abenteuerlichste aller Geschichten erzählen würde, die er je erlebt hatte.
Das Tolle daran, ich wußte, dass diese Geschichte wahr ist und nicht geflunkert.
Der freundliche PKW-Fahrer fuhr mich wieder zurück zum Rastplatz und hatte wohl auch etwas zu erzählen, sein Leben lang.
Ich bedankte mich herzlichst bei ihm.
Meine zwei Begleiterinnen staunten nicht schlecht und die eine davon schimpfte nie wieder über mich.
Und? Hatten wir den Wettbewerb, als schnellste Tramper ans Ziel zu kommen, gewonnen?
Ja, wir kamen sehr viel früher am Ziel an, als alle anderen und das zu dritt!
Ob die Beteiligten noch am Leben sind, ich weiß es nicht, aber diese Geschichte, die ich wirklich erlebt habe, wird nun wohl immer weiter leben, dank Internet und Euch....
Wer weiß, vielleicht liest gerade ein Enkel des Truckers diese Zeilen...